Wirtschaftsexperte Werner Vontobel ordnet ein
Aufstocken lohnt sich nur für die Bodenbesitzer

Der Hauseigentümerverband fordert «die erleichterte Aufstockung von bestehenden Wohnhäusern» – mit der Folge, dass die Mieten noch weiter steigen, und noch mehr Familien ausziehen müssen, schreibt Werner Vontobel.
Publiziert: 13.07.2024 um 10:28 Uhr
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Aktualisiert: 02.09.2024 um 19:58 Uhr
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Bestehende Liegenschaften sanieren und in die Höhe ziehen – lässt sich so die Wohnungsnot bekämpfen?
Foto: imago/Rene Traut
Werner Vontobel

Die Idee – die unter anderem auch von der liberalen Denkfabrik Avenir Suisse vertreten wird – beruht auf dem kleinen ökonomischen Einmaleins: Je höher das Angebot, desto tiefer der Preis. Oder präziser: Wenn ich auf demselben Grundstück doppelt soviel Wohnraum bauen kann, beansprucht jede Wohnung nur noch halb so viel Bauland. Das müsste die Kosten senken. So weit die Theorie.

Nun zur Praxis: Benno M.*, ein Bekannter aus Adliswil, der anonym bleiben möchte, hat zusammen mit 23 Nachbarn vor kurzem die Kündigung erhalten. Drei aus den frühen Achtzigerjahren stammenden Wohnblöcken an der Tiefackerstrasse sollen abgerissen werden. Benno hat für seine 3,5-Zimmerwohnung bisher 2500 Franken bezahlt. Ein stolzer Preis angesichts der Tatsache, dass 75 Prozent der Haushalte in Adliswil ein steuerbares Einkommen unter 8100 Franken deklarieren, bei der Hälfte liegt dieser Wert gar unter 5100 Franken.

In Adliswil wird nicht für Einheimische gebaut

Schaut man sich das Wohnungsangebot von Adliswil und Umgebung auf Homegate an, dann sieht man, dass hier nicht für Einheimische gebaut wird. Aktuell (anfangs Juli) werden gerade mal vier Mietwohnungen zwischen 90 und 120 Quadratmetern angeboten. Die Mieten schwanken zwischen 3480 und 4500 Franken. Der Besitzer der Liegenschaften an der Tiefackerstrasse kann also davon ausgehen, dass er nach dem Neubau für eine 3,5-Zimmerwohnung mindestens 3200 Franken verlangen kann. Zudem profitiert er von der Verdichtung. Statt drei sind in dieser Bauzone seit einigen Jahren vier Stockwerke erlaubt. Offenbar lohnt sich der Abriss und Rausschmiss.

Wie genau der Besitzer der Liegenschaften kalkuliert, ist unbekannt. Doch der Immobilienberater Wüest Partner (W+P) hat in seinem neuesten Immomonitoring vorgerechnet, wie ein solcher Deal im Normalfall aussieht. Er nimmt ein «typisches Ersatzneubauprojekt», ein Mehrfamilienhaus mit 8 Wohnungen zu 3,5 Zimmern an guter Lage in der Agglomeration von Zürich. Dank der Verdichtung kann man nun auf diesem Grundstück 14 statt bloss acht gleich grosse Wohnungen bauen. Die Bau- und Abrisskosten liegen – immer laut Wüest Partner bei 5,6 Millionen Franken bzw. 400'000 Franken pro Wohnung.

Dank dieser Investition kann der Eigentümer nun statt monatlich 8 mal 2500 Franken neu 14-mal den Marktpreis von mindestens 3200 Franken kassieren. Aufs Jahr hochgerechnet ist das ein Mehrerlös von 297'600 Franken oder gut 5 Prozent der investierten Summe. Das ist schon mal eine solide Rendite. Doch es kommt noch besser: Der Immobilienberater geht davon aus, dass die Investition zu 80 Prozent mit einer Hypothek (von 4,48 Millionen) und zu 20 Prozent mit Eigenkapital (1,12 Millionen) finanziert werden. Die Hypothek kostet aktuell 1,7 Prozent Zins bzw. jährlich rund 76'000 Franken, die er vom Mehrertrag in Abzug bringen muss. Es bleiben ihm noch rund 220'000 Franken für die Verzinsung des Eigenkapitals von 1,12 Millionen. Daraus errechnet sich eine Eigenkapitalrendite von fast 20 Prozent.

Dieser «typische» Fall aus W+P, kombiniert mit dem konkreten Fall in Adliswil zeigt, dass höhere Ausnutzungsziffern einen vorzeitigen Abriss aus finanziellen Gründen schon fast zwingend erscheinen lassen. Und zwar nicht, weil man damit Kosten spart, sondern weil man auf diese Weise mehr bauen und eine deutlich höhere «ortsübliche» Miete durchsetzen kann. Doch was den Investoren freut, ist volkswirtschaftlich, sozial und ökologisch mit grossen Nachteilen verbunden. Erst recht in einer Zeit, in der die Unwettergebiete im Wallis und im Tessin viele Baukapazitäten in Anspruch nehmen.

Der Bodenpreis bestimmt die Miete und umgekehrt

Doch das Beispiel von W+P zeigt noch mehr, nämlich erstens, dass die Miet- oder Kaufpreise von Wohnimmobilien nicht wegen den Bau-, Unterhalts- und Verwaltungskosten so hoch sind und immer weiter steigen, sondern wegen der Bodenpreise. Und zweitens, dass höhere Ausnutzungsziffern letztlich nur den Bodenbesitzern nutzen, was der Hauseigentümerverband natürlich auch weiss. Um dies zu verstehen, müssen wir ein wenig rechnen.

Beginnen wir mit der Ausgangslage: 8 Wohnungen zu 2500 Franken Miete. Nehmen wir an, dass es sich dabei um eine mietrechtlich erlaubte Kostenmiete handle. Diese setzt sich zusammen erstens aus den Kosten für Bau, Unterhalt und Verwaltung, zweitens aus den Finanzierungkosten des Baus und drittens aus den Kosten für die Finanzierung des Bodens.

Für die Bau- und Unterhaltskosten gilt die Formel 3,25 Prozent der Baukosten. Das sind 13'000 Franken. Dazu kommen die Zinskosten des Baus. Bei einer Fremdfinanzierung von 80 Prozent, bzw. 320'000 Franken und einem Hypozins von 1,7 Prozent kostet das Fremdkapital schon mal 5440 Franken. Auf dem Eigenkapital (von 80'000 Franken) beträgt die maximal erlaubte Rendite 3,75 Prozent oder 3000 Franken. Das ergibt ein Zwischentotal von 21'440 Franken oder rund 1790 Franken monatlich. Das wäre die Kostenmiete, wenn der Boden gratis wäre. Wäre er Besitzer einer Genossenschaft, die sich mit bloss 1,5 Prozent Eigenkapitalrendite zufriedengibt, würde die Miete auf für die Einheimische erschwingliche 1640 Franken sinken.

Nun ist aber der Boden nicht gratis und der Vermieter darf die entsprechenden Finanzierungskosten auf die Miete draufschlagen. Damit die Miete von 2500 Franken gerade noch mietrechtskonform ist, muss man das von der Wohnung beanspruchte Grundstück mit gut 400’000 Franken bewerten. Zählt man alle 8 Wohnungen zusammen, ergibt sich ein Grundstückswert von 3,2 Millionen. Bau und Boden sind also je etwa gleich viel wert.

Auf dieselbe Art rechnen wir nun aus, auf welchen Wert das Grundstück steigt, wenn wir darauf statt 8 nun 14 Wohnungen bauen und diese für 3200 statt für 2500 Franken vermieten. Das bringt Gesamteinnahmen von 537'600 Franken. Davon gehen pro Wohnung unverändert 21'440 Franken für Unterhalt und Baufinanzierung weg. Mal 14 sind rund 300’000 Franken. Bleiben 237'600 Franken als Finanzertrag des Bodens, womit der rechnerische Wert des Grundstücks auf 11,3 Millionen steigt. So viel ist ein kühl rechnender Investor bereit, zu zahlen, wenn er die maximal erlaubte Eigenkapitalrendite erzielen will. Und so viel wird der Eigentümer verlangen, wenn er etwas von Immobilien versteht.

Fazit: Dank der Verdichtung steigt der Wert des Grundstücks fast um das Vierfache von 3 auf 11,3 Millionen. Diese Wertsteigerung wiederum ist die mietrechtliche Rechtfertigung dafür, dass der Vermieter die Miete um 700 Franken erhöhen kann. Eine etwa gleich hohe Wertsteigerung errechnet sich, wenn der Investor die Wohnungen (für je 440'000 Franken) etwas luxuriöser auf den Eigenheimstandard bringt und sie zum Marktpreis von je 1,4 Millionen verkauft. Dann stehen einem Verkaufserlös von 19,6 Millionen Baukosten von 6,16 Millionen gegenüber.

Der Mokkatassen-Effekt

Doch warum stimmt das kleine Einmaleins der Ökonomie nicht mehr? Verdichtetes Bauen kommt faktisch einem erhöhten Angebot an Bauland gleich. Warum führt dies nicht zu tieferen Bodenpreisen? Was der Eigentümerverband übersieht, ist die Tatsache, dass die Nachfrage noch viel schneller steigt. Was hier zum Tragen kommt, ist der aus der Währungspolitik bekannte Mokkatassen-Effekt. Dieser tritt immer dann auf, wenn auf den globalen Finanzmärkten Verunsicherung herrscht und die Anleger ihr Geld in die kleine Schweiz verschieben, worauf die Mokkatasse überschwappt und sich der Franken stark verteuert.

Etwas Ähnliches geschieht auch auf dem Immobilienmarkt. Fast 50 Prozent der globalen Finanzvermögen ist in den Händen einer äusserst mobilen Oberschicht von etwa 1 Prozent. Je unsicherer die Weltlage, desto intensiver denkt diese Oberschicht darüber nach, wie sie ihr Geld und sich selbst in Sicherheit bringen kann. Und da denken viele an die Schweiz, zumal hier das Steuerklima milde und der Erwerb von Wohneigentum für Ausländer unproblematisch ist. Dazu kommt noch die kaufkräftige Nachfrage der vielen Zehntausend Fachkräfte, die die Schweizer Wirtschaft jährlich importiert. Sie sorgen dafür, dass die Mietpreise immer weniger zu den Durchschnittslöhnen der Einheimischen passen.

Auch wenn die Schweiz noch viel dichter bauen lässt – sie bleibt ein Mokkatässchen. Solange wir diesen Zustrom nicht besser kanalisieren, führen die Forderungen der Hauseigentümer bloss dazu, dass die Bodenbesitzer noch reicher werden – vor allem, wenn sie ihre Altmieter zügig loswerden.

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