Die Schweiz und der Klimawandel
Wie schaffen wir das?

Das Jahr 2021 wird im Kampf gegen die Erderwärmung entscheidend sein. Für die Schweiz und global.
Publiziert: 03.01.2021 um 14:17 Uhr
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Aktualisiert: 03.03.2021 um 15:35 Uhr
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Gehört zu den Klimatiefpunkten des Jahres: Tote Kuh nach den verheerenden Wildfeuern im US-Bundesstaat Kalifornien.
Foto: AFP
Fabienne Kinzelmann

Zumindest für das Klima könnte 2020 ein gutes Jahr gewesen sein. Und das nicht nur, weil die Emissionen lockdownbedingt zurückgegangen sind.

Die grössten Wirtschaftsnationen haben sich im vergangenen Jahr zu Netto-null-Zielen verpflichtet. Die EU und die USA wollen bis 2050 klimaneutral werden und dann nicht mehr CO2 ausstossen, als die Erde auf natürlichem oder technischem Weg verkraften kann. Die Schweiz hat sich dieses Ziel schon früher gesetzt. Als grosse Überraschung verkündete Chinas Präsident Xi Jinping (67) im September, sein Land bis 2060 klimaneutral machen zu wollen. Mehr als die Hälfte der globalen Treibhausgasemissionen gehen auf das Konto von EU, USA und China.

Beim Klimaschutzgipfel «Climate Ambition Summit» Mitte Dezember – der nur online stattfand – waren nur jene Nationen eingeladen, die neue, gesteigerte Zielsetzungen im Klimaschutz ankündigen konnten. Das waren immerhin 75 an der Zahl.

Einerseits.

Andererseits klang Uno-Chef António Guterres (71) zum Gipfelabschluss so: «Der Tag war ein wichtiger Schritt nach vorn, aber er reicht noch nicht aus. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Welt noch immer auf dem Weg zu einem Temperaturanstieg von mindestens 3 Grad bis zum Ende des Jahrhunderts ist, was einer Katastrophe gleichkäme.»

280 Millionen könnten ihre Heimat verlieren

Schon bei einer Erderwärmung von 1 bis 3 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter drohen auch unserem Land mehr Hitzetage im Sommer, heftige Niederschläge und schneearme Winter. Mit all den Folgen, die das Extremwetter für unseren Alltag, für die Landwirtschaft, die Gebäude und alte und schwache Menschen mit sich bringt.

Die grösste Gefahr geht von den «Tipping Points» aus, Kippelementen im Erdsystem. Stirbt der Regenwald im Amazons, schmelzen die Pole, brechen die Monsunsysteme zusammen, hat das weltweit unabsehbare und irreversible Folgen.

Um dauerhafte Schäden sicher zu vermeiden, dürfte die gesamte Menschheit eigentlich ab 2040 nicht mehr CO2-Emissionen ausstossen, als sie aus der Atmosphäre entfernen kann. An der Klimafrage hängt im Prinzip alles: unser Wohlstand, unsere Gesundheit, die Zukunft unserer Demokratie.

Klimaflüchtlinge sind schon jetzt Realität. Über die Anerkennung als Asylgrund werden wir nicht mehr diskutieren können, wenn die Heimat der Menschen schlicht nicht mehr existiert. Schon ein Temperaturanstieg von maximal 2 Grad, wie im Pariser Klimaabkommen 2015 beschlossen, könnte den Meeresspiegel nach einer Schätzung des in Genf ansässigen Weltklimarats (IPCC) so weit ansteigen lassen, dass bis zum Ende dieses Jahrhunderts die Heimat von 280 Millionen Menschen überflutet sein wird.

Kann uns Technik retten?

So wie die Corona-Pandemie dank einer Impfung aus der Welt geschafft werden soll, setzen viele auch beim Klima grosse Hoffnungen auf die Technik. Da gibt es etwa das ETH Spin-off «Climeworks», das CO2 aus der Luft filtert und in den Boden presst. Dieser Tage startet in Island der Betrieb der Anlage «Orca» – damit zeigen die Schweizer erstmals, dass ihre Technologie auch in grösserem Rahmen funktioniert.

