Mount-Everest-Legende Kari Kobler
«Keiner bezahlt 58'000 Dollar, um Durchfall zu bekommen»

Kein Schweizer stand öfter auf dem Mount Everest als Kari Kobler. Der 68-Jährige, der auch Touren auf den höchsten Berg der Welt anbietet, über unglaubliche Momente, absurde Situationen und lebensgefährliche Abstürze.
Publiziert: 29.05.2023 um 17:46 Uhr
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Kari Kobler (2. v. r.) stand schon sechs Mal auf dem Mount Everest.
Foto: Zvg
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Daniel LeuStv. Sportchef

Blick: Herr Kobler, Sie müssen es wissen: Wie fühlt es sich an, auf dem Mount Everest zu stehen?
Kari Kobler:
Wenn man das erste Mal auf dem Gipfel steht, ist man einfach nur froh, dass man es geschafft hat. Das richtig gute Gefühl hat man aber erst, wenn man wieder gesund unten ist. Je öfter ich später oben war, desto mehr konnte ich den Moment geniessen. Wenn man vom Gipfel aus die anderen Berge runterschaut, ist das einfach nur unglaublich und kaum in Worte zu fassen.

Wer den Everest besteigen will, begibt sich in Todesgefahr. Waren Sie sich dessen immer bewusst?
Ja, aber die Leidenschaft ist grösser als die Angst. Das Bergsteigen hat mich unheimlich beglückt und zufrieden gemacht. Ich habe keine Angst vor dem Tod und bin mir bewusst, dass das Leben irgendwann einmal aufhört. Als Bergsteiger ist man halt schon auch ein Fatalist.

2008 gab es in Ihrer Expedition ein Todesopfer. Was war genau passiert?
Einer der Teilnehmer wollte unbedingt ohne Sauerstoff den Everest erreichen. Auf dem Rückweg merkten wir, dass mit ihm etwas nicht mehr stimmte. Obwohl wir ihm dann Sauerstoff gaben und ein Arzt sich um ihn kümmerte, ist er etwa 100 Meter vor dem Lager IV verstorben, vermutlich an einem Herzinfarkt.

Wie gingen Sie damit um?
In dem Moment hatte ich eine unglaubliche Kraft und schaltete automatisch auf Notbetrieb um. Wahrscheinlich ist das ein Schutz, weil ich als Expeditionsleiter ja verantwortlich war und es das Schlimmste gewesen wäre, wenn ich in einer solchen Situation nicht mehr rational gehandelt hätte. Doch Wochen später kam der Hammer. Ich hatte da schon gedacht, ich hätte es verarbeitet. Dem war aber nicht so.

Everest-Meilensteine

1922
Eine britische Expedition ist die erste, die offiziell das Ziel hat, den Gipfel zu erreichen. Sie schafft eine Höhe von über 8300 Metern.

1952
Die Schweizer Expedition um Raymond Lambert (und Sherpa Tenzing Norgay) stellt mit rund 8600 Metern einen neuen Höhenrekord auf.

1953
Am 29. Mai gegen 11.30 Uhr schreiben Edmund Hillary und Tenzing Norgay Geschichte: Der Mount Everest ist endlich bezwungen.

1956
Innerhalb von 24 Stunden erreichen gleich vier Schweizer erstmals den Gipfel: Ernst Schmied, Jürg Marmet, Hansruedi von Gunten und Dölf Reist.

1975
22 Jahre nach Hillary und Norgay schafft es mit der Japanerin Junko Tabei die erste Frau auf den Everest.

1978
Der Südtiroler Reinhold Messner und der Österreicher Peter Habeler sind die ersten Bergsteiger, die ohne Sauerstoff das Dach der Welt erreichen.

1986
Erhard Loretan und Jean Troillet sind die ersten Schweizer, die ohne Sauerstoff auf dem Gipfel ankommen.

2001
Mit Evelyne Binsack besteigt erstmals eine Schweizer Frau den höchsten Berg der Welt.

1922
Eine britische Expedition ist die erste, die offiziell das Ziel hat, den Gipfel zu erreichen. Sie schafft eine Höhe von über 8300 Metern.

1952
Die Schweizer Expedition um Raymond Lambert (und Sherpa Tenzing Norgay) stellt mit rund 8600 Metern einen neuen Höhenrekord auf.

1953
Am 29. Mai gegen 11.30 Uhr schreiben Edmund Hillary und Tenzing Norgay Geschichte: Der Mount Everest ist endlich bezwungen.

1956
Innerhalb von 24 Stunden erreichen gleich vier Schweizer erstmals den Gipfel: Ernst Schmied, Jürg Marmet, Hansruedi von Gunten und Dölf Reist.

1975
22 Jahre nach Hillary und Norgay schafft es mit der Japanerin Junko Tabei die erste Frau auf den Everest.

1978
Der Südtiroler Reinhold Messner und der Österreicher Peter Habeler sind die ersten Bergsteiger, die ohne Sauerstoff das Dach der Welt erreichen.

1986
Erhard Loretan und Jean Troillet sind die ersten Schweizer, die ohne Sauerstoff auf dem Gipfel ankommen.

2001
Mit Evelyne Binsack besteigt erstmals eine Schweizer Frau den höchsten Berg der Welt.

Wie oft waren Sie selbst in Lebensgefahr?
Ich hatte zwei-, dreimal grosses Glück. Einmal hats mich an der Jungfrau runtergehauen. Ich hatte keinen Stand und keine Zwischensicherung, doch beim Absturz hat sich zum Glück das Seil, was sonst eigentlich nie passiert, in einem Riss verhängt und mir so das Leben gerettet.

Heute ist der Mount Everest ein grosses Business. Wie sehr stört Sie das?
Man kann den Everest ja von der tibetischen Nordseite aus oder von der nepalesischen Südseite aus besteigen. Im Norden ist es immer noch familiär und der Everest so, wie ich ihn kennengelernt habe. Im Süden ist die Situation leider eine andere. Da landen alle zehn Minuten Helikopter. Es gab Phasen, da wurden die Bergsteiger auf 6400 Meter Höhe geflogen.

Wie absurd das Ganze mittlerweile ist, haben Sie 2015 selber erlebt.
Das Jahr des grossen Erdbebens. Wir waren auf 6400 Metern, über uns ein 1000 Meter hoher Felsberg. Zum Glück kamen keine Steine runter, aber wir mussten dann natürlich die Expedition abbrechen. Daraufhin wurde ich von einem Teilnehmer verklagt, weil er ja nicht auf dem Gipfel war. Er verlangte sein Geld zurück. Das war schon absurd. Doch zum Glück war ich schon 2000 das erste Mal oben. Das war noch eine richtig geile Zeit. Am Everest waren damals nur echte Bergsteiger unterwegs, die einfach den Traum hatten, den höchsten Berg der Welt zu besteigen.

Heute ist das anders. Manche sprechen schon vom Luxus am Berg.
Was ist Luxus? Ich habe in meinem Leben bis jetzt etwa 4500 Nächte im Zelt verbracht und musste früher jeden Morgen auf allen vieren rauskraxeln. Heute sind die Zelte so gebaut, dass man aufrecht rein- und rauslaufen kann. Ist das schon Luxus? Oder das Thema Ernährung und Hygiene. Früher wurde darauf nicht geachtet. Heute ist mein Motto: Wenn ich einen Teilnehmer gesund ins Basislager bringe und es ihm dort gut geht, ist die Chance gross, dass er auch auf den Gipfel kommt. Deshalb achten wir darauf, dass es ihm im Basislager gut geht, er nicht zu kalt hat und es einigermassen angenehm ist. Denn keiner bezahlt 58’000 Dollar, um Durchfall zu bekommen. Und was noch wichtiger ist: Bekommst du Durchfall, ist die Chance gross, dass du den Gipfel nicht erreichen wirst, denn wenn man einmal angeschlagen ist, kann man sich auf der Höhe fast nicht mehr erholen.

Werden Sie auch noch ein siebtes Mal auf dem Everest stehen?
Das hoffe ich. Ich werde es 2024 noch einmal versuchen, natürlich von der Nordseite aus. Ich bin jetzt zwar mittlerweile schon 68, fühle mich aber fitter als vor 20 Jahren.

Todesfälle am Mount Everest

Gemäss «The Himalayan Database» kamen am Mount Everest schon 323 Bergsteigerinnen und Bergsteiger ums Leben. Darunter auch drei Schweizer:

  • Der Schweizer Software-Ingenieur Abdul Waraich starb 2021 beim Abstieg vom höchsten Berg der Welt. Todesursache Erschöpfung.
  • Der Tessiner Gianni Goltz starb 2008 während Dreharbeiten zum Dokumentarfilm «Sherpas – die wahren Helden am Everest». Goltz kam beim Abstieg auf etwa 8200 Meter Höhe ums Leben. Zwei Jahre später fanden Sherpas seine Leiche.
  • Der Berner Arzt Simon Burkhardt war 1986 auf dem Weg zum Lhotse und Everest, als ihn eine Lawine in den Tod riss.

Besonders tragisch war das Jahr 2014. Damals liessen gleich 17 Menschen am Mount Everest ihr Leben. Seit 1981 gab es nur in einem Jahr keine Todesfälle: 2020, weil damals wegen Corona keine Besteigungen möglich waren.

Gemäss «The Himalayan Database» kamen am Mount Everest schon 323 Bergsteigerinnen und Bergsteiger ums Leben. Darunter auch drei Schweizer:

  • Der Schweizer Software-Ingenieur Abdul Waraich starb 2021 beim Abstieg vom höchsten Berg der Welt. Todesursache Erschöpfung.
  • Der Tessiner Gianni Goltz starb 2008 während Dreharbeiten zum Dokumentarfilm «Sherpas – die wahren Helden am Everest». Goltz kam beim Abstieg auf etwa 8200 Meter Höhe ums Leben. Zwei Jahre später fanden Sherpas seine Leiche.
  • Der Berner Arzt Simon Burkhardt war 1986 auf dem Weg zum Lhotse und Everest, als ihn eine Lawine in den Tod riss.

Besonders tragisch war das Jahr 2014. Damals liessen gleich 17 Menschen am Mount Everest ihr Leben. Seit 1981 gab es nur in einem Jahr keine Todesfälle: 2020, weil damals wegen Corona keine Besteigungen möglich waren.

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