Friedensforscher Laurent Goetschel erklärt, was es für erfolgreiche Verhandlungen braucht
So kann der Krieg beendet werden

Der Druck auf Präsident Wolodimir Selenski (45) steigt. Zwar soll die Ukraine weiterhin mit Waffen versorgt werden, es mehren sich aber auch Stimmen, die Verhandlungen mit Russland fordern. Blick zeigt, wer Verhandlungen vorschlägt und wie gross die Chancen sind.
Publiziert: 27.02.2023 um 19:27 Uhr
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Freundschaftlich, aber der Druck steigt: Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski traf den französischen Präsidenten Emmanuel Macron und den deutschen Kanzler Olaf Scholz am 8. Februar in Paris (v. l.).
Foto: keystone-sda.ch
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Guido FelderAusland-Redaktor

Zuerst überraschte China die Welt mit einem Zwölf-Punkte-Friedensplan, dann sprachen plötzlich auch die Regierungen von Deutschland, Frankreich und Grossbritannien von Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine. Am Wochenende demonstrierten zudem in Berlin über 13'000 Personen für Friedensgespräche und den Stopp von Waffenlieferungen.

Wie gross sind die Chancen auf Verhandlungen und Frieden? Was muss beachtet werden? Welche Rolle kann die von Russland kritisierte Schweiz überhaupt noch spielen? Laurent Goetschel (57), Direktor der Schweizerischen Friedensstiftung (Swisspeace) in Basel, beantwortet die wichtigsten Fragen.

Wer fordert Verhandlungen?

  • China: Mit einem Zwölf-Punkte-Plan will Peking die Kriegsparteien an einen Tisch bringen. Generell zeigen sich der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski (45) und die USA offen dafür – trotz der Nähe Pekings zu Moskau. «Ich würde dieses Angebot nicht geringschätzen», sagt auch Laurent Goetschel. «Ein Vermittler muss auch nicht ‹genau in der Mitte› eines Konflikts stehen. Er muss jedoch glaubwürdig machen, dass er nicht nur einer Seite hilft. Sonst ist er wertlos.»

  • Nato: Die Nato-Mitglieder Deutschland, Frankreich und Grossbritannien haben laut «Wall Street Journal» Selenski gebeten, über Friedensgespräche nachzudenken. Goetschel glaubt aber nicht, dass Putin die Europäer als entscheidende Akteure in diesem Konflikt wahrnimmt. «Er will auf der gleichen Ebene spielen wie die USA und China.»

  • Wagenknecht/Schwarzer: Die deutsche ehemalige Linken-Chefin Sahra Wagenknecht (53) und die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer (80) fordern in einem von über 650'000 Personen unterstützten «Manifest für Frieden» Gespräche und den Stopp von Waffenlieferungen. Am Wochenende riefen sie zur Demo in Berlin. Goetschel meint: «Sie fahren primär eine innenpolitische Agenda. Ich erachte sie als aussenpolitisch bedeutungslos.»

  • Türkei: Vor allem zu Beginn des Krieges versuchte Präsident Recep Tayyip Erdogan (69), sich international zu positionieren. Er rief zu Vermittlungen auf und konnte immerhin zusammen mit der Uno das Getreideabkommen aushandeln. «Nun muss er sich aber wegen der Bewältigung der Folgen des Erdbebens mit andern Sorgen befassen», sagt Goetschel.

Wer kommt als Vermittler infrage?

Grundsätzlich alle, die es sich mit keiner der beiden Seiten vollständig verscherzt haben, und die als einigermassen unabhängig gelten. Zudem sollten sie ein Interesse und die Fähigkeit haben, sich für diese Funktion zur Verfügung zu stellen.

Dazu zählt Goetschel die OSZE sowie Staaten wie Brasilien, Indien, Kasachstan und Israel. Wegen der Nato-Mitgliedschaft nicht infrage komme Norwegen, ein erfolgreicher westeuropäischer Vermittler. Dasselbe gelte wegen ihrer sicherheitspolitischen Annäherungen an die Nato auch für Finnland und Schweden.

Warum kann die Schweiz nicht vermitteln?

Moskau lehnt die Schweiz als Vermittlerin wegen der mitgetragenen Sanktionen gegen Russland ab. «Die Schweiz ist kein neutraler Staat mehr», sagte Marija Sacharowa (47), Sprecherin des Aussenministeriums, vor wenigen Tagen.

Dennoch meint Goetschel: «Die Schweiz dürfte auch in den Augen Russlands immer noch als neutraler angesehen werden als die allermeisten der anderen dafür infrage kommenden Akteure.» Dies werde zumindest so lange gelten, als die Schweiz weder direkt noch indirekt Waffen an die Ukraine liefere.

Goetschel: «Persönlich sähe ich für die Schweiz vor allem eine Rolle in der Unterstützung der Aufarbeitung von Kriegsverbrechen. Diese Rolle könnte sie auch wahrnehmen, wenn Vermittlungen von anderen Akteuren geleitet würden.»

Wo gibt es Verhandlungsspielraum?

Es geht um die Einstellung der militärischen Kampfhandlungen, die Rückgabe von Territorien sowie die politische und sicherheitspolitische Zukunft der Ukraine. Da spielen auch Garantien eine wichtige Rolle: Wird die Ukraine Mitglied der Nato werden? Wenn nicht, wer wird ihre Sicherheit garantieren? Darüber hinaus könnte es auch um Fragen finanzieller Reparationen und der Aufarbeitung von Kriegsverbrechen gehen.

Wie gross sind die Chancen auf Erfolg?

Sollten Verhandlungen aufgenommen werden, würde dies heissen, dass beide Seiten zumindest an einem Auskundschaften des Verhandlungsspielraums interessiert wären. «Das wäre ein sehr positives erstes Zeichen», sagt Goetschel.

Nur: Zurzeit sieht es noch nicht danach aus, dass beide Seiten daran interessiert wären. Der russische Präsident Wladimir Putin (70) hat sein Ziel noch nicht erreicht. Kiew auf der anderen Seite will keinen Waffenstillstand, welcher der russischen Armee zur Stärkung für neue Angriffe dienen könnte.

Wie muss man diese heiklen Vermittlungen angehen?

Zuerst muss man die Bereitschaft der Parteien sondieren. «Das geschieht typischerweise nicht an der Öffentlichkeit. Die Parteien wollen verhindern, durch ihre allfällige Bereitschaft zu Verhandlungen als schwach angesehen zu werden», sagt Goetschel.

Auch gehe es darum, einen ersten Schritt Richtung Verhandlungen innenpolitisch zu überleben, nachdem man zuvor monate- oder jahrelang den totalen Sieg oder die vollständige Befreiung herbeigeredet hat. Nebst den beiden Kriegsparteien müssten eventuell weitere beobachtende oder begleitende Länder oder Organisationen präsent sein.

Wenn ein Land die Vermittlung übernehme, sei es wahrscheinlich, dass die Verhandlungen auf dessen Territorium stattfinden würden. Wenn die Uno die Vermittlungen leiten würde, kämen am ehesten Wien oder Genf dafür infrage. Dasselbe würde gelten, falls die Vermittlung von einer Gruppe von Akteuren geleitet oder koordiniert würden.

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