«Wir sollten Fluggesellschaften nicht einfach retten»
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Wirtschaft in der Corona-Krise:«Wir sollten Fluggesellschaften nicht einfach retten»

Polit-Ökonomin Katherine Trebeck (43)
«Wir sollten Fluggesellschaften nicht einfach retten»

Katherine Trebeck engagiert sich für eine Wellbeing Economy. In der Corona-Krise sieht die australische Polit-Ökonomin auch die Chance auf einen wirtschaftlichen Neustart – wenn sich Politiker jetzt der Debatte stellen.
Publiziert: 25.04.2020 um 23:49 Uhr
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Aktualisiert: 02.01.2021 um 23:01 Uhr
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Katherine Trebeck denkt hauptberuflich laut darüber nach, wie eine bessere Wirtschaft aussehen könnte.
Foto: Robert Ormerod
Interview: Fabienne Kinzelmann

An einem klaren Tag sieht Katherine Trebeck (43) von ihrer Wohnung in Glasgow aus über die Dächer bis zu den Bergen und der Isle of Arran, einer Insel vor Schottlands Westküste. Das Gefühl von Weite ist ein gutes, wenn man seine Tage zu Hause verbringt. Die Polit-Ökonomin freut sich, wenn die Corona-Massnahmen gelockert werden. Im Skype-Gespräch mit SonntagsBlick erklärt sie, was sich dann ändert.

SonntagsBlick: Ist die Welt nach Corona besser oder schlechter?
Katherine Trebeck: Sie ist anders.

Wie meinen Sie das?
Wir müssen neu kalibrieren, was wir als wünschenswerten und erreichbaren Lebensstil ansehen. Gehen die Einkommen auf breiter Front zurück, werden wir nicht mehr so oft auswärts essen gehen können. Das wird sich auf die gesamte Wirtschaft auswirken. Wir sollten jetzt darüber sprechen, wie die Wirtschaft nach Corona aussehen sollte. Ich sorge mich aber, dass die Regierungen nach der Notstandssituation schnell wieder zur Normalität zurückwollen und die Jagd nach einem immer höheren Bruttoinlandprodukt über Umweltschutz, Arbeitnehmerrechte und öffentliche Dienstleistungen stellen.

Warum haben Sie das Bruttoinlandprodukt auf dem Kieker?
Die BIP-getriebene Wirtschaft hat für viele prekäre Arbeitsverhältnisse gesorgt. Volkswirtschaften wie Grossbritannien oder die USA leben von einer ganzen Armee unterbezahlter Arbeiter. Die Corona-Krise zeigt, wie viele es von ihnen gibt und wie zerbrechlich ihre Lebensumstände sind – aber auch, wie sehr die Wirtschaft von ihnen abhängt. Ein neuer Riss verläuft zwischen denen von uns, die vom Küchentisch aus arbeiten können und weiterhin Gehalt bekommen, und denen, die für uns arbeiten und dabei sich selbst und ihre Familien dem Risiko aussetzen müssen, an Corona zu erkranken.

Die Corona-Krise hat die Debatte um systemrelevante Jobs belebt.
Als ich heute Morgen zum Joggen raus bin, sah ich Strassenarbeiter in Sicherheitswesten. Auf ihrem Rücken stand: Schlüsselkraft. Das ist fantastisch! Genau das sollte man zeigen: dass sie es sind, die am Ende alles am Laufen halten. Wer leert denn die Mülleimer, wer sorgt für Sicherheit auf den Strassen, wer löscht ein brennendes Haus, wer pflegt Kranke? Wir haben das zu lange für selbstverständlich gehalten.

Sie setzen sich für die Wellbeing Economy ein, eine Art Wirtschaft des Wohlergehens. Was unterscheidet sie von unserer heutigen Wirtschaft?
In einer Wellbeing Economy würden wir wirklich darüber nachdenken, welche Art von Arbeitsplätzen wir wollen. Welche Art von wirtschaftlichen Aktivitäten und wie wir sie bekommen. Es geht auch darum, die Arbeit besser zu verteilen, damit mehr Menschen eine Arbeit haben. Eine Wirtschaft, in der es weniger prekäre Lebensverhältnisse gibt, bessere Arbeitsbedingungen, viel bessere Arbeitsplatzsicherheit. Ohne Corona hätten wir wohl nicht gesehen, wie viele Menschen einkommensmässig tatsächlich an der Klippe stehen.

Anwältin der Wohlfühlwirtschaft

Die Australierin Katherine Trebeck ist so etwas wie ein erwachsener Klimateenager: Die Polit-Ökonomin engagiert sich bei der Initiative Economists for Future. Als Chef-Lobbyistin der Wellbeing Economy Alliance kämpft sie hauptberuflich für eine Wirtschaft, die menschliches und ökologisches Wohlergehen fördert. Davor arbeitete die promovierte Politikwissenschaftlerin unter anderem für die Hilfsorganisation Oxfam. 2019 erschien ihr letztes Buch «The Economics of Arrival». Darin zeigt sie auf, wie Schulden, Ungleichheit, Klimawandel und eine kaputte Politik den Wohlstand gefährden.

Die Australierin Katherine Trebeck ist so etwas wie ein erwachsener Klimateenager: Die Polit-Ökonomin engagiert sich bei der Initiative Economists for Future. Als Chef-Lobbyistin der Wellbeing Economy Alliance kämpft sie hauptberuflich für eine Wirtschaft, die menschliches und ökologisches Wohlergehen fördert. Davor arbeitete die promovierte Politikwissenschaftlerin unter anderem für die Hilfsorganisation Oxfam. 2019 erschien ihr letztes Buch «The Economics of Arrival». Darin zeigt sie auf, wie Schulden, Ungleichheit, Klimawandel und eine kaputte Politik den Wohlstand gefährden.

Müssen wir in der Krise nicht erst mal Menschen vor der blanken Existenznot bewahren?
Ja. Ein guter Job ist so wahnsinnig wichtig für Menschen. Aber das Wirtschaftswachstum hat nicht unbedingt zu guten Jobs geführt. Manchmal haben Länder ihr Wirtschaftswachstum gesteigert, ohne neue Jobs zu schaffen. Oder wie im Fall etwa von Grossbritannien: eine Zunahme von prekären Anstellungen und Niedrigstlöhnen.

Wäre das in einer Wellbeing Economy nicht passiert?
Es wäre höllisch, das zu behaupten. Aber eine Wirtschaft, die darauf ausgerichtet ist, sich um Menschen zu kümmern, die soziale Gerechtigkeit in den Vordergrund stellt und die Umwelt viel mehr schützt, in lokale Lieferketten investiert und eine Schenkökonomie feiert – das ist das, was wir gerade schon sehen. All diese Gruppen zur gegenseitigen Hilfeleistung, Menschen, die sich gegenseitig unterstützen, all diese Aktivitäten werden keinen Unterschied beim BIP machen, weil sie nicht vermarktet werden. Und doch ist es das, was den Menschen das Überleben ermöglicht.

Kann die Politik diese Aspekte überhaupt nach wirtschaftlichen Kriterien erfassen?
Das BIP kam nach der grossen Depression auf, um den Erfolg der Wirtschafts- und Sozialreformen zu messen. Da ging es darum, wirtschaftlich an Boden zu gewinnen. Aber die alten Rezepte nützen uns angesichts der Corona-Krise und der Klimakrise nichts. Wir erleben gerade weltweite Zusammenbrüche der Umwelt. Für die Gegenmassnahmen können wir nicht weiterhin den Gesamtwert von Gütern als Massstab nehmen.

Warum sind Sie so versessen auf einen neuen Messwert?
Weil er politische Entscheidungen beeinflusst. Die Wirtschaft ist etwas, was durch Politik kreiert wird. Das ist etwas, was man ändern kann. Wir können sie umkrempeln. Und die Politik setzt dann vielleicht andere Anreize für bestimmte Unternehmen. Wir sehen doch gerade weltweit: Es gibt Unternehmen, die von der Krise profitieren – und Unternehmen, die kurzfristige Gewinne vernachlässigen, um Teil einer positiven kollektiven Lösung zu sein. Das ist die Art von Unternehmen, von der wir für eine Wellbeing Economy mehr brauchen.

Sollte eine Regierung nicht-nachhaltige Unternehmen wie etwa Fluggesellschaften retten?
Wir werden auch nach Corona in einer Welt leben, die Bewegung und Reisen erfordert. Aber in dem Mass, wie wir das vor Corona gemacht haben, haben wir den Planeten enormem Stress ausgesetzt. Umweltkosten sind in Flugtickets zum Beispiel nicht eingepreist. Von Glasgow aus ist es für mich billiger, nach London zu fliegen, als den Zug zu nehmen. Das ist verrückt. Wenn Fluggesellschaften jetzt Rettungspakete wollen, sollte das an Konditionen geknüpft sein. Geld vom Steuerzahler muss mit der Erwartung einhergehen, dass die Unternehmen am Aufbau einer mitfühlenden, sozialeren und gerechteren Gesellschaft mitwirken.

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