Marie-Claire Graf (24) ist im Stress. Die Baselbieterin jongliert gleichzeitig Uni, Aktivismus und politisches Engagement. «Und heute musste ich mit meiner Schwester noch ein neues Protestschild malen», erzählt sie BLICK am Telefon. Für den Klimastreik am Freitag in Bern sei ihr altes zu abgenutzt gewesen.
Frau Graf, wenn Sie die Wahl haben: Luisa Neubauer oder Greta Thunberg?
Greta.
Extinction Rebellion oder Fridays for Future?
Beides.
Dialog oder ziviler Ungehorsam?
Dialog.
Haben Sie deshalb beim illegalen Protestcamp auf dem Bundesplatz gefehlt?
Ich war am Montag kurz da. Aber mehr ging nicht, weil ich enorm viel zu tun habe – unter anderem mit der gerade laufenden Generalversammlung der Vereinten Nationen. Ich arbeite bis zu 16 Stunden am Tag. Am Mittwochmorgen wollte ich dann noch mal nach Bern, aber da war schon geräumt.
Hätten Sie sich denn angekettet, wenn Sie rechtzeitig da gewesen wären?
Das kann schon passieren. Je nachdem, wie es läuft.
Glauben Sie, dass Ihr politisches Engagement mehr bringt als Protest?
Die Auswirkungen der Klimakrise sind so gravierend, dass es beides braucht. Wir brauchen wirklich einen Systemwandel, und das muss in Politik und Bevölkerung ankommen. Da braucht es Druck von innen und aussen.
Bill Clinton, Emmanuel Macron – und natürlich Greta Thunberg: Die Selfies in Marie-Claire Grafs (24) Fotoalbum zeigen, wie umtriebig die Studentin aus Gelterkinden BL ist. Die Baselbieterin rief zahlreiche Umweltinitiativen ins Leben und organisierte 2018 hierzulande den ersten Klimastreik. Im vergangenen Jahr verhandelte sie für die Schweiz beim Klimagipfel in Madrid.
Bill Clinton, Emmanuel Macron – und natürlich Greta Thunberg: Die Selfies in Marie-Claire Grafs (24) Fotoalbum zeigen, wie umtriebig die Studentin aus Gelterkinden BL ist. Die Baselbieterin rief zahlreiche Umweltinitiativen ins Leben und organisierte 2018 hierzulande den ersten Klimastreik. Im vergangenen Jahr verhandelte sie für die Schweiz beim Klimagipfel in Madrid.
Sind Sie nicht selbst mittlerweile Teil vom System?
Ich sehe mich als Brückenbauerin und Übersetzerin, die beide Sprachen spricht.
Wie zufrieden sind Sie mit der Schweiz in Sachen Klimaschutz?
Es ist nicht viel passiert. Das CO2-Gesetz geht nicht weit genug, um die Klimakrise einzudämmen und das Pariser Klimaabkommen einzuhalten. Und wir sind auch in Sachen Klimagerechtigkeit nicht auf dem richtigen Weg. Unser Wohlstand schadet anderen Ländern. Dabei haben wir das Wissen und die Ressourcen, um vorbildlichen Klimaschutz zu leisten.
Warum scheitert die Schweiz?
Die Entscheidungsträger sind nicht repräsentativ für die Bevölkerung. Es gibt eine klare Mehrheit älterer männlicher Personen, die sich entweder nicht genug mit den Fakten auseinandersetzen oder sich aus machtpolitischen und finanziellen Gründen verschliessen. Es gibt eine kräftige Lobby, die versucht, das jetzige System zu erhalten, auch wenn es destruktiv ist. Ausserdem handelt unser politisches System zu langsam. Dabei hat die Corona-Krise gezeigt, dass die Politik schnell handeln und sich die Bevölkerung auch anpassen kann. Daher muss der Klimanotstand ausgerufen werden – mit allen nötigen Massnahmen.
Was meinen Sie denn eigentlich mit «Systemwandel»?
Das System muss hin zu einer repräsentativen Politik. Die Leute müssen wieder den Sinn darin sehen, sich zu beteiligen. Das kann zum Beispiel durch lokale Bürgerinnenversammlungen erreicht werden, aus London gibt es da tolle Erfahrungswerte.
Warum lancieren Sie keine Volksinitiative?
Zum einen dürfen unter 18-Jährige nicht mitstimmen. Zudem dauert eine Volksinitiative viel zu lange, diese Zeit haben wir nicht. Und man kann man sich in unserem direktdemokratischen System einkaufen. Welches Geld wohin fliesst, ist in der Schweiz nicht ausreichend offengelegt. In anderen Ländern würde man das einfach Korruption nennen.
Hat das linke Lager etwa beim CO2-Gesetz nicht einfach schlecht verhandelt?
