Rudolf Strahm zählt «die wirtschaftsliberalen Staatskritiker, die notorischen Libertären und Anti-Etatisten» zu den Konkursiten des Corona-Jahres: «Sie sind am Ende ihres Lateins und ihrer Glaubwürdigkeit.»
Der Staat hingegen geht für den einstigen Nationalrat und Preisüberwacher gestärkt, wenn nicht siegreich aus dem Pandemie-Jahr hervor, und zwar mitsamt Regierung: «Sie errang bei der Bevölkerung einen so hohen Grad an Vertrauen wie nie zuvor.»
Rudolf Strahm ist ein vorzüglicher Ökonom. Ideologien steht er skeptisch, wenn nicht ablehnend gegenüber. Die religiösen Eiferer des Neoliberalismus verachtet er. Politisch vertritt er einen modernen Sozialstaat, also den gesellschaftlich verpflichteten Kapitalismus als Ausbund historischer Vernunft. Wie könnte er auch anders – als Sozialdemokrat!
In Deutschland hat ebenfalls ein Sozialdemokrat 2020 als Jahr politischer Hoffnungen ausgemacht. Karl Lauterbach, Epidemiologe und derzeit prominentester Arzt der Bundesrepublik, frohlockt: «Was heute an und mit Corona ausprobiert wird, wird morgen im Kampf gegen den Klimawandel zum Einsatz kommen. Wir benötigen Massnahmen zur Bewältigung des Klimawandels, die analog zu den Einschränkungen der persönlichen Freiheit in der Pandemie-Bekämpfung sind.»
Linker Staats-Triumphalismus statt neoliberaler Anti-Etatismus?
Man kann sich das gut vorstellen: Vom Verbot des Autofahrens und Flugzeugfliegens über Beschränkungen der Temperatur beim Heizen im Winter bis zum amtlich verordneten vegetarischen Wochentag, wie ihn die deutschen Grünen schon mal allen Ernstes gefordert haben.
Deshalb ist heute nicht ohne Grund zu fragen: Wohin steuert die demokratische Linke – in der Schweiz, in Deutschland, in Europa?
Der Philosoph Norbert Bolz formuliert die böse Ahnung so: «Wie in den 1960er- und 1970er-Jahren revolutionäres Klassenbewusstsein produziert wurde, wird heute apokalyptisches Umweltbewusstsein produziert – die Bewusstseinsindustrie hat von Rot auf Grün umgestellt.»
Bewusstseinsindustrie? Gemeint sind die Medien, in denen überwiegend grün gedacht und publiziert wird. Rot genügt dort längst nicht mehr. Die Hipster-Linke ist grün. Oder out.
War das Corona-Jahr ihr Lehrjahr? War 2020 ein Trainingscamp für den antikapitalistischen Marsch ins Klima-Paradies?
Oder lässt sich dieses Notstands-Jahr bei genauerem Hinsehen auch anders wahrnehmen? Beispielsweise als Jahr des kapitalistischen Masshaltens – der liberalen Vernunft?
Der Kapitalismus wurde abgebremst, teilweise ausgebremst, um die Pandemie in Schach zu halten. Die Kapitalisten – in den Augen der Grün-Linken die Statthalter des Bösen – unterzogen sich gehorsam den wechselnden Schutzmassnahmen, auch wenn ihnen bisweilen das Verständnis fehlte für Verbote und Gebote, die ihr Geschäft erheblich störten.
Freilich handelten die Manager und Patrons auch als Mitbetroffene. Ein besonderes Loblied ist ihnen nicht zu singen. Befriedigend aber ist die Feststellung: Der freiheitliche Kapitalismus hat sich in der grössten Krise seit Generationen bewährt.
Das Fazit dieses schlimmen Jahres könnte also lauten: Die freiheitliche Gesellschaft hat nicht trotz Wirtschaftsliberalismus überlebt, sie lebt erfolgreich mit ihm. Gibt es irgendwo auf dem Erdball Freiheit ohne Freiheit des Wirtschaftens?
Wer da Unfreiheiten fortführen will, wie sie das Corona-Jahr erzwang, um fortan Jahre des Klimaschutzes zu erzwingen, der will ein anderes System. Philosoph Bolz sagt es so: «Untergangspropheten waren schon immer die erbittertsten Feinde der Aufklärung – das gilt gerade auch für die Öko-Propheten der Klima-Apokalypse.»
Einst hörte die kapitalistische Vernunft auf den Namen Sozialdemokratie. Aus ihren Idealen erwuchs ein vernünftiger Kapitalismus: der sozialen Demokratie verpflichtet, aber frei und kreativ; oft unbändig und ungebändigt, aber stets auf der Suche nach ökonomisch profitablen Lösungen. So wie seine Pharma-Labors – um nur das aktuellste Beispiel zu nennen – gerade erst innerhalb allerkürzester Zeit wirksame Impfstoffe hervorzubringen vermochten.
Wird das Jahr der Corona-Zwangswirtschaft zum Vorbild für kommende Jahre der Klima-Zwangswirtschaft?
Blaupause als Grünpause.