Physiker und Wirtschaftswissenschaftler Laurie Laybourn-Langton (31) über die Waldbrände in Kalifornien, Greta und die Schweiz
«Beim Klima verlieren wir die Kontrolle»

Der Experte Laurie Laybourn-Langton sagt: Kein Land ist auf den drohenden Klimakollaps vorbereitet. Ein BLICK-Gespräch über die historischen Waldbrände in Kalifornien, Greta Thunberg – und was die Schweiz befürchten muss.
Publiziert: 25.09.2020 um 01:34 Uhr
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Aktualisiert: 02.01.2021 um 23:01 Uhr
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Laurie Laybourn-Langton über die Waldbrände in Kalifornien: «Das ist eine Tragödie.»
Foto: zVg
Interview: Fabienne Kinzelmann

«Wir sind nicht bereit.» Das ist der so erschreckende wie nüchterne Titel von Laurie Laybourn-Langtons (31) letztem Bericht. Der Physiker und Wirtschaftswissenschaftler beschäftigt sich beim Londoner Thinktank IPPR mit dem drohenden Klimakollaps. BLICK erwischte den Vordenker via Skype im Homeoffice.

Wenn Sie eine Krise von heute auf morgen abschaffen könnten – welche wäre es: Corona oder Klima?
Den Klimawandel. Wenn man die Anzahl der Menschen berücksichtigt, die deshalb bereits gestorben sind und die deshalb noch sterben werden, muss es leider das sein. Beim Coronavirus haben wir aktuell viel mehr Kontrolle über die Situation. Beim Klima verlieren wir mehr und mehr die Kontrolle, und es wird wahrscheinlich exponentiell zerstörerischer.

Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie die Fotos der verheerenden Waldbrände in Kalifornien sehen?
Ich bin traurig, das ist eine Tragödie. Aber ich bin auch frustriert. Die weltbesten Wissenschaftler warnen seit Jahrzehnten davor, dass so was passiert.

Ist das in Kalifornien schon der Klimakollaps?
Aus dem Blickwinkel müssen wir es sehen, ja. Diese Waldbrände nehmen wegen des Klimawandels zu. Und das hat weitere Folgen: Sie müssen sich die Natur wie ein Spinnennetz vorstellen. Wenn man anfängt, Teile davon zu zerstören, dann reisst man andere Teile auseinander. Das haben wir etwa in Australien mit den schrecklichen Waldbränden Ende 2019 und bis in dieses Jahr hinein gesehen, bei denen Hunderte von Millionen, wenn nicht Milliarden Tiere vertrieben, getötet und verletzt wurden.

In Ihrem letzten Bericht schreiben Sie, vor allem Arme würden von den Folgen des Klimawandels betroffen sein. Die Schweiz ist aber das zweitreichste Land der Welt.
Je wärmer die Erde wird, desto mehr sehen wir auch in unseren Ländern die Folgen. Klar: Direkt spüren wir eher Hochwasser als Tropenstürme. Aber sobald wir die 1,5-Grad-Marke überschreiten, nehmen die indirekten Effekte zu: höhere Lebensmittelpreise etwa, weil weltweit Nahrungsmittelanbau-Regionen betroffen sind und Ernten zerstört werden. Und natürlich noch mehr Nahrungsmittelknappheit auf der Welt. Und das wiederum wirkt sich auf unsere sozialen Wirtschaftssysteme aus.

Also müssen wir unabhängiger von Exporten werden?
Wir wissen schlicht nicht, was passiert. Das ist in diesem globalen Massstab in der Geschichte der Menschheit noch nie zuvor geschehen. Es kann also alles Mögliche passieren – und Wissenschaftler sorgen sich nicht nur um das, was bei Überschreitung des 1,5-Grad-Ziels passiert. Nehmen Sie das Insektensterben, das auch in der Schweiz schon Realität ist. Das kann sich immens auf unsere Möglichkeiten auswirken, Nahrungsmittel anzubauen. Je wärmer die Erde wird, desto wahrscheinlicher werden also diese ziemlich unangenehmen Folgen, die sowohl direkt als auch indirekt sein können.

Kann ich als Einzelperson etwas dagegen tun?
Es müssen nicht alle Veganer werden. Aber der Kampf ums Klima war bislang wie eine Autofahrt mit angezogener Handbremse. Ich bin 31 – jeder in meinem Alter muss sich jetzt bewusst machen: Wir sind die nächste Führungsgeneration. Wenn wir eins in den vergangenen zwei Jahren gelernt haben, dann, dass man auch als einfaches schwedisches Mädchen Millionen Menschen inspirieren kann.

