Herr Rifkin, vor einem halben Jahr haben wir uns in Berlin vor dem Brandenburger Tor getroffen. Dort versammelten sich Tausende von Jugendlichen dichtgedrängt zu Fridays for Future – jetzt führen wir einen Video-Call. Was ist passiert?
Jeremy Rifkin: Ein Wendepunkt der Menschheitsgeschichte ist angebrochen.
Sie wurden 1945 geboren, am Ende des Zweiten Weltkriegs. Ist die Coronavirus-Krise das Schlimmste, was Sie seitdem erlebt haben?
Jeremy Rifkin: Ja, ist es. Das Coronavirus zeigt uns auf, dass wir vom Aussterben bedroht sind. Und wie fragil die Menschheit ist, wenn sie den Klimawandel jetzt nicht endlich vollzieht und sich von fossilen Energieträgern verabschiedet.
Was hat ein Virus mit dem Klimawandel zu tun?
Pandemien haben in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen. Wir hatten Sars, Ebola, Schweinegrippe. Das Coronavirus ist aber im Gegensatz dazu in der westlichen Gesellschaft angekommen. Der Klimawandel löst eine Massenmigration aus, übrigens auch von Tieren, nicht nur von Menschen. Tiere müssen ihr Terrain verlassen und verschleppen Viren, die dann durch die Menschen weiterverbreitet werden. Die Menschen leben heute in riesigen Städten und urbanen Zentren. Das sind Brennpunkte für Ansteckungen. Es werden in Zukunft noch mehr Pandemien kommen.
Wie lassen sich weitere Pandemien verhindern?
Wir müssen in eine neue Ära eintreten: die «Ära der Widerstandsfähigkeit». Es ist höchste Zeit, ein neues Narrativ zu erschaffen. Wie sollen wir Menschen mit dem restlichen Leben auf diesem Planeten in Zukunft umgehen? Bereits heute haben wir rund 75 Prozent der Wildnis, der Natur, auf diesem Planeten eingenommen. Die Krise führt uns auf schmerzliche Art und Weise vor Augen, dass alles miteinander verbunden ist. Wir dachten, wir könnten die Natur kontrollieren. Aber diese Macht haben wir nicht. Das ist die wichtigste Botschaft dieser Krise.
Es braucht also eine apokalyptische Bedrohung, bevor wir umkehren?
Das Coronavirus ist eine grausame, aber wichtige Lektion für die Zukunft. Ich hoffe, diese Krise bringt einen gewaltigen Bewusstseinswandel mit sich. Wir müssen lernen, dass wir tief mit dem Sehnen unseres Daseins verwoben sind, mit all den anderen Lebensformen auf dieser Erde, mit all den Ängsten des Planeten. Deshalb ist der Green New Deal der einzige Weg, den wir nach dieser Krise gehen können.
Die Wirtschaft will aber möglichst rasch wieder hochfahren. Zurzeit interessiert sich niemand für den Green New Deal.
So schlimm die Coronavirus-Krise auch ist – sie ist auch eine Chance. Wir sehen jetzt in Echtzeit, wie schnell und gnadenlos die Weltwirtschaft kollabieren kann. Wenn wir mit der Verschmutzung unseres Planeten weitermachen wie bisher, werden wir in einigen Jahrzehnten nur noch so leben wie jetzt, also in Quarantäne und Isolation. Sei es wegen extremen Unwettern, Pandemien, Krankheiten, Verschmutzungen, Bränden
Wird die Krise wirklich ein Umdenken einleiten?
Die Unternehmen haben schon vor Corona begriffen, dass eine auf fossilen Brennstoffen basierende Welt so nicht mehr funktionieren kann. Diese Erkenntnis hat sich nun verstärkt. Das Coronavirus ist ein Schlag ins Gesicht der Globalisierung. Diese Krise hat uns endgültig wachgerüttelt.
Das kann man bezweifeln: Was sind denn die Alternativen für Unternehmen, die nach der Krise in argen Schwierigkeiten stecken?
Der Trend ist eindeutig: Warum sollten Banken weiterhin in fossile Energieträger investieren, wenn klar ist, dass Solar- und Windenergie längerfristig günstiger sind.
Der Ölpreis ist im Keller – auch wegen des Virus. Warum also in andere Energiequellen investieren?
Wenn die Unternehmen so weitermachen, werden sie bald auf sogenannten Stranded Assets sitzen, auf Anlagen, die nichts mehr wert sind. Sie werden Billionen abschreiben müssen. Wenn der Ölpreis auf 20 oder 10 Dollar pro Barrel fällt, dann brechen die grössten Produzenten von fossilen Brennstoffen ein.
