Bergführerin Evelyne Binsack ist entsetzt über Todesdrama am K2
«Trophäen-Jäger und Gier-Touristen, die nur an sich denken»

Dutzende Menschen steigen über einen sterbenden Mann hinweg, weil sie unbedingt auf den Gipfel wollen. Dabei kam es am K2 gemäss einem Bergsteiger zu menschenverachtenden Szenen. Die Schweizer Bergführerin Evelyne Binsack ist entsetzt.
Publiziert: 09.08.2023 um 16:00 Uhr
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Aktualisiert: 09.08.2023 um 18:43 Uhr
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Mohammad Hassan war offenbar schlecht ausgerüstet für einer Gipfelbesteigung – und starb am K2. Die Bergsteigerin Lapka Sherpa fotografierte Hassan kurz vor dem Gipfel.
Foto: Adventure Alpine Guides
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Flavia SchlittlerRoyal- und People-Expertin

Das Todesdrama am K2, mit 8611 Metern der zweithöchsten Berg der Welt, entsetzt auch in der Schweiz. Der pakistanische Höhenträger Mohammad Hassan stürzte ab, lag im Sterben, und Dutzende Menschen stiegen über ihn hinweg, weil sie den Gipfel erreichen wollten. Evelyne Binsack (56), die dreimal am Mount-Everest war und den Gipfel des höchsten Bergs der Welt dabei einmal im Alleingang erreichte, klagt die fehlende Hilfeleistung an: «Was da passiert ist, ist eine Tragödie, die man hätte verhindern können und müssen. Doch am Berg wird der Tourist zum Tier.»

Was man da heute antreffe, seien Trophäen-Jäger, Gier-Touristen und Bucketlist-Leute, die nur an sich denken. «Es gibt keinen Grund, weshalb jemand am Berg stirbt», sagt sie. Viele Touristen würden heute enorme Summen bezahlen, sich ins Basislager hochfliegen lassen, und sich dann mit der Hilfe von Sherpas und Bergführern den Berg hochkämpfen. Wenn die Fixseile von unten bis ganz oben nicht wären, würden 95 Prozent der Gipfeltouristen nicht weit kommen.

Was heute vergessen gehe, sei die psychische Vorbereitung. «Man muss sich immer vorher überlegen. Wie reagiere ich, wenn etwas Unerwartetes eintrifft? Doch wem nur das eigene Ziel, in dem Fall das Erreichen des Gipfels, wichtig ist, der macht sich diese Gedanken offensichtlich nicht.» Die Werte des traditionellen Alpinismus würden hier mit Füssen getreten.

Das Todesdrama am K2 sieht Binsack als gesellschaftliches Problem. «Viele haben nur noch sich und ihren eigenen Egoismus im Fokus. Der Wertezerfall zeigt sich einmal mehr am tragischen Tod des pakistanischen Helfers. Dies ist mit ein Grund, weshalb mich 8000 Meter hohe Gipfel nicht mehr interessieren. Der Berg hat keinen Platz mehr für richtige Bergsteiger, er ist nur noch ein Touristen-Eldorado.»

Natürlich sei eine Bergung auf über 8000 Metern sehr schwierig. «Aber mit Willen und Organisation lässt sich das bewerkstelligen, vorausgesetzt der Verunfallte kann stehen und eigene Schritte tun», sagt Binsack.

Es sei ein menschenverachtendes Verhalten

Die fehlende Hilfeleistung für den pakistanischen Höhenträger Muhammad Hassan, beschreibt auch österreichische Bergsteiger Wilhelm Steindl mit drastischen Worten: «Er ist dort elendig verreckt!» Hassans sei rund eine Stunde lang mit dem Kopf voran und entblössten Beinen in den Seilen gelegen, Dutzende seien über den Sterbenden gestiegen, weil sie unbedingt den Gipfel erreichen wollten. «Es hätte nur drei, vier Leute gebraucht, um ihn herunterzubringen». Es sei ein «menschenverachtendes» Verhalten, sagt er zu der österreichischen Zeitung «Standard».

Hassans Todestag, der 27. Juli, war wegen der Wetterverhältnisse für rund 200 Bergsteiger, wohl die letzte Möglichkeit für einen Gipfelerfolg. Steindl selbst kehrte frühzeitig um, da bereits zwei Lawinen abgegangen waren. Sein Kollege und Kameramann filmte die Besteigung. Erst beim Sichten des Materials sei ihm die Dimension des Todesdramas klar geworden. Auf Drohnenaufnahmen sah Steindl, wie ein Kollege, den Oberkörper des abgestürzten, im Sterben liegenden Hassen massierte.

Widersprüchliche Aussagen zum Todesdrama

«Über die Erzählung von drei unterschiedlichen Augenzeugen kann ich berichten, dass dieser Mann noch gelebt hat, während etwa 50 Leute an ihm vorbei gestiegen sind», sagt Steindl. Es habe keine organisierte Rettungsaktion gegeben, obwohl es Bergführer und erfahrene Sherpas am Berg gehabt hätte.

Hassan war von einer Expeditionsfirma als Helfer beim Installieren von Fixseilen auf dem Weg zum Gipfel angestellt. Er sollte den erfahrenen Seilmonteuren, meistens Sherpas aus Nepal, helfen, den Weg zum Gipfel freizumachen. Das Unglück geschah in einer der schwierigsten Passagen am Berg: im sogenannten «Flaschenhals», einer Querpassage unter einem riesigen Eisblock, kurz vor dem Gipfel.

Wie der Unfall wirklich passierte, dazu gibt es widersprüchliche Aussagen. Ein Sherpa, der im Basislager war, berichtete, Hassan sei gefallen, dabei sei seine Sauerstoffmaske zerbrochen. Tatsache ist, der pakistanische Höhenträger Mohammad Hassan ist tot. Mit ihm hat der Berg, der früher nur von den allerbesten Höhenbergsteigern erklommen werden konnte und heute von den kommerziellen Expeditionsanbietern beworben wird, ein weiteres tragisches Todesopfer gefordert.


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