Zentrale vs. Genossenschaften
Wer hat bei der Migros das Sagen?

Die Unruhe in der Migros ist gross. In der obersten Chefetage gilt es immer mehr Stellen zu besetzen, eine Strukturreform wäre dringend notwendig.
Publiziert: 05.11.2022 um 12:50 Uhr
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Aktualisiert: 05.11.2022 um 17:19 Uhr
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Der Stolz der Migros: Die gelebte Demokratie der Genossenschafterinnen und Genossenschafter.
Foto: keystone-sda.ch
Christian Kolbe und Ulrich Rotzinger

Für die Migros geht es ans Eingemachte: Wie weiter mit den regionalen Genossenschaften, die immer mehr ein Eigenleben führen und nur mit Mühe von der Konzernzentrale, dem Migros-Genossenschafts-Bund (MGB), kontrolliert und gesteuert werden können? Gleichzeitig läuft das Kerngeschäft mit den Supermärkten nicht wirklich rund, einige Genossenschaften könnten in diesem Bereich 2022 gar rote Zahlen schreiben.

Einzig Nebengeschäfte wie Migrol (Tankstellen, Heizöl), die Denner-Gruppe oder die Migros Bank, neu auch wieder der Reiseveranstalter Hotelplan liefern regelmässig Gewinne und tragen dazu bei, dass der orange Riese nicht in die roten Zahlen rutscht.

Die Alkoholabstimmung hat gezeigt, wie tief die Risse sind. Es wurde angedacht, im Falle der Zustimmung in einzelnen Genossenschaften diesen den Verkauf von alkoholischen Getränken zu erlauben. Allein das hat viele an den gemeinsamen Migros-Werten zweifeln lassen.

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Uneinig über Reformen

Nun hat auch der Abgang von Fabrice Zumbrunnen (52) als Migros-Chef gezeigt, dass zwischen den regionalen Genossenschaften und der Zentrale ein erbitterter Machtkampf tobt. Zumbrunnen war nicht der Dompteur, den es in diesem Amt gebraucht hätte.

Unter Migros-Kennern, die den Detailhändler auch aus der Innensicht beurteilen können, herrscht Uneinigkeit, in welche Richtung sich der orange Riese mit seinen Genossenschaften bewegen muss. Klar ist nur: Es muss etwas gehen.

In einigen grossen Genossenschaften gebe es eine Art Konsens, dass es den Überbau des MGB gar nicht mehr brauche, sagt ein ehemaliges hohes Kadermitglied. Es seien vor allem vier regionale Genossenschaften, die die Migros prägten: die grossen drei – Aare, Ostschweiz und Zürich – sowie die kleinere, aber innovative Genossenschaft Luzern. Die Migros wirkt verkrustet, es habe seit Jahrzehnten keine Strukturreform gegeben. Braucht es tatsächlich zehn regionale Genossenschaften, wären vielleicht drei oder vier grössere Einheiten mit zentralem Einkauf und Logistik schlagkräftiger und effizienter?

Der Migros-Kenner fragt sich: «Wenn die Migros schon über Alkohol abstimmen lässt, warum dann nicht auch über die Genossenschaften?» Immerhin: Auf Genossenschafter-Demokratie sind ja alle in der Migros stolz – die Genossenschaften ebenso wie der MGB.

Regionale Kundenbindung

Eine andere Quelle kann sich zwar ebenfalls Synergien bei Beschaffung und Logistik vorstellen, weiss aber auch um die Widerstände. So sei immer wieder zu hören, ein Regionalfürst ohne eigene Logistik sei wie ein König ohne Reich. Ausserdem dürften die regionale Verankerung und die Nähe zu den Kunden nicht ausser Acht gelassen werden. Das spreche für die Beibehaltung der aktuellen Struktur.

Trotz der anspruchsvollen Zeiten im Detailhandel ist der Leidensdruck offenbar noch nicht gross genug: «Nur wenn eine Genossenschaft blutrote Zahlen schreibt, wäre sie bereit, sich unter das Dach des MGB zu begeben oder mit einer anderen Genossenschaft zusammenzuspannen», ist der Detailhandelsexperte Gotthard F. Wangler (74) überzeugt. Er nimmt aber auch die Regionalfürsten in die Pflicht. «Sie sitzen alle im Verwaltungsrat des MGB, sie müssen auch Verantwortung für den Gesamtkonzern übernehmen.» Nachfolger von Zumbrunnen könne nur einer der Regionalfürsten aus einer der vier starken Genossenschaften Aare, Zürich, Ostschweiz oder Luzern werden, glaubt Wangler.

Abgänge in der Chefetage

Nicht nur die Genossenschaften und ihre Zusammenarbeit mit der Konzernzentrale sind eine Baustelle, die MGB-Generaldirektion selbst wird immer mehr zur Problemzone. Zumbrunnen wird nach seinem angekündigten Abgang auf den nächsten Frühling hin keine grossen Stricke mehr zerreissen. Die oberste Verantwortliche für Personal und Kommunikation, Sarah Kreienbühl (50), verlässt die Migros bereits auf Ende Jahr. Damit ist ein zweiter Posten in der Generaldirektion verwaist. Inzwischen hat auch noch der direkte Untergebene von Kreienbühl, Personalchef Reto Parolini, auf Ende Januar gekündigt.

Auch die Konkurrenz macht mächtig Druck auf den orangen Riesen, allen voran Aldi und Lidl. Beide Discounter eröffnen jährlich gut zehn Supermärkte, drängen in die Innenstädte, besetzen beste Bahnhofslagen wie Aldi in Zürich. Zusammen kommen beide auf gut 400 Filialen schweizweit und einen geschätzten Umsatz von rund 5,5 Milliarden Franken.

Zum Vergleich: Discount-Rivale Denner kommt auf 3,8 Milliarden Franken im letzten Jahr. Damit graben Aldi und Lidl Umsätze der Konkurrenten ab, erhöhen den Preisdruck. Ihr Geschäft floriert besonders dann, wenn die Leute wie aktuell aufgrund der Teuerung ihre Ausgaben genau unter die Lupe nehmen – vor allem auch bei Lebensmitteln und Getränken.

Die von der Migros angestrebte Preisführerschaft bei vielen Produkten kann der Detailhändler nicht immer erfüllen, vor allem nicht in den kleineren Filialen, wo das Sortiment zwangsweise ausgedünnt ist. Bei einer Stichprobe mit 30 Produkten des «K-Tipps» landet die Migros auf dem fünften Platz – hinter Aldi, Lidl, Coop und Denner.

Gefordert wäre nun Ursula Nold (50). Doch die Migros-Präsidentin schweigt, wiederholte Interviewanfragen blieben unbeantwortet.

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