Was ist Ihr Rat?
Unternehmen fragen sich zunehmend: Warum sollten wir in das alte System zurückkehren? Es beschert uns Verschmutzung oder eben auch Pandemien. Das führt in eine unkontrollierbare Rückkopplungs-Schleife, die uns irgendwann in die Vergessenheit führt. Ich sehe aber auch viele Entwicklungen, die mich positiv stimmen. Die Banken und Unternehmen sind bereit, in neue Energieformen zu investieren, der politische Wille ist da, zumindest in Europa. Jetzt müssen wir den Green New Deal auf regionaler Ebene umsetzen. Wie auch die Massnahmen gegen das Coronavirus im Lokalen umgesetzt worden sind.
Im Klartext: Die Globalisierung ist uns zum Verhängnis geworden?
Wir haben eine Globalisierung aufgebaut mit riesigen internationalen Unternehmen – mit denen ich übrigens auch zusammenarbeite. Aber sie sind zu zerbrechlich. Sie sind zu sehr auf Auslagerung und Offshoring aufgebaut. Diese negative Seite der Globalisierung wird den USA in dieser Pandemie zum Verhängnis. Wir können keine Beatmungsgeräte auftreiben, es sind keine Medikamente lieferbar. Deshalb sterben jetzt Menschen. Wir müssen von der Globalisierung zu einer Glokalisierung übergehen.
Das klingt nach Wirtschafts-Nationalismus: Grenzen zu und jeder schaut für sich.
Sie können die Welt als Markt nehmen, aber Sie müssen sich in Ihrer Region engagieren. Nationalstaaten werden nicht verschwinden, aber wir müssen wieder vermehrt ein regionales Netzwerk schaffen. Natürlich nicht nur zum Schutz vor Pandemien, sondern auch wegen des Klimawandels. Jetzt ist der Moment da, das wirklich zu ändern. Wir haben die Möglichkeit, ein neues Narrativ zu schaffen, das sich nicht mehr der Zerstörung des Planeten widmet. Nach dieser Krise ist es an der Zeit, den Planeten nachhaltig zu gestalten. Es wird keine zweite Chance mehr geben.
Die Welt brennt: Millionen werden arbeitslos, Menschen sterben – und Sie reden vom New Green Deal. Das kann zynisch wirken.
Nein, weil wir jetzt hautnah spüren, wie schnell das Wachstum zu Ende gehen kann. Mit einem Ereignis, auf das zwar einige Virologen hingewiesen haben, aber die Welt völlig unvorbereitet getroffen hat. Ich bin kein Experte in Pandemien – aber im Herbst wird es eine zweite Welle geben, vorerst bis zum nächsten Frühjahr. Die Globalisierung, wie wir sie bis anhin gekannt haben, wird dann vorbei sein. Wir haben verstanden, wie zerbrechlich unsere Lieferketten sind, wie abhängig wir von anderen sind. Die grösste Branche der Welt – der Reise- und Tourismussektor – hat sich über Nacht in Luft aufgelöst.
Was ist das realistischste Wirtschaftsszenario für die kommenden Monate?
Diese Pandemie schafft eine massive Arbeitslosigkeit in den Vereinigten Staaten. Das Zwei-Billionen-Paket wird nicht reichen. In drei oder vier Monaten müssen noch ein paar weitere Billionen dazukommen. Hoffentlich gelingt es uns, die Ausbreitung bis im Sommer einzudämmen. Im Spätherbst wird aber eine zweite Welle kommen. Hoffentlich haben wir bis dahin einen Impfstoff entwickelt.
Der CO2-Ausstoss geht zurück, Skype-Call statt Business-Class-Flug, wir konsumieren weniger: Ist die Coronavirus-Krise Fluch und Segen zugleich?
Die Kohlenstoff-Emissionen sind in China um 25 Prozent gesunken, der Flugverkehr ist praktisch eingestellt. Das ist gut für die Umwelt, aber natürlich schlecht für die Wirtschaft. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir auch bei Entspannung der Krise nicht einfach wieder nachlassen und zur alten Tagesordnung übergehen. Dafür ist diese Krise zu einschneidend. Es gibt keine Alternative mehr für unseren Planeten. Wir müssen endlich erwachsen werden und Verantwortung für unser Handeln übernehmen. Es braucht dazu einen starken politischen Willen auf Regierungsebene – und bei euch in der Schweiz auch auf Kantonsebene.
