Es tut sich was in der Oblast Luhansk. Putins Armee zieht gerade tiefe Gräben in die Erde. Auf neusten Satellitenbilder sind mehrere Linien hintereinander zu erkennen. An einigen Stellen werden sogenannte Drachenzähne eingelassen. Dabei handelt es sich um Panzersperren.
Der Grund: Russland hat Angst, weitere Gebiete zu verlieren. «Die Verteidigungslinie besteht aus zwei Reihen von ‹Drachenzähnen›, gefolgt von einem Graben, der wahrscheinlich Fahrzeuge aufhalten soll, und dann Schiessstellungen für Infanterie und Fahrzeuge», schreibt Benjamin Pittet (22) aus Biel über die Bilder. Schon seit Monaten verfolgt der Bauzeichner die Bewegungen der Russen von oben.
Pittet ist kein IT- oder Militärexperte und spricht auch kein Russisch oder Ukrainisch. Trotzdem ist es ihm gelungen, die Bewegungen der Russen in Echtzeit zu verfolgen – teilweise sogar schneller als Geheimdienste. Gegenüber der «NZZ» erklärte der Bieler, dass er dafür nur einen Laptop, Handy und «schlechtes WLAN» benötigt. Er kauft sich einfach hochauflösende und aktuelle Satellitenbilder aus dem Kriegsgebiet und analysiert sie. So wie jetzt eben auch.
Erste Grossstadt der Ukraine eingenommen
Nun stellen sich die Russen auf eine grosse Offensive vor. Kein Wunder: Die Ukraine hat bereits von Putins Armee eroberte Gebiete wieder einnehmen können. Binnen weniger Tage konnte die Ukraine nach eigenen Angaben mehr als 400 Quadratkilometer Gebiet in der Region Cherson zurückerobern. Seit Anfang Oktober hätten die Truppen dieses Gebiet im Süden des Landes «befreit», sagte die Sprecherin des ukrainischen Militärkommandos Süd, Natalia Gumentschjuk, vor zwei Wochen.
Cherson ist eine der vier Regionen in der Ukraine, die Russland ungeachtet internationaler Proteste annektiert hatte. Die UN-Vollversammlung hat mit grosser Mehrheit Russlands «illegale Annexionen» in der Ukraine offiziell verurteilt. 143 der 193 UN-Mitgliedstaaten stimmten am Mittwoch auf einer Dringlichkeitssitzung in New York für eine entsprechende Resolution, fünf dagegen.
Die Hauptstadt der gleichnamigen Region, die an die 2014 von Russland annektierte Schwarzmeer-Halbinsel Krim grenzt, war Anfang März kurz nach Beginn der russischen Invasion als erste Grossstadt der Ukraine von der russischen Armee eingenommen worden.
Russische Attacken abgewehrt
Prorussische Separatisten haben nach eigenen Angaben zwei Dörfer nahe der Industriestadt Bachmut in der Donezk-Region erobert. Eine Gruppe von Soldaten der sogenannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk hätten «mit Feuerunterstützung der russischen Streitkräfte» die Dörfer Opytine und Iwangrad «befreit», erklärten die prorussischen Behörden am Donnerstag im Onlinedienst Telegram.
Die Dörfer befinden sich südlich von Bachmut, einer Stadt mit Salzbergbau und Weinproduktion, mit einstmals etwa 70'000 Einwohnern. Bachmut wird seit Wochen von Russland belagert.
Die Meldung über die Geländegewinne kommt, nachdem ukrainische Soldaten in den vergangenen Wochen weite Teile der Gebiete im Süden und Osten der Ukraine zurückerobert haben, die monatelang unter Kontrolle der russischen Streitkräfte standen.
Das ukrainische Militär erklärte in einem Lagebericht am Donnerstagmorgen, dass es russische Attacken nahe Osarjaniwka, Iwangrad, Marjinka und anderer Dörfer abgewehrt habe. (jmh/AFP)