Die Grünen haben bei allen europäischen Wahlen zuletzt gewaltig zugelegt – aber ihre Arbeit wird von der Klimajugend kritisiert.
Wir Forscher sehen, wie uns Politik und Wirtschaft viel mehr Aufmerksamkeit schenken als noch vor zwei Jahren. Die Frage ist, wie es im nächsten Jahrzehnt weitergeht. Das Potenzial für Wandel ist da. Oder konnten Sie sich im Februar vorstellen, auf welche Achterbahn wir uns mit dem Coronavirus begeben werden?

Geschlossene Läden, Flugzeuge am Boden, Jobverlust – die harten Massnahmen waren teuer.
Nicht so teuer, wie das Ganze auszusitzen. Manche Veränderungen müssen jetzt schnell gehen, und das wird nicht unbedingt bequem für einige. Aber wenn wir nichts tun, wird es für viel mehr Menschen ungemütlich. Erst vor ein paar Tagen haben europäische Forscher eine Studie veröffentlicht, die zeigt, dass rund 13 Prozent der Todesfälle in der EU mit der Luftverschmutzung zusammenhängen. Wenn wir uns damit befassen wollen, landen wir zwangsläufig bei der Klima-Krise. Eine andere Studie aus den USA hat vor einigen Monaten gezeigt, dass die Kosten, um als Land das Netto-Null-Ziel zu erreichen, den Gewinnen in Sachen Gesundheit entsprechen – allein durch die Tatsache, dass sich das Problem mit der Luftverschmutzung in den USA so automatisch löst. Ich finde das faszinierend: Die Massnahmen, die wir brauchen, um zu verhindern, dass die Welt in eine absolute Katastrophe schlittert, sind genau die gleichen, die wir ohnehin ergreifen müssen, um eine bessere Welt zu schaffen.

Welches Land macht es Ihrer Ansicht nach am besten?
Es geht für Regierungen darum, bereits bestehende Schäden zu minimieren und sich gleichzeitig darauf vorzubereiten, dass es noch schlimmer wird. Da schneiden europäische Länder insgesamt besser ab. Aber eigentlich sollten wir alle Nationen weltweit als Klima-Entwicklungsländer bezeichnen, weil es bisher noch keiner Nation gelungen ist, ihren Bürgern ein angemessenes Mass an sozialen Gütern zur Verfügung zu stellen und dabei diese kritischen planetarischen Grenzen nicht zu überschreiten. Es ist wirklich traurig, dass darauf vor allem ein 17-jähriges Mädchen ständig hinweisen muss.

Greta Thunberg hat Ihre Berichte in den sozialen Netzwerken geteilt. Kennen Sie sie?
Ich war in ein paar Meetings mit ihr. Wir müssen ihr unglaublich dankbar sein.

Was denken Sie über sie?
Greta ist einzigartig: so jung, so wortgewandt, so einfühlsam. Sie hat enorme moralische Kraft freigesetzt. Das muss jetzt meine Generation nutzen. Wir müssen für Ämter kandidieren und dabei nicht nur unseren Bezirk im Blick haben. Wir müssen die Klimajugend würdig vertreten. Und wir dürfen die Älteren nicht für alles verantwortlich machen, sondern müssen mit ihnen zusammenarbeiten. Vor uns steht die historische Aufgabe, die Biosphäre zu stabilisieren, indem wir versuchen, die Art von Zerstörung, die in den letzten Jahrzehnten angerichtet wurde, wiedergutzumachen.

Können wir das überhaupt wiedergutmachen?
Nicht komplett, nein. Wir müssen lernen, mit dem Klimawandel zu leben – wie auch beim Coronavirus.

Der Lösungssucher

Der Oxford-Absolvent Laurie Laybourn-Langton (31) interessierte sich schon als Teenager für den Klimawandel – «damit war ich damals sehr allein». Er ist froh, dass das Thema jetzt endlich Fahrt aufgenommen hat. Beim progressiven Thinktank IPPR in London leitet er ein Grossprojekt, das politische Antworten auf die Umweltzerstörung und den drohenden Klimakollaps entwickelt. Zuvor war der Physiker und Wirtschaftswissenschaftler Direktor der UK Health Alliance on Climate Change.

zVg

Der Oxford-Absolvent Laurie Laybourn-Langton (31) interessierte sich schon als Teenager für den Klimawandel – «damit war ich damals sehr allein». Er ist froh, dass das Thema jetzt endlich Fahrt aufgenommen hat. Beim progressiven Thinktank IPPR in London leitet er ein Grossprojekt, das politische Antworten auf die Umweltzerstörung und den drohenden Klimakollaps entwickelt. Zuvor war der Physiker und Wirtschaftswissenschaftler Direktor der UK Health Alliance on Climate Change.

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