Werden die USA noch stärker von der Pandemie getroffen als Europa?
In der Schweiz haben Sie ein Gesundheitssystem, dass zusätzliche Betten und Beatmungsgeräte beschaffen kann. In den Vereinigten Staaten haben wir das nicht. Weil die Amerikaner immer die Abkürzung nehmen und nicht vorgesorgt haben. Dieses kurzfristige Denken wird uns nun zum Verhängnis werden. Diese Krise ist eine Folge der neoliberalen Globalisierung. Es ist eine Bankrott-Erklärung der gesamten Wirtschaftslehre. In Europa und in der Schweiz pflegen die Staaten ein sozialeres Marktmodell. Sie haben ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Markt und Gesellschaft, zwischen Wirtschaft und Staat geschaffen. Diese Krise ist das Ergebnis einer Wirtschaftspolitik, die in den Vereinigten Staaten seit langem betrieben wird.
Jeremy Rifkin, geboren 1945 in Denver, gehört zu den bekanntesten Zukunftsforschern. Die Bücher des ausgebildeten Ökonomen wurden in zwanzig Sprachen übersetzt, viele davon wurden internationale Bestseller, etwa «Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft». Rifkin ist Gründer der Foundation on Economic Trends in Washington. Er lehrte an der Wharton Business School und beriet zahlreiche Regierungen und Organisationen – etwa die EU oder in China – sowie Staatschefs, darunter Angela Merkel und Nicolas Sarkozy.
Jeremy Rifkin, geboren 1945 in Denver, gehört zu den bekanntesten Zukunftsforschern. Die Bücher des ausgebildeten Ökonomen wurden in zwanzig Sprachen übersetzt, viele davon wurden internationale Bestseller, etwa «Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft». Rifkin ist Gründer der Foundation on Economic Trends in Washington. Er lehrte an der Wharton Business School und beriet zahlreiche Regierungen und Organisationen – etwa die EU oder in China – sowie Staatschefs, darunter Angela Merkel und Nicolas Sarkozy.
Was macht Ihnen Hoffnung?
Gouverneur Andrew Cuomo in New York macht einen sehr guten Job. Der Gouverneur in Kalifornien – Gavin Newsom – ebenfalls. Sie geben nicht nur mir, sondern auch anderen Menschen Hoffnung. Und sie zeigen einen Trend auf, der sich in Zukunft noch verstärken wird.
Welchen?
Städte auf der ganzen Welt müssen sich zusammenschliessen und gemeinsam etwas erreichen. Wir müssen ins Regionale zurückkehren. Es gibt keine nationale Regierung, die in der Lage ist, Klimakatastrophen und Pandemien zu kontrollieren. Jede Region muss selbst alle Kräfte einsetzen, um die gesamte Bevölkerung zu erreichen, wenn eine Epidemie oder eine Klimakatastrophe wie ein Feuer oder eine Überschwemmung in der Region stattfindet. Die lokalen Unternehmen sind betroffen, die Zivilgesellschaft muss sich darum kümmern.
Sie gehören auch zur Risikogruppe. Wie schützen Sie sich selber?
Ich bin 75 Jahre alt. Ich versuche, mich auf die Dinge zu konzentrieren, die zu tun sind. Ich stehe mit meinen Mitarbeitenden ständig in Kontakt, wir organisieren Video-Calls, machen jetzt mehr Research. Das Coronavirus betrifft uns alle, nicht nur eine gewisse Altersgruppe. 40 Prozent der Fälle weltweit erwischt Menschen, die unter 40 Jahre alt sind. Die Millennials werden in dieser Krise nicht davonkommen.
Verlassen Sie das Haus nicht mehr?
Ich arbeite aus der Ferne mit meinem Team. Meine Frau und ich gehen alle zwei Wochen einkaufen. Dabei treffen wir alle Vorsichtsmassnahmen – Masken aufsetzen, Distanz wahren. Wir Menschen realisieren, dass wir alle miteinander verbunden sind. Es gibt die, die etwas haben, und die, die nichts haben. Aber unser Schicksal hängt nun mehr denn je von dem anderer ab. Die Menschen haben verstanden, dass wir uns gegenseitig helfen müssen, durch diese Krise zu kommen. In dieser Pandemie kommt das Beste aus unserem empathischen Empfinden gegenüber anderen Menschen heraus. Ich habe vor Jahren darüber auch das Buch «Die empathische Zivilisation» geschrieben.
