Foto: Thomas Meier

Wie Ruth Humbel die BVG-Reform verteidigt
«Ist denn Sparen heute keine Tugend mehr?»

Aufs Altenteil will sich Ruth Humbel noch lange nicht zurückziehen. Deshalb setzt sie sich für die BVG-Reform ein, an der sie massgeblich Anteil hatte. Portät einer kämpferischen Sozialpolitikerin.
Publiziert: 20.09.2024 um 01:09 Uhr
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Aktualisiert: 20.09.2024 um 14:10 Uhr
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Ruth Humbel ist eine der wichtigsten Sozialpolitikerinnen der Schweiz – auch nach ihrem Rücktritt.
Foto: Thomas Meier

Auf einen Blick

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Christian KolbeRedaktor Wirtschaft

Ruth Humbel (67) gehört längst nicht zum alten Eisen. Im Gegenteil: Auf einem Tischchen im Wohnzimmer glänzt Edelmetall. «Die Medaillen habe ich letzten Sommer an der Senioren-WM in Kosice (Slowakei) geholt. In zwei von drei Disziplinen habe ich Gold gewonnen», sagt die Orientierungsläuferin.

Fürs Aufhängen hatte die ehemalige Mitte-Nationalrätin bislang keine Zeit, obwohl sie 2023 zurückgetreten ist. Aus der ehemaligen Spitzenathletin ist eine Spitzenpolitikerin im Unruhestand geworden. Zwei wichtige sozialpolitische Vorlagen, an denen Humbel massgeblich mitgewirkt hat, kommen in diesem Jahr an die Urne: Im November geht es um die Finanzierung der Spitäler, am kommenden Sonntag um die BVG-Reform.

Humbel empfängt Blick in ihrem Haus mit grossem Umschwung in Birmenstorf AG – in Krücken. Vor ein paar Tagen hat sie den Meniskus operiert. Die Folge eines Kreuzbandrisses beim Skifahren im Januar. «Ich dachte mir, wenn ein Schwinger nach neun