Raketenangriff auf Tel Aviv
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Opfer auf beiden Seiten:Raketenangriff auf Tel Aviv

«Ich habe richtig gezittert»
Schweizerin (22) in Tel Aviv musste in Bunker flüchten

Seit Dienstag kommt es zu schweren Raketenangriffen auf die Küstenmetropole Tel Aviv. Die Schweizer Studentin Tina Fivaz (22) wohnt in Israel. Praktisch die ganze Nacht musste sie in einem Keller verbringen.
Publiziert: 12.05.2021 um 14:58 Uhr
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Aktualisiert: 12.05.2021 um 15:09 Uhr
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Tina Fivaz (22) aus Zürich wohnt in Tel Aviv.
Foto: Zvg
Anastasia Mamonova

Tina Fivaz (22) lebt seit sieben Monaten in Tel Aviv. Die Zürcherin wohnt in einer 3er-WG in einem Mehrfamilienhaus im Zentrum der israelischen Küstenstadt und studiert Politikwissenschaften an der Universität.

Auch in der Nacht auf Mittwoch, als Tel Aviv von Hunderten Raketen der Hamas angegriffen wird, ist die Schweizerin in der Stadt und durchlebt bange Stunden.

«Wir wollten grad zum Znacht raus»

«Am Dienstagabend wollten mein Mitbewohner und ich gerade raus in die Stadt für einen Znacht. In dem Moment, als wir zur Tür raus sind, ging der Sirenenalarm los», sagt Fivaz zu Blick. «Wir sind dann zunächst sofort ins Treppenhaus rein. Dann hörten wir Explosionen und spürten, wie es geschüttelt hat. Da war es klar – jetzt müssen wir alle sofort in den Keller! Alle unsere Nachbarn sind mit ihren Kindern und Hunden auch gleich runter.»

Die Leute seien jedoch ruhig geblieben. «Keiner ist gerannt oder hat geschrien. Das liegt vielleicht auch daran, dass wir in Tel Aviv nach dem Sirenenalarm 1,5 Minuten Zeit haben, um uns in Sicherheit zu bringen. Das ist relativ viel. In Aschkelon müssen die Leute innerhalb von zehn Sekunden im Keller sein.»

«Man weiss nicht, ob das eine Rakete ist, die gleich einschlägt»

Trotzdem gehen die Raketenangriffe nicht spurlos an ihr vorbei. «In dem Moment hatte ich grosse Angst und habe richtig gezittert. Man ist in diesem Keller, drei bis vier Meter unter der Erde, und hört nur noch eine Explosion nach der anderen. Es sind richtig laute Schläge und es hallt. Die Vibration ist auch spürbar. Man weiss aber nicht, ob das eine Rakete ist, die gleich einschlägt oder ob das der Iron Dome ist. In solchen Momenten erkennt man, dass wir in der Schweiz in einem Paradies leben.»

Da sie im Keller Handy-Empfang hatte, konnte sie zusammen mit den anderen 20 Anwesenden Radio hören und die Nachrichten schauen. Nach rund 25 Minuten kommt eine Pushmeldung auf ihr Handy, die Entwarnung gibt. «Mein Mitbewohner und ich sind dann wieder hoch in die Wohnung, haben uns was zu essen gekocht, TV geschaut und dann habe ich mich schlafen gelegt.»

Doch an Ruhe ist nicht zu denken. Erneut heulen die Sirenen los. «Ich lag im Bett und spürte nur, wie mein Mitbewohner mich plötzlich an der Hand gepackt hat. Wir sind dann erneut runter in den Keller, bis die Explosionen vorbei waren. So ging es die ganze Nacht weiter. Insgesamt dreimal mussten wir runter und wieder hoch.»