Nehmen wir wirklich Rücksicht? Staaten machen Grenzen dicht, es werden Stimmen laut, man soll doch besser ein paar Ältere sterben lassen, als die ganze Wirtschaft zu gefährden ...
Ich weiss. Aber gleichzeitig ist das ein grosser Moment in der Geschichte der Menschheit. Die Krise erlaubt uns, über uns selbst hinauszugehen und unsere empathischen Impulse auf unseren Nachbarn, auf die ganze Welt auszudehnen. Das ist das, was die Kids gemeint hatten, als sie ihre «Auslöschungsrebellion» mit den Fridays for Future anfingen. Wir betrachten uns vielleicht zum ersten Mal in der Geschichte tatsächlich als vom Aussterben bedrohte Spezies.
Dieser Artikel wurde in der «Handelszeitung» veröffentlicht. Weitere spannende Artikel finden Sie unter www.handelszeitung.ch.
Dieser Artikel wurde in der «Handelszeitung» veröffentlicht. Weitere spannende Artikel finden Sie unter www.handelszeitung.ch.
Empfehlungen des Bundesamtes für Gesundheit, wie Sie sich selbst schützen können:
Hygienemassnahmen
- Hände regelmässig mit Wasser und Seife waschen und/oder Desinfektionsmittel nutzen.
- Nicht in Hände niesen oder husten, sondern Taschentuch oder Armbeuge nutzen. Taschentücher anschliessend sofort korrekt in geschlossenem Abfalleimer entsorgen.
- Bei Fieber und Husten zwingend zu Hause bleiben.
Kontakt minimieren
- Zu Hause blieben und Kontakte mit Personen möglichst minimieren. Nur in Ausnahmesituationen aus dem Haus gehen: Lebensmittel einkaufen / Arzt- oder Apothekenbesuch / Homeoffice ist für Ihre Arbeit nicht möglich / Sie müssen anderen Menschen helfen. Kontakt mit Personen vermeiden, die Atembeschwerden oder Husten haben.
- Wichtig: Keine Begrüssungsküsschen, keine Umarmungen, kein Händeschütteln.
- 2 Meter Abstand zu Mitmenschen halten, beispielsweise beim Anstehen oder bei Sitzungen.
- Öffentliche Verkehrsmittel meiden und Lieferdienste nutzen.
-
Bei Symptomen (Atembeschwerden, Husten oder Fieber) nicht in die Öffentlichkeit gehen und umgehend – unbedingt zuerst telefonisch – eine Ärztin, einen Arzt oder eine Gesundheitseinrichtung kontaktieren.
Informiert bleiben
- An die Regeln und Ansagen der Behörden halten. Infoline Coronavirus: 058 463 00 00, Info-Seite des BAG: bag-coronavirus.ch
Empfehlungen des Bundesamtes für Gesundheit, wie Sie sich selbst schützen können:
Hygienemassnahmen
- Hände regelmässig mit Wasser und Seife waschen und/oder Desinfektionsmittel nutzen.
- Nicht in Hände niesen oder husten, sondern Taschentuch oder Armbeuge nutzen. Taschentücher anschliessend sofort korrekt in geschlossenem Abfalleimer entsorgen.
- Bei Fieber und Husten zwingend zu Hause bleiben.
Kontakt minimieren
- Zu Hause blieben und Kontakte mit Personen möglichst minimieren. Nur in Ausnahmesituationen aus dem Haus gehen: Lebensmittel einkaufen / Arzt- oder Apothekenbesuch / Homeoffice ist für Ihre Arbeit nicht möglich / Sie müssen anderen Menschen helfen. Kontakt mit Personen vermeiden, die Atembeschwerden oder Husten haben.
- Wichtig: Keine Begrüssungsküsschen, keine Umarmungen, kein Händeschütteln.
- 2 Meter Abstand zu Mitmenschen halten, beispielsweise beim Anstehen oder bei Sitzungen.
- Öffentliche Verkehrsmittel meiden und Lieferdienste nutzen.
-
Bei Symptomen (Atembeschwerden, Husten oder Fieber) nicht in die Öffentlichkeit gehen und umgehend – unbedingt zuerst telefonisch – eine Ärztin, einen Arzt oder eine Gesundheitseinrichtung kontaktieren.
Informiert bleiben
- An die Regeln und Ansagen der Behörden halten. Infoline Coronavirus: 058 463 00 00, Info-Seite des BAG: bag-coronavirus.ch