Orca wird 4000 Tonnen CO2 pro Jahr aus der Atmosphäre entfernen können, das ist etwa der Ausstoss von 30 Haushalten. Aktuell kostet das rund 500 US-Dollar pro Tonne – die Gründer glauben, dass sie die Kosten auf 200 Dollar pro Tonne drücken können. Bis 2025 wollen sie auf diese Weise ein Prozent der weltweiten Emissionen beseitigen. Theoretisch könnte das Gestein in Island, wo Orca steht, sämtliche CO2-Emissionen der Welt aufnehmen.

Doch das ist eben Theorie. In der Realität reichen die Technologie ebenso wie synthetische Kraftstoffe noch lange nicht, um die globalen Emissionen zu minimieren. Darum muss die Politik ihre Anstrengungen maximieren, Innovationen zu fördern. Daneben braucht es einen Ausbau öffentlicher Verkehrsmittel. Und ja, man kommt nicht darum herum, Öl, Kohle und Gas durch eine Erhöhung der CO2-Abgabe unattraktiver zu machen.

Gute Klimapolitik rechnet sich

Netto ist dabei mehr zu gewinnen als zu verlieren. Die nötigen Investitionen zahlen sich auf mehreren Wegen aus. Weil die Kosten der steigenden Erderwärmung von Industrie und Politik und Industrie aktuell nicht eingepreist sind. Und weil Schuldenmachen dank Negativzinsen gerade billig ist: Für jede Milliarde Schulden bekommt die Schweiz Millionen dazu geschenkt.

Corona bietet dafür die Steilvorlage. Weltweit sind bereits Billionen mobilisiert, um die Folgen der Pandemie aufzufangen. Ein Umweltbericht der Vereinten Nationen schätzt, dass damit theoretisch 2030 bis zu 25 Prozent der Emissionen verhindert werden könnten.

Die Schweiz hinkt hinterher

Einzelne Städte und Länder gehen voran. Amsterdam, Kopenhagen, Philadelphia und Portland etwa setzen auf die Kreislaufwirtschaft. Hawaii und Kanada haben feministische Wiederaufbau-Pläne entwickelt – damit alle Bevölkerungsgruppen gleichermassen von den Hilfen profitieren. Japan investiert in Digitalisierung, Südkorea in Ausbildungszentren, um Menschen für grüne Jobs fit zu machen.

Und die Schweiz? Zögert.

Schon im April war klar, dass die Schweiz ihr für 2020 gestecktes Klimaziel verfehlt. Ein grünes Gesamtkonzept fehlt dennoch bis heute – während selbst Briten-Premier Boris Johnson (56) mit einem 10-Punkte-Plan für die grüne industrielle Revolution aufwartet.

Die Klimabewegung hat die Arbeit für den Bundesrat jetzt gemacht. Am kommenden Freitag stellt der Klimastreik seinen Klimaaktionsplan vor, der gemeinsam mit zahlreichen Wissenschaftlern und Experten entstanden ist.

Das Schweizer Parlament hat 2020 das CO2-Gesetz überarbeitet, im Frühjahr werden wir voraussichtlich darüber abstimmen. Das Gesetz beinhaltet unter anderem CO2-Grenzwerte für Fahrzeuge und Gebäude, eine CO2-Abgabe auf bis zu 210 Franken pro Tonne und die Schaffung eines Klimafonds.

Die Welt schaut nach Glasgow

Kritik am Gesetz kommt von zwei Seiten: Der SVP geht es zu weit, den Klimaschützern nicht weit genug. Eine weitere Verzögerung in der Klimapolitik aber könnte drastische Folgen für den Weg zur Emissionsneutralität und für die künftige Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz haben.

Für den globalen Effekt sind laut Reimund Schwarze, Klimaökonom am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig, zwei Schritte entscheidend: Der völkerrechtlich verbindliche Wiederbeitritt der USA zum Pariser Abkommen und eine ebenso verbindliche und nachvollziehbare Zwischenzielsetzung Chinas bis 2030. Dann könnten sich auch die Nachzügler Australien und Brasilien nicht mehr drücken.

Im November wird der wegen Corona verschobene UN-Klimagipfel in Glasgow (Schottland) nachgeholt. Fünf Jahre nach dem Inkrafttreten des Pariser Klimaabkommens wird es entscheidend sein, ob die Weltgemeinschaft aus der Pandemie gelernt hat. Je später sie handelt, desto drastischer müssen die Massnahmen sein.

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