Auf einen Blick
- Gisèle P. wurde jahrelang von ihrem Ex-Mann vergewaltigt
- Der Prozess zeigt schockierende Videos und Fotos der Taten
- Insgesamt wurden 200 Vergewaltigungen ermittelt
Der Vergewaltigungsprozess um den Fall von Gisèle P.* (72) beschäftigt weit über das Gerichtsgebäude in Avignon (F) hinweg. Über mehr als zehn Jahre hinweg wurde die Französin von ihrem Ex-Mann Dominique P.* (72) betäubt und vergewaltigt – wozu er oft auch Bekannte eingeladen hat. Rund 50 Männer sollen sich insgesamt an Gisèle P. vergangen haben. Diese müssen sich nun alle vor Gericht verantworten.
Von den Vergewaltigungen bekam sie nichts mit. Dominique P. setzte seine ehemalige Ehefrau unter Einfluss starker Medikamente. Die schrecklichen Taten flogen nur zufällig auf, nachdem der 72-Jährige ins Visier der Justiz geraten war, weil er in einem Einkaufszentrum Frauen unter den Rock gefilmt hatte.
Ermittler fanden daraufhin fast 4000 Fotos und Videos der Vergewaltigungen auf seinem Computer. Wie der französische Nachrichtensender BFM TV berichtet, wurden nun zehn Videos und drei Fotos davon vor Gericht gezeigt – wobei nicht alle hinschauen konnten.
Viele verliessen den Saal
Für den Sender war die Journalistin Justine Chevalier im Gerichtssaal, als die Beweismittel gezeigt wurden. «Über eine Stunde lang folgten die harten, unerträglichen Bilder aufeinander. Kein Detail der Misshandlungen seiner Frau blieb der Kamera von Dominique P. verborgen.» Während sich die meisten bereits während des ersten Videos die Hände vor die Augen hielten, verliessen einige während des zweiten den Saal.
«Beim dritten Video schaute niemand mehr im Publikum zu», so Chevalier. Selbst Dominique P. habe den Kopf gesenkt – später erklärte er, er schäme sich, sei angewidert und wolle das alles nicht noch einmal sehen. Erst kurz zuvor bekannte sich der 72-Jährige zu den grausamen Taten: «Ich bin ein Vergewaltiger», sagte er aus.
Gisèle P. hat laut «L'Express» während der meisten Zeit auf ihr Handy geschaut.
«Die Scham muss die Seite wechseln»
Eigentlich wurden bereits Anfang September erste Bilder und Videos in den öffentlichen Prozess eingebunden. Die Zuschauer mussten damals den Saal verlassen, Vertreter der Medien durften bleiben. Nun wollte der Richter auch Journalisten und Journalistinnen aus dem Saal vertreiben, da die Bilder zu «schockierend und grausam» seien.
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Das Anwaltsteam von Gisèle P. ging gegen diese Entscheidung vor: «Es ist ein einzigartiger Fall: Wir haben nicht eine einzige Darstellung einer Vergewaltigung – wir haben Dutzende, Hunderte von Videos einer Vergewaltigung», so einer ihrer Anwälte. «Gisèle P. hält diese Schockwelle für notwendig, damit danach niemand mehr sagen kann: ‹Ich wusste nicht, dass das eine Vergewaltigung war.›» Das Zeigen der Bild- und Videomaterialien wurde daraufhin gestattet.
Für die 71-Jährige ein Sieg, denn: Ihr war es bereits von Beginn an wichtig, dass der Prozess öffentlich stattfindet. Für sie ist klar: «Die Scham muss die Seite wechseln.» Auch ihre Anwälte unterstützen sie darin: «Unsere Mandantin möchte, dass das, was sie erlebt hat, bekannt wird; sie muss sich nicht verstecken. Sexuelle Gewalt wird in diesem Land durch Schweigen gewürdigt. Hier wird nicht geschwiegen, sondern alles öffentlich gemacht, wie von den Zivilparteien gefordert.»
Prozess soll noch bis Dezember dauern
Der Prozess hat Anfang September in Avignon begonnen und soll bis zum 20. Dezember dauern. Insgesamt wurden 200 Vergewaltigungen von Gisèle P. zwischen 2011 und 2020 ermittelt.
In 92 der ermittelten Fälle waren es andere Männer. Die anderen, über 100 Vergewaltigungen, beging ihr Ehemann. Neben Dominique P. müssen sich 50 weitere Männer vor Gericht verantworten und riskieren Haftstrafen von bis zu 20 Jahren. Sie sind zwischen 26 und 74 Jahre alt und haben nach Ansicht von psychologischen Experten bei den Vergewaltigungen der bewusstlosen Frau Allmachtsfantasien ausgelebt.
* Name bekannt