Deutsche «Fridays for Future»-Initiatorin zum Klimakampf
«Wir können uns kein weiteres Jahr mehr leisten!»

Luisa Neubauer ist Anführerin der deutschen Klimabewegung. Zum Auftakt des Klimajahrs spricht sie mit uns über interne Streits, radikalen Protest – und warum sie sich nicht für ein politisches Amt bewirbt.
Publiziert: 03.01.2021 um 00:45 Uhr
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Aktualisiert: 09.03.2021 um 12:07 Uhr
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Die Studentin Luisa Neubauer (24) startete die Bewegung «Fridays for Future» in Deutschland.
Foto: imago images
Interview: Fabienne Kinzelmann

Luisa Neubauer denkt mit gemischten Gefühlen an die Schweiz. «Skurril» fand sie das Weltwirtschaftsforum (WEF): kein klares Ziel, viel Händeschütteln. Dafür hatte sie «eine wunderbare Gastfamilie», schwärmt die bekannteste deutsche Klimaaktivistin in unserem Gespräch. «Ich bin noch nie so freundlich empfangen worden wie in Davos!»

War 2020 ein gutes Jahr fürs Klima oder ein schlechtes?
Luisa Neubauer: Rein physikalisch gesehen war 2020 das Jahr, in dem wir die Klimakrise in einer Härte erlebt haben, wie noch nie zuvor. Es wird jedes Jahr krasser. Wir hatten den heissesten November überhaupt, beispiellose Stürme in Mittelamerika. Gleichzeitig gefährden die globalen Corona-Hilfen die Klima-Ambitionen, weil Fantastilliarden investiert werden, und das oft ohne Verbindlichkeiten in Sachen Klimaschutz. Das ist hochgradig beunruhigend.

Aber gleichzeitig haben sich auch so viele Länder wie noch nie zu Klimazielen verpflichtet – sogar China.
Klimaschutz in Form von Absichtserklärungen ist wenig handfest, die Bilanz bisheriger Klimaziele ist ernüchternd. Wenn wir Aktivisten auf die Einhaltung pochen, heisst es, die Umsetzung sei zu radikal. Die neuen Netto-null-Ziele täuschen darüber hinweg, dass die grossen Veränderungen in den nächsten fünf Jahren gemacht werden müssen. Entscheidend sind darum erst mal verbindliche Klimaziele bis 2025.

Beim WEF hat Ihnen Greta Thunberg widersprochen, als Sie sagten, 2020 sei das letzte Jahr, um eine Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad sicherzustellen. Haben Sie sich dazu ausgesprochen?
Das war ein Missverständnis. Greta wollte, dass meine Aussage nicht missinterpretiert wird. Mir ging es um die Szenarien des Weltklimarats, der klar zeigt, an welchem Punkt eine Stagnation der Emissionen eintreten muss. Also wann die globalen Emissionen anfangen müssen zu sinken, wenn es keine zusätzliche Technologie gibt – und die ist noch nicht erfunden. Für viele Szenarien hätten im vergangenen Jahr die Emissionen stagnieren müssen. Wir wissen noch nicht, ob das erreicht worden ist.

Vor Corona war das Thema Klima dauerpräsent. Haben Sie unter dem Bedeutungsverlust gelitten?
Unsere Bewegung ist krisengeprüft: Jeden Tag beschäftigen wir uns damit, wie man mit einer Krise klarkommt. Man definiert die Lage neu, hört auf die Wissenschaft, passt die Strategien an und ändert sein Verhalten. Um den Druck auf die Entscheidungsträger aufrechtzuerhalten, haben wir zum Beispiel 10’000 Protestschilder vor den Deutschen Bundestag gelegt und den grössten digitalen Streik Deutschlands organisiert. Die Klimakrise ist keinesfalls aus dem politischen Blickfeld gerückt.

Für Ihr Auftreten und unabgesprochene Aktionen hagelte es aus den eigenen Reihen Kritik. Stört Sie das?
Es spricht für die Bewegung, dass wir Dinge nicht einfach so hinnehmen und zu allem blind Ja und Amen sagen. Wie Konflikte in den Medien aufbereitet werden, ist eine andere Geschichte. Es gibt eine Diskrepanz zwischen dem, was medial dargestellt wird und wie es wirklich ist.

Die Kritik an Ihrem Treffen mit Angela Merkel war aber schon sehr heftig, Ortsgruppen haben sich öffentlich distanziert.
Wir haben interne Konflikte. Die gibt es bei jeder Sache, die wir machen, bei jeder Aktion und bei jeder strategischen Entscheidung, die wir gemeinsam treffen oder auch mal nicht. Es wäre fatal, wenn wir bei Zigtausenden Aktivistinnen und Aktivisten keine Vielfalt an Perspektiven hätten. Wir vereinen uns aber hinter der Wissenschaft und dem Pariser Abkommen.

