Enttäuscht. Verletzt. Wütend. So klingt es, wenn die Schweizer Klimajugend über Grüne und Sozialdemokraten spricht. «Es kann nicht sein, dass die linken Parteien unsere Forderungen nicht konsequent vertreten. Wir sind enttäuscht, weil wir ihnen zu ihren Wahlergebnissen verholfen haben», sagt Lena Bühler (17).
Heute Freitag drängt die Klimajugend wieder auf die Strasse. Zum ersten Mal «richtig» seit dem Lockdown. Schweizweit wird an mehr als 20 Orten gestreikt, coronakonform herrscht Maskenpflicht. Und die Jugendlichen sind heisser als das Klima. «Die Politik und die Wirtschaft finden bislang keine angemessene Antwort auf die Klimakrise», kritisiert Bühler.
«Die Grünen verstecken sich hinter uns»
Bei der Klimajugend ist knapp ein Jahr nach der «grünen Welle» bei den Parlamentswahlen die Euphorie vorbei. «Die Grünen verstecken sich hinter uns. Sie selbst fordern nur den politischen Konsens – statt dem, was nötig ist», sagt Mattia de Lucia (19) aus Zürich. Andere Parteien seien natürlich noch schlimmer: «Die Massnahmen der FDP widersprechen dem Klimaabkommen von Paris komplett.»
168-mal war das Klima seit den Wahlen im vergangenen Oktober Thema in Vorstössen, anderen Geschäften oder in der Fragestunde. Zum Vergleich: Corona war 703-mal auf dem Thementableau.
«Auch in einer Krisenzeit ist die eine Krise nicht weniger schlimm als die andere», kritisiert de Lucia.
Corona hätte der Weckruf für die Politik sein müssen, findet Marie-Claire Graf (24), die 2018 den ersten Klimastreik in der Schweiz organisiert hat. «Corona hat gezeigt, dass unser globales Wirtschaftssystem solche Krisen nicht spurlos übersteht – dass Lieferketten zusammenbrechen, dass Schutzmaterial fehlt, dass die Ernährungssicherheit in einzelnen Ländern nicht garantiert ist.» Gleichzeitig zeigten Homeoffice, Abstandsregeln, Maskenpflicht, die beschleunigte Impfstoffentwicklung oder der Wiederaufbau der Wirtschaft, dass «einschneidende und wissenschaftsbasierte Massnahmen» durchsetzbar seien.
Linke Politiker machen Bürgerliche verantwortlich
Von der Politik erwarten die Klimajugendlichen entsprechende Handlungen. Selbst Grüne und SP hätten noch keinen Plan vorgestellt, mit dem die Schweiz bis 2030 auf «netto null» komme. Dabei könnte nur so die Erderwärmung sicher auf 1,5 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter begrenzt werden. Auch das im Frühjahr überarbeitete CO2-Gesetz ist den Klima-Teenies noch zu lasch.
«Wir hätten zum Beispiel gerne Kurzstreckenflüge verboten. In einem Parlament mit der jetzigen Zusammensetzung ist dies aber nicht möglich», rechtfertigt sich Meret Schneider (28, Grüne). «Ich kann nicht mehr machen als Vorstösse einreichen, Kommissionsarbeit leisten und lobbyieren.»
Ähnlich sieht das Mattea Meyer (32, SP): «Ich bin auch enttäuscht. Das CO2-Gesetz, welches das Parlament berät, reicht nicht. Es fehlen griffige Verpflichtungen für den Finanzplatz.» Doch dafür brauche es andere Mehrheiten im Parlament. «Bis jetzt weigern sich die Bürgerlichen, die Klimakrise wirklich ernst zu nehmen.»
Klimajugend will einen Schritt weiter gehen
Unsinn, findet Ruedi Noser (59, FDP). «Wir haben das schärfste CO2-Gesetz, das es je gegeben hat.» Die Forderungen der Klimajugend findet er «extrem» und «demokratiegefährdend». Die Klimajugend wisse zwar viel über globale Klimafragen, jedoch zu wenig über das, was in der Schweiz laufe. «Ich fordere die Klimajugend auf, Verantwortung zu übernehmen.»
Die tut das – auf ihre eigene Weise. Ende September ruft die Klimajugend darum zu einer Woche des «gewaltfreien, massenhaften zivilen Ungehorsams auf». Wie weit sie etwa mit Blockadeaktionen gehen würden – das wollen die Klimajugendlichen noch diskutieren. Klar ist nur: Streiks genügen ihnen nicht mehr.