Die grüne Welle bei den letzten Parlamentswahlen reicht offensichtlich nicht. Es braucht von allen Parteien viel mehr Anstrengungen – auch von zum Beispiel der SVP. Ich würde mir wünschen, dass alle Parteien sich zumindest auf die wissenschaftlichen Fakten beziehen. Der Klimaschutz ist keine Frage von links oder rechts. Wir sehen uns als Bevölkerungsbewegung, die sich um das Klima sorgt.
Kritiker werfen Ihrer Bewegung vor, zu elitär und abgehoben zu sein.
Historisch gesehen starten Bewegungen oft an Universitäten oder Bildungsinstitutionen. Aber wenn Hunderttausende in der Schweiz auf die Strasse gehen, sind das nicht nur akademische Städter. Daran sehen wir, dass wir einen enormen Rückhalt in der Bevölkerung haben.
Haben Sie sich den mit dem illegalen Protestcamp nicht verspielt?
Nein. Das hat es gebraucht und die Diskussionen um das CO2-Gesetz im Parlament befeuert.
Stört es Sie nicht, dass Sie dafür mit den radikalen Klimaschützern von Extinction Rebellion zusammenarbeiten mussten?
Es wurde nichts zerstört und keine Gewalt angewendet. Schlussendlich arbeiten wir alle auf dasselbe Ziel hin: Wir sind im fürs Klima entscheidenden Jahrzehnt und noch nicht auf dem richtigen Weg.
Die Klimajugend hat zivilen Ungehorsam anfangs abgelehnt. Vor einem Jahr begannen Einzelne etwa mit «Die-ins», bei denen sich Teilnehmer wie tot auf den Boden legen. Nun das illegale Protestcamp. Wie weit gehen Sie noch, um Ihr Ziel zu erreichen?
Gewalt an Personen oder Dingen ist tabu. Ansonsten tun wir alles, was unser Aktionskodex erlaubt, um den «social tipping point» zu erreichen. Wir machen weiter, bis wir 3,5 Prozent der Bevölkerung hinter uns haben – das ist laut einer Cambridge-Studie die kritische Masse, um Wandel zu erwirken.
Rund 300'000 Menschen sollen dafür reichen?
Ich war auch überrascht. Aber die Geschichte besagt das.
Und es ist Ihnen egal, dass das trotzdem nur eine Minderheit wäre?
Das ist doch auch heute so. Wer entschiedet denn heute im Bundeshaus oder bei Firmen, wie unsere Zukunft gestaltet wird? Der Wandel, den wir anstreben, soll vielen Menschen zugutekommen und nachhaltiger sein als das heutige System. Leute, die unsere Forderungen zu radikal finden, sollten dringend die entsprechenden wissenschaftlichen Berichte lesen. Zum Beispiel die Klimaszenarien für die Schweiz.
Ihre Gspänli hätten am Freitagabend mit Roger Köppel in der «Arena» diskutieren sollen – und haben abgesagt. Finden Sie das richtig?
Ich wurde auch angefragt und habe aus demselben Grund abgesagt. Es bringt nichts, mit Menschen zu diskutieren, die den menschengemachten Klimawandel leugnen und keine Lösung finden möchten.
Er bietet Ihrer Bewegung nun eine Seite in der «Weltwoche» an. Nehmen Sie das Angebot an?
Das müssen wir noch diskutieren.
«Warum streikt ihr nicht einfach?», fragte Greta Thunberg – damals noch weitgehend unbekannt – die Schweizerin Marie-Claire Graf im Dezember 2018 auf dem Uno-Klimagipfel in Kattowitz (Polen). Graf erinnert sich: «Ein paar andere und ich haben dann die erste Chatgruppe für Interessierte ins Leben gerufen – innerhalb von ein paar Stunden waren Hunderte Leute drin.» Am 14. Dezember 2018 fand der erste Klimastreik in Zürich statt. Von der Deutschschweiz aus schwappte der Protest auf die Romandie über. Beim bislang grössten Protest gingen am 28. September 2019 bis zu 100'000 Menschen in Bern auf die Strasse.
«Warum streikt ihr nicht einfach?», fragte Greta Thunberg – damals noch weitgehend unbekannt – die Schweizerin Marie-Claire Graf im Dezember 2018 auf dem Uno-Klimagipfel in Kattowitz (Polen). Graf erinnert sich: «Ein paar andere und ich haben dann die erste Chatgruppe für Interessierte ins Leben gerufen – innerhalb von ein paar Stunden waren Hunderte Leute drin.» Am 14. Dezember 2018 fand der erste Klimastreik in Zürich statt. Von der Deutschschweiz aus schwappte der Protest auf die Romandie über. Beim bislang grössten Protest gingen am 28. September 2019 bis zu 100'000 Menschen in Bern auf die Strasse.