«Die Leute befürchten Anschläge in Restaurants»

Nach einer schlaflosen Nacht versucht sie sich am Mittwoch nun, auf ihre Online-Vorlesung zu konzentrieren. «Wenn ich mich nicht gerade dem Lernen widme, bin ich eigentlich konstant am Telefon und lese Nachrichten oder schreibe und telefoniere mit meinen Freunden und meiner Familie in der Schweiz.» Draussen sei es derzeit sehr ruhig. «Einige Autos fahren durch, ansonsten sind praktisch keine Menschen unterwegs. Die Leute wollen auch nicht raus, weil sie befürchten, dass es in Restaurants und Bars zu Terrorattacken kommen könnte.»

Sirenen habe die 22-Jährige in der Vergangenheit schonmal gehört. «Aber so was wie jetzt, ist neu für mich. Auch meine Nachbarn haben gesagt, dass sie seit 1993 nicht mehr so was erlebt haben.»

«Ich bleibe, egal was passiert»

Trotz der beängstigenden Situation fühle sie sich sicher. «Wir haben zwar Angst, aber man spürt in solchen Momenten, wie stark, die Leute hier zusammenhalten. Jeder wird beschützt.»

Aus diesem Grund wolle sie Tel Aviv auch keinesfalls verlassen. «Ich bleibe, egal was passiert und vertraue darauf, dass der Iron Dome und die Sicherheitskräfte ihre Arbeit erledigen. Hier gibt man sich wirklich Mühe, darauf zu schauen, dass die Bevölkerung gesund bleibt.»

Die Studentin glaubt, die kommende Nacht erneut im Keller verbringen zu müssen. Ans Schlafen ist also kaum zu denken. «Es ist wichtig, jetzt die Nachrichten zu verfolgen und aufmerksam zu bleiben.»

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Auch der Schweizer Journalist, Daniel Bettini, der in der Stadt Cholon lebt, hat eine schlaflose Nacht hinter sich. «Wir waren unter starkem Beschuss», sagt er am Mittwoch zu Blick. «Direkt vor meinem Haus traf eine Rakete einen Bus. Ich hätte nie gedacht, dass ich es mal so nah erleben würde.» Schwierig sei es vor allem für seine Kinder gewesen. «Sie sind zum ersten Mal mit diesem Drama konfrontiert worden und hatten danach Albträume.»

Blick-Leser Elie Grünewald meldet sich aus der Stadt Aschkelon. «Die letzten zwei Tage haben wir fast konstant im Bunker unsere Wohnung verbracht. Wir hatten unten im Gebäude einen direkten Einschlag. Ein weiterer direkter Raketeneinschlag wenige 100 Meter entfernt hat zu einem Todesopfer geführt», schreibt er. Am Mittwoch musste er innerhalb von 1,5 Stunden dreimal von der Stube in den Bunker wechseln. Grünewald zog vor einigen Jahren von der Schweiz nach Israel. «In über sechs Jahren hier haben wir eine solche Intensität noch nie auch nur ansatzweise erlebt», sagt er.

Lage eskaliert zunehmend

Seit den Zusammenstössen in Jerusalem im Zusammenhang mit den Geschehnissen auf dem Tempelberg und den drohenden Zwangsräumungen von palästinensischen Familien im Viertel Scheich Dscharrah, gleicht die Lage im Nahen Osten einem Pulverfass.

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Die israelische Armee hatte zuletzt am Dienstag ein Gebäude mit Büros von Mitgliedern des Hamas-Politbüros und Sprechern der islamistischen Palästinenserorganisation im Gaza-Streifen zerstört. Die Anwohner des Gebäudes wurden vor dem Angriff von den israelischen Streitkräften gewarnt und angehalten, das Haus zu verlassen.

Militante Palästinenser feuerten daraufhin unaufhörlich Raketen auf diverse Städte in Israel ab. Die Hamas werde keinen Rückzieher machen, sagte ein Sprecher der militanten Islamisten im Gazastreifen. «Wenn Israel zuschlägt, schlägt der bewaffnete Widerstand zurück.»

Beide Seiten haben Todesopfer zu beklagen. Ein Ende des bewaffneten Konflikts scheint nicht in Sicht.

Weitere Informationen zu den Zusammenstössen finden Sie in unserem Ticker.

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