Wirtschaftsexperte Werner Vontobel ordnet ein
Wie die Rentner die Mieter zur Kasse bitten

Der Streit um ein riesiges Wohnbauprojekt in Zürich deckt auf, wie sehr die Rentner auf Kosten der Mieter leben, schreibt Wirtschaftsexperte Werner Vontobel.
Publiziert: 23.03.2024 um 09:56 Uhr
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Aktualisiert: 11.04.2024 um 10:24 Uhr
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Die Stadt Zürich kauft ein Wohnbauprojekt in Witikon. Der Kaufpreis beträgt 211 Millionen Franken. (Symbolbild)
Werner Vontobel

211 Millionen Franken hat die Stadt Zürich für 30'000 Quadratmeter Bauland bezahlt (Blick berichtete). Sie will darauf «kostengünstige» 370 Wohnungen erstellen, was weitere 150 bis 170 Millionen kostet. Wird das Grundstück in etwa gleich verbaut wie ein vergleichbares Objekt am Leutschenbach, ist die durchschnittliche Wohnung 82 Quadratmeter gross (was für 3,5 Zimmer reicht) und kostet ziemlich genau 1 Million Franken, wovon etwa 450'000 Franken auf die Baukosten entfallen.

Ein privater Vermieter könnte auf dieser Grundlage eine – mietrechtlich korrekte – Kostenmiete von 3520 Franken geltend machen. Das sind 33 Prozent des Einkommens einer durchschnittlichen Familie in Witikon. Die Stadt könnte sich, wenn sie nur ihre effektiven Kosten (inkl. 2,1% Zins) decken will, mit immer noch sehr teuren 2970 Franken begnügen. Zur Erklärung: Die Kostenmiete setzt sich zusammen aus 3,25 Prozent der Bausumme plus die effektiven Hypozinsen (von aktuell 2,1%) plus 3,75 Prozent auf dem Eigenkapital von maximal 40 Prozent des Kaufbetrags.

Im vorliegenden Fall hatte die Swisscanto, der Anlagefonds für Pensionskassen, das Terrain 2019 für 155,6 Millionen gekauft und das Projekt aufgegleist. Weil dieses mit einem Landtausch verknüpft war, konnte die Stadt der Swisscanto nachträglich noch Auflagen betreffend Kostenmiete machen. Worauf die Swisscanto der Stadt den Boden samt dem Projekt nur für die erwähnten 211 Millionen verkauft hat. Berücksichtigt man die Projektkosten von rund 15 Millionen Franken, ergibt sich ein Gewinn von rund 40 Millionen zugunsten der Swisscanto bzw. der Rentner.

Woher kommen diese irren Summen?

Woher nehmen Investoren die Überzeugung, dass Sie Wohnbauprojekte auch dann profitabel vermarkten können, wenn der Boden schon mal 7000 Franken pro Quadratmeter kostet? Ein Teil der Antwort liegt in der eben veröffentlichen «Ergänzungstabelle der Rentensysteme». Danach verfügen diese über ein Gesamtvermögen von 2800 Milliarden Franken, und jedes Jahr kommen rund 80 Milliarden dazu. Das Geld muss irgendwo investiert werden – vorzugsweise in Immobilien, deren Wert unaufhörlich steigt.

Nun ist zwar nicht anzunehmen, dass die Swisscanto damit gerechnet hat, sämtliche 370 Wohnungen zur oben errechneten Kostenmiete zu vermieten. Mehr als etwa 3200 Franken für 82 Quadratmeter gibt der Mietmarkt auch in Witikon nicht her. Bei den Eigentumswohnungen sieht die Rechnung der Investoren besser aus. In Witikon haben 25 Prozent der Haushalte ein steuerbares Vermögen von mehr als 1,3 Millionen. Da kann man schon mal mitbieten. Kein Wunder, liegen die Marktpreise aktuell bei rund 16'000 Franken pro Quadratmeter – nicht schlecht bei Gesamtkosten von etwa 12'000 Franken pro Quadratmteter Wohnfläche. Vermutlich hat die Swisscanto eine Mischrechnung gemacht. Wird ein Drittel der Wohnfläche verkauft statt vermietet, liegt schon mal ein schnell realisierter Gewinn von rund 10 Prozent der investierten Summe drin.

Swisscanto half, Mieten hochzutreiben

Nun hat zwar die Swisscanto die Liegenschaft letztlich nicht gekauft, aber sie hat mitgeboten und damit mitgeholfen, den Preis und damit die Mieten hochzutreiben. Für die Rentner ist das gut, für die Mieter hingegen bitter. Das Projekt Witikon illustriert ein riesiges Problem: Die Bodenbesitzer und mit ihnen die Pensionskassen können bei den aktuellen Marktverhältnissen den Mietern grosse Teile ihres Einkommens abknöpfen. Insgesamt geht es um hohe zweistellige Milliardenbeträge. Da könnte man erwarten, dass sogar die bürgerlichen Parteien hellhörig werden und auf die Bremse treten, bevor der Bogen überspannt ist.

Weit gefehlt! Laut NZZ drehen sie den Spiess um und werfen der Stadt vor, private Anleger «erpresst» zu haben. Stimmt irgendwie: Ohne den staatlichen Eingriff hätten die Swisscanto noch mehr Rendite aus den Mietern herausholen können. Rentner auf die Barrikaden!

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