Wirtschaftsexperte Werner Vontobel ordnet ein
Warum die Mietzinsen oft doch missbräuchlich sind

Der Gesetzes-Artikel, der besagt, wann ein Mietzins «missbräuchlich» ist, stammt ursprünglich von 1972. Damals war Bauland noch spottbillig. Es muss sich dringend was ändern, findet Werner Vontobel.
Publiziert: 03.09.2024 um 15:40 Uhr
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Wirtschaftsexperte Werner Vontobel erklärt, ...
Foto: Paul Seewer

Auf einen Blick

  • Bodenpreise und Mieten sind seit 1974 explodiert
  • Grosse Pensionskassen und Investmentfonds bestimmen quartierübliche Mieten
  • Werner Vontobel erklärt, warum deshalb vielerorts die Mieten missbräuchlich sind
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.

Der Artikel 269 des Obligationenrechts geht auf das Jahr 1972 zurück, als der Bundesrat «angesichts der sich verschärfenden Lage auf dem Wohnungsmarkt» einen befristeten «Bundesbeschluss gegen Missbräuche im Mietwesen» erliess. 1990 wurde dieser Beschluss dann zum Gesetzestext. Er besagt: «Mietzinse sind missbräuchlich, wenn damit ein übersetzter Ertrag aus der Mietsache erzielt wird, oder wenn sie auf einem offensichtlich übersetzten Kaufpreis beruhen.»

Im Artikel 269a wird präzisiert, dass Mieten in der Regel nicht missbräuchlich sind, wenn sie «im Rahmen der orts- oder quartierüblichen Mietzinsen liegen», wenn sie «durch Kostensteigerungen des Vermieters» begründet sind, oder wenn sie bei «neueren Bauten im Rahmen der kostendeckenden Bruttorendite liegen.»

Horrende Steigerung der Bodenpreise

Das klingt vernünftig: Mieten sollen die Kosten decken, und was für den Vermieter X recht ist, soll auch für Vermieter Y nebenan billig sein. Das Problem dabei: Teil der Kosten sind auch die Bodenpreise – und sie sind seit 1974 geradezu explodiert. In Zürich etwa von 591 auf 6876 Franken pro Quadratmeter.

Ein Rechenbeispiel: Typischerweise kostet eine 100 Quadratmeter grosse Wohnung in Zürich heute etwa 1,5 Millionen, wovon gut eine Million allein auf den Boden entfällt. Wird diese Million zu 60 Prozent mit einer Hypothek zu 1,75 Prozent und zu 40 Prozent mit Eigenkapital zur maximal erlaubten Rendite von 3,75 Prozent finanziert, summiert sich das auf 25'500 Franken. Konkret: Der Vermieter darf vom Mieter allein für die Benutzung des Bodens monatlich 2125 Franken verlangen.

Die Grossen sagen, was quartierüblich ist

Ist das wirklich nicht «missbräuchlich»? Klar, der Käufer der Immobilie kann geltend machen, dass er die Million pro Wohnung für das Bauland zahlen musste, folglich dürfe er wohl die Kosten auf den Mieter abwälzen. Andererseits haben der Käufer und der Verkäufer der Immobilie (bzw. des Baugrunds) gewusst, dass der vereinbarte Preis nur deshalb so hoch sein kann, weil man den Wohnungssuchenden angesichts einer Leerstandsquote von 0,1 Prozent und einer jährlichen Einwanderung von 100'000 extrem hohe Mieten abknöpfen kann.

Überspitzt ausgedrückt könnte man gar von einer Art konzertierter Erpressung sprechen. In vielen Quartieren gehört inzwischen die Mehrzahl der Wohnungen grossen Pensionskassen und Investmentfonds. Sie ganz allein definieren also, was quartierüblich ist – nämlich das Maximum dessen, was die Mieter und Käufer gerade noch zahlen können.

Geahnt, aber nichts geändert

Letztlich führt dies unter anderem dazu, dass die Mieter ihren «Landvögten» viel mehr abliefern müssen als dem Steuervogt. Dabei ist dieser mit seinen Ausgaben für Schulen, Spitäler, Verkehrswege, öffentliche Sicherheit etc. für fast alles verantwortlich, was die Lage einer Immobilie teuer – und den Landvogt reich – macht. Die aktuelle Rechtslage führt ferner dazu, dass alle die Leute, die mit ihrer Arbeit als Verkäufer, Kellner, Strassenkehrer, Polizist, Gemeindeangestellte etc. das Quartier mit Leben füllen, die quartierüblichen Mieten nicht mehr bezahlen können und ausziehen müssen.

In ihrem Bericht schrieb die «Expertenkommission für die Vorbereitung einer Totalrevision der Bundesverfassung» schon 1977: «Liesse der Gesetzgeber der Tendenz zu einer wachsenden Konzentration der Verfügungsmacht über grosse Teile des schweizerischen Grundeigentums völlig freien Lauf, so würde sich wie vor der Französischen Revolution eine «tote Hand» privater Vermögens- und Grundeigentums-Konzentrationen bilden. Dadurch würde die private Eigentumsordnung zwangsläufig mehr und mehr in Misskredit geraten, und die Kräfte, die auf tiefgreifende Strukturänderungen hinarbeiten, würden Auftrieb erhalten.»

Heute wissen wir: Der Gesetzgeber hat dieser Tendenz nicht nur freien Lauf gelassen. Er hat sie sogar noch gefördert. Ein besserer Gesetzgeber wird dringend gesucht. 

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