Mittlerweile auch verstärkt mit Bewegungen wie Extinction Rebellion. Wie radikal darf der Protest Ihrer Ansicht nach sein?
Sie fragen, welche Aktionsformen ich für legitim halte, etwa in Sachen ziviler Ungehorsam? Von Gewaltbereitschaft halte ich nichts. «Fridays for Future» ist eine friedliche Bewegung. Bei einer Besetzung wie etwa im Dannenröder Forst (einem für eine Autobahn gerodeter Wald in Hessen – Anm. der Red.) trägt jeder Mensch die eigene Verantwortung für seine Aktionen.

Dort gab es offenbar Gewalt seitens der Polizei wie auch von Aktivisten. Tragen Sie die nicht indirekt mit, wenn Sie dabei sind?
Nein. Es gäbe keine grosse Bewegung, wenn alle nach Hause gehen würden, sobald ein Einzelner etwas Unüberlegtes macht. Es geht um den Charakter des Protestes. Es ist auch schwierig, von aussen nachzuvollziehen, was vor Ort passiert. Im Danni habe ich selbst die unfassbare Aggression seitens der Polizei erlebt. Wir müssen uns aber immer fragen, wie wir Gewalt von unserer Seite aus verhindern und einen Aktionskonsens herstellen können.

Wir können uns aber auf mehr Besetzungen einstellen?
Wir werden immer wieder an Punkte kommen, an denen alle anderen Methoden ausgeschöpft sind. Strategischer, friedlicher ziviler Ungehorsam wird wichtig sein in der Klimabewegung – in Ausnahmesituationen, in denen das herrschende Unrecht so gross ist, dass man sich nicht an Regeln und Gesetze halten kann. Wann solche Aktionen legitim sind, ist aber immer eine Kontextfrage. Und da muss man vorsichtig sein.

Wollen Sie nicht anfangen, aktiv mitzugestalten? Der Siemens-Chef hatte Ihnen einen Aufsichtsratsposten in einem Umweltgremium angeboten.
Klimaschutz darf nicht nur das Problem von Aktivisten sein. Das funktioniert nur, wenn sich jeder Mensch, jede Chefin, jedes Unternehmen darum kümmert. Politische Verantwortung zu übernehmen, heisst nicht nur, sich auf ein Mandat zu bewerben oder in einem Aufsichtsrat zu sitzen. Deswegen bewerbe ich mich auch nicht für den Bundestag. In Zeiten der Klimakrise liegt politische Verantwortung auch in der Zivilbevölkerung und wir bei «Fridays for Future» wollen zeigen, wie das aussehen kann.

Im September ist die Bundestagswahl, Sie selbst sind Grünen-Mitglied. Wissen Sie schon, wo Sie Ihr Kreuz setzen?
Darüber möchte ich nicht sprechen. Bis dahin hat noch jede Partei richtig viel zu tun. Die Grünen wollen die Erderwärmung mittlerweile auf 1,5 Grad begrenzen, das war ein grosser Schritt. Aber auch die anderen sind in der Pflicht. Würden sie sich drum kümmern, könnten alle Parteien die richtige Politik machen.

Wofür ist 2021 wirklich das letzte Jahr?
Wir können uns kein weiteres Jahr mehr leisten, in dem nicht wirksam und konsequent gehandelt wird. Wir müssen die Corona-Krise nachhaltig gerecht und wirksam bewältigen und gleichzeitig die Klimakrise angehen. Australien brennt schon wieder und kaum einer sieht hin.

Luisa Neubauer – Persönlich

Die deutsche Klimaaktivistin Luisa Neubauer (24) traf Greta Thunberg im Dezember 2018 beim Klimagipfel in Kattowitz (Polen), kurz darauf organisierte sie den ersten Schulstreik in Deutschland. Neubauer lebt in Berlin und studiert im Master Geographie an der Universität Göttingen. Auf Spotify hat sie seit Oktober ihren Klima-Podcast «1,5 Grad».

Getty Images

Die deutsche Klimaaktivistin Luisa Neubauer (24) traf Greta Thunberg im Dezember 2018 beim Klimagipfel in Kattowitz (Polen), kurz darauf organisierte sie den ersten Schulstreik in Deutschland. Neubauer lebt in Berlin und studiert im Master Geographie an der Universität Göttingen. Auf Spotify hat sie seit Oktober ihren Klima-Podcast «1,5 Grad».

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