Vontobel ordnet ein
Wie die Armen die Konten der Reichen füllen

Die Schere öffnet sich unaufhaltsam: Tausenden Milliardären stehen Abermillionen Arme gegenüber – auch in westlichen Industrienationen. Das sind die Gründe.
Publiziert: 16:36 Uhr
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Aktualisiert: 17:12 Uhr
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Werner Vontobel warnt: Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich immer weiter.
Foto: Paul Seewer

Auf einen Blick

  • Wachsende Ungleichheit trotz steigendem BIP in westlichen Marktwirtschaften
  • Globalisierung und Aussenhandel fördern Ungleichheit in der Einkommensverteilung
  • Zahl der Milliardäre weltweit von 470 auf 2781 seit 2000 gestiegen
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
Werner Vontobel

Als in den 1960er Jahren in Deutschland das «Wirtschaftswunder» Fahrt aufnahm, schien das Ende der Armut nicht mehr weit. Seither hat sich das BIP pro Kopf fast verdreifacht – und doch sind gut 20 Prozent der Deutschen arm. Ähnliches gilt für fast alle westlichen Marktwirtschaften. Was läuft da schief?

Um die wachsende Ungleichheit zu verstehen, müssen wir das ganze Bild betrachten: Der moderne Mensch fristet sein Dasein in vier unterschiedlichen sozialen Kreisen, die alle ihre eigenen Verteilungsregeln haben, sich aber gegenseitig beeinflussen: Im engsten Kreis der Familie und Nachbarschaft wird mit rund 60 Prozent immer noch der Löwenanteil der Arbeitszeit geleistet. Auf die Staatswirtschaft entfallen etwa 10 Prozent. Der Binnenmarkt, bzw. der Austausch unter Landsleuten, beansprucht gut 30 und der Aussenhandel gut 5 Prozent unserer Arbeitszeit.

Binnenhandel fördert Gleichheit

In der geldlosen Bedarfswirtschaft ist die Beute seit Urzeiten so gleichmässig verteilt, dass bei der nächsten Jagd alle fit sind und dass keine Energien durch unnötige soziale Spannungen verschwendet werden. Die Staatswirtschaft ist in mancher Hinsicht noch egalitärer, denn hier geht es darum, kollektive Güter herzustellen – Stadtmauern, Verkehrswege, Schulen etc. Alle profitieren, bezahlt wird - im Prinzip – nach Leistungskraft. In der Schweiz etwa zahlt das reichste Fünftel etwa 40 Prozent der Staatsausgaben.

Auch im Binnenmarkt – im Austausch zwischen Landsleuten – wirken viele ausgleichende Kräfte. Einerseits über politische Eingriffe in den Markt, wie etwa Mindestlöhne, Kündigungsschutz oder Gewerkschaften. Vor allem aber müsste ein funktionierender Wettbewerb zu viel Ungleichheit im Keime ersticken: Verdienen einige mit einer speziellen Tätigkeit sehr viel Geld, wollen alle anderen das auch. Das Angebot steigt und die hohen Einkommen fallen auf das Mittelmass zurück.

In einem gut regulierten Binnenmarkt entsprechen die Preise der Produkte und Dienstleistungen in etwa den Lebenshaltungskosten der entsprechenden Arbeitskräfte. Und diese dürfen nicht zu weit auseinanderliegen. Für eine Volkswirtschaft, die – gemäss Lehrbuch – das grösste Glück der grössten Zahl anstrebt, zieht zu viel Ungleichheit hohe Kosten nach sich: Den Luxuskonsum der Reichen, den Stress und die schlechte Gesundheit der Armen, steigende Kriminalität und eine Umverteilungsbürokratie um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Ungleichheit durch Globalisierung

Der Aussenhandel spielt sich heute meist entlang globaler Wertschöpfungsketten ab. Dabei werden bei uns Produkte, etwa On- Schuhe, zu Preisen angeboten, die der Kaufkraft der Oberschicht entsprechen. Der weitaus grösste Teil der Arbeit wird aber in Ländern mit viel tieferen Lebensstandard und Lohnkosten geleistet. Das ermöglicht extrem hohe Gewinne für die Financiers, Werber, Forscher etc. an den fetten Enden der Wertabschöpfungsketten.

Im Zuge der Personenfreizügigkeit werden schliesslich Arbeitskräfte angeheuert, die sich mit einem deutlich geringeren Lebensstandard zufriedengeben. Beide Effekte ziehen die Lohnskala nach unten und nach oben weit auseinander. Und weil der Boden knapp ist, und sich die da oben dafür gerne einen hohen Preis zahlen, wird das Wohnen für die Normalverdiener immer teurer.

Selbermachen war günstiger

Und noch etwas hat sich seit den 1960er-Jahren verändert. Damals waren die Arbeitswege kurz, die Stellen stabil, die Arbeitszeiten fix. Ein Vollzeitjob reichte, um eine Familie zu ernähren. Das waren ideale Rahmenbedingungen für die Bedarfswirtschaft. Seither hat die Wirtschaftspolitik alles getan, um die bezahlte Arbeit flexibel, punktgenau und effizient einzusetzen. Seither ist immer mehr Arbeit aus dem egalitären Bereich der Bedarfswirtschaft ausgelagert und in Billigjobs umgewandelt und kommerzialisiert worden. Was man früher selbst gemacht hat – Kochen, Nähen, Kinderhüten etc. – belastet heute das Familienbudget.

So kommt es, dass sich heute auch in der reichen Schweiz das ärmste Fünftel seinen 30 Prozent unter dem Durchschnitt liegenden bescheidenen Konsum nur noch auf Pump und mit staatlicher Unterstützung leisten kann. Doch was vielen abgeht, häuft sich bei den wenigen anderen. Das erklärt, warum die Zahl der Milliardäre laut Forbes seit 2000 weltweit von 470 auf 2781 angestiegen ist. Die Schere öffnet sich immer weiter.

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