Auf einen Blick
- Mietkosten in Schweizer Städten steigen stark und belasten Familieneinkommen erheblich
- Immobilienbesitzer profitieren von Renditeoptimierung auf Kosten der Mieter
- In Zürich kostet eine familientaugliche Wohnung durchschnittlich 4360 Franken monatlich
In Zahlen ausgedrückt, stellt sich das Problem so dar: In der Stadt Zürich beläuft sich das mittlere Reineinkommen (mit Eigenmietwert, nach Einzahlungen in die Altersvorsorge) von Verheirateten gemäss der Eidgenössischen Steuerverwaltung auf 6100 Franken.
Eine neue, familientaugliche Wohnung mit 90 bis 120 Quadratmetern kostet monatlich 4360 Franken. Das ist der Durchschnitt der ersten zehn Angebote auf Homegate am Stichtag des 27. Februars. Rein rechnerisch kommt man somit auf einen Mietanteil von 71 Prozent des Reineinkommens. Von 20 ausgewählten Orten in der Schweiz schwankt dieser Prozentsatz von 37 und 38 Prozent in Spiez und Fribourg bis 65, 71 und 130 Prozent in Luzern, Zürich und St. Moritz. Berücksichtigt man, dass eine vierköpfige Familie auch noch rund 2000 Franken an Steuern und Krankenkasse zahlen muss, dann frisst auch im «billigen» Spiez die Neumiete 57 Prozent des verfügbaren Einkommens weg.
So weit die Lage in Zahlen. Das ikonische Bild dazu ist ein von einem bunten Tuch bedeckter Klapptisch mit zwei leeren Stühlen vor dem Firmensitz der Intuiva AG in Zug. An diesem wollte eine Delegation der 105 gekündigten Mieterinnen und Mieter der drei Sugus-Häuser in Zürich mit ihrer Vermieterin, Regina Bachmann, reden. Zur Delegation gehörte auch die Familie Bertschinger mit ihren zwei schulpflichtigen Kindern. Wollen sie im Kreis 5 bleiben, müssten sie aufgrund der Marktlage mindestens 3800 statt bisher rund 1900 Franken Miete zahlen – was natürlich nicht drinliegt. Regina Bachmann wollte sich das nicht anhören, sie liess sich in Zug nicht blicken und war auch telefonisch nicht erreichbar.
Verkauf an den Meistbietenden
Frau Bachmann hätte ihren Mietern und Mieterinnen etwa das sagen können: «Aktuell verdiene ich pro Wohnung netto circa 300 Franken oder gut 30’000 monatlich. Mit einer Totalsanierung kann ich das vervierfachen. Das müsst ihr doch verstehen.» Das wäre kein gutes Gespräch geworden, mit Leuten, die von ihren 6100 Franken bald gut die Hälfte für die neue Miete bezahlen müssen. So ist das heute: Der Markt bietet den Immobilienbesitzern die Chance, auf Kosten der Mieter nicht nur wohlhabend, sondern richtig reich zu werden. Wer es – anders als Regina Bachmann – nicht geschafft hat, den persönlichen Kontakt mit seinen Mieterinnen zu vermeiden, lässt sich vielleicht noch von Gewissensbissen bremsen.
Doch spätestens beim Erbgang gibt es nur eine saubere Lösung: Verkauf an den Meistbietenden – die Gewinne teilen. Für Millionen von Mietern in Altwohnungen bedeutet das, dass sie immer, wenn sie den Briefkasten leeren, mit dem ominösen Brief rechnen müssen, und dass ihnen jedes Mal das Herz in die Hose rutscht, wenn sie die Bauprofile an anderen Altbauten sehen. Das zerrüttet das Nervenkostüm.
Volkswirtschaftliche Folgen
Und dann sind da die volkswirtschaftlich Folgen. Mit jeder Wohnung, die renditeoptimiert wird, schrumpft die Kaufkraft, von der das lokale Gewerbe lebt – Restaurants, Cafés, Fitnesszentren, Coiffeur, die Handwerker et cetera. Stattdessen fliesst die Kaufkraft nach Zug, nach Ischgl oder St. Moritz, zu Gucci, Prada oder Lamborghini, zu den Immobilienmaklern und in die Finanzmärkte. Doch nicht nur die Marktwirtschaft ist bedroht, sondern die Menschheit insgesamt.
Die Mieten haben ein Niveau erreicht, das sich nur noch «Kilodos», kinderlose Doppelverdiener, leisten können. Bern, wir haben wirklich ein Megaproblem! Doch wir sehen es nicht. Auch die Medien sind blind. Sie spinnen unbeirrt das Garn von vorgestern weiter.