Die Forderungen der Klimaaktivisten im Realitätscheck
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Was realistisch ist:Die Forderungen der Klimaaktivisten im Realitätscheck

Was für die Schweiz realistisch, umsetzbar und verträglich ist
Die Forderungen der Klimaaktivisten im Realitätscheck

Sind die Forderungen der Klimaaktivisten umsetzbar? BLICK macht den Check. Und sagt, was realistisch ist.
Publiziert: 23.09.2020 um 23:11 Uhr
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Aktualisiert: 04.12.2020 um 13:39 Uhr
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Jetzt ist der Bundesplatz in Bern wieder leer. Zwei Tage lang war er trotz Verbot von den Klimaaktivisten besetzt worden.
Foto: keystone-sda.ch
Franziska Scheven

Eine drastische Verschärfung der Klimaziele. Schon bis 2030 soll die Schweiz CO2-neutral sein! Das ist eine der Hauptforderungen der Klimaaktivisten, die die letzten Tage den Bundesplatz in Bern besetzt haben – trotz Verbot. Dass es dringend griffige Massnahmen braucht, um das Klima zu schützen, ist unbestritten.

Die Hauptforderung der Klimaaktivisten lautet: In der Schweiz sollen ab 2030 nicht mehr Treibhausgase ausgestossen werden, als das Ökosystem wieder binden kann.

«Zwei schlechte Entscheidungen»

In der Theorie ist die Forderung umsetzbar, sagen Klima-Experten im Gespräch mit BLICK. In der Praxis ist das aber mehr als ambitioniert. «Das wird negative wirtschaftliche Folgen haben, und einen demokratischen Konsens dazu wird es kaum geben», sagt Christian Zeyer (58), Direktor von Swisscleantech, dem Wirtschaftsverband klimabewusster Unternehmen.

Die Forderung umzusetzen, bedeutet laut Zeyer konkret: Wir dürften kein Fleisch mehr essen, müssten in kleinere Wohnungen ziehen, im Winter weniger heizen und sofort auf Heizöl verzichten. An Fernreisen und Mobilität mit Autos und Flugzeugen ist gar nicht mehr zu denken, wolle man bis 2030 klimaneutral sein.

Man dürfe aber auch nicht vergessen: «Nichts zu tun, wird unseren Wohlstand genauso beeinträchtigen» sagt Zeyer. «Es wäre eine Wahl zwischen zwei schlechten Entscheidungen.»

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Ein Systemumsturz birgt Gefahren

Das aktuelle CO2-Gesetz der Schweiz sieht eine Reduzierung der Treibhausgasemissionen in den nächsten zehn Jahren um 50 Prozent gegenüber 1990 vor. Damit solle man zufrieden sein, sagt Kurt Lanz (48) von Economiesuisse. Er ist verantwortlich für das Umweltdossier beim Wirtschaftsdachverband.

«Klimaneutralität bis 2030 ist völlig unrealistisch», sagt er. Allein die Revision des aktuellen CO2-Gesetzes habe drei Jahre gebraucht. «Und das Gesetz erreicht ‹nur› 50 Prozent Einsparungen – wenn alles klappt.»

«Marktwirtschaft ist besser als Staatswirtschaft»

Seine 19-jährige Tochter ist ebenfalls bei der Klimajugend aktiv. Die beiden diskutieren laufend über dieses Thema. «Ein Systemwechsel ist gut, aber nicht, indem die Marktwirtschaft gegen eine Staatswirtschaft getauscht wird.» So warnt Lanz vor den radikalen Forderungen der Klimaaktivisten – und seiner Tochter.

Was es laut Lanz ausserdem zu bedenken gilt: Es muss länderübergreifend agiert werden, um wirklich eine Veränderung herbeizuführen. Es brauche Anreize auf internationaler Ebene, bei der positive Klimabeiträge in der Wirtschaft belohnt werden. «Wenn nur die Schweiz ehrgeizige Massnahmen ergreift, bringt das dem Klima wenig.»

Ambitionierter Klimaschutz kann teuer werden

Klimaneutralität bis 2030 hätte wirtschaftliche Folgen. Die finanziellen Kosten habe aber niemand professionell erhoben, sagt ETH-Klimaforscherin Sonia Seneviratne (46).

Sie findet, die Schweiz könne im internationalen Klima-Vergleich noch aufholen. «Es gibt Länder, die stehen deutlich besser da als die Schweiz und zeigen eine stärkere Abnahme des CO2-Fussabdrucks in den letzten Jahren», sagt Seneviratne. «Ausserdem sind diese Länder auch ambitionierter, was ihre Klimaziele angeht.» Als Beispiel nennt sie Finnland, das in seinem CO2-Gesetz vorsieht, die Klimaneutralität bis 2035 zu erreichen.

«Der Grund für den grossen CO2-Fussabdruck in der Schweiz liegt vor allem an der starken Konsumzunahme von Privatpersonen und Unternehmen. Es muss klüger und klimafreundlicher eingekauft werden», sagt Seneviratne. Ihr Vorschlag: eine Steuer auf importierte Güter mit einem besonders starken CO2-Fussabdruck.

Menschenrettung – nicht Umweltschutz

Bei der ganzen Diskussion vergisst man laut Christian Zeyer von Swisscleantech aber vor allem eins: Es gehe nicht darum, die Natur zu retten. «Der Natur ist es egal, was hier passiert. Die hat schon viele Ausrottungen und Katastrophen überstanden.»

Sie brauche keine Klimajugend, um beschützt zu werden. Der Schlüssel liegt in der Kooperation und dem verantwortungsvollen Umgang mit der Natur, damit sie uns weiter als Grundlage unseres Lebens zur Verfügung stehe. «Hier geht es vor allem darum, die Menschen zu schützen.»

Das fordern die Klimaaktivisten auch noch

Die Klimaaktivisten wollen die geltende Ordnung grundlegend ändern. Wie genau, das halten sie – auf Englisch – in einem 11-seitigen Forderungskatalog fest.

Die Demokratie müsse partizipativ angelegt sein, einschliesslich Wahlrecht ab 16 Jahren für alle in der Schweiz lebenden Bewohnerinnen und Bewohner und inklusive einer «Bürgerversammlung». Wie sich diese neue Institution zusammensetzt? Unklar. Dass die Aktivisten mit der Besetzung des Bundesplatzes gegen das Gesetz verstossen, um ihre partizipativen Forderungen in unserer direkten Demokratie durchzusetzen – ein Widerspruch.

Im Finanzbereich muss man punkto Klimaschutz weiterkommen. Die Aktivisten fordern, dass Finanzgeschäfte nur noch unter dem Kriterium der Treibhausgas-Neutralität getätigt werden sollen. Die Grossbank Credit Suisse, die von den Aktivisten angeprangert wird, wehrt sich: «Wir haben die Richtlinien in den letzten Jahren kontinuierlich verschärft und konkrete Massnahmen für den Klimaschutz ergriffen.»

Die Forderungen für die Landwirtschaft: keine Werbung für Fleisch- und Milchprodukte, Regulierung des «Preis- und Versorgungsoligopols Migros und Coop», Einstellung internationaler Handelsabkommen für Lebensmittel. Franziska Scheven

Die Klimaaktivisten wollen die geltende Ordnung grundlegend ändern. Wie genau, das halten sie – auf Englisch – in einem 11-seitigen Forderungskatalog fest.

Die Demokratie müsse partizipativ angelegt sein, einschliesslich Wahlrecht ab 16 Jahren für alle in der Schweiz lebenden Bewohnerinnen und Bewohner und inklusive einer «Bürgerversammlung». Wie sich diese neue Institution zusammensetzt? Unklar. Dass die Aktivisten mit der Besetzung des Bundesplatzes gegen das Gesetz verstossen, um ihre partizipativen Forderungen in unserer direkten Demokratie durchzusetzen – ein Widerspruch.

Im Finanzbereich muss man punkto Klimaschutz weiterkommen. Die Aktivisten fordern, dass Finanzgeschäfte nur noch unter dem Kriterium der Treibhausgas-Neutralität getätigt werden sollen. Die Grossbank Credit Suisse, die von den Aktivisten angeprangert wird, wehrt sich: «Wir haben die Richtlinien in den letzten Jahren kontinuierlich verschärft und konkrete Massnahmen für den Klimaschutz ergriffen.»

Die Forderungen für die Landwirtschaft: keine Werbung für Fleisch- und Milchprodukte, Regulierung des «Preis- und Versorgungsoligopols Migros und Coop», Einstellung internationaler Handelsabkommen für Lebensmittel. Franziska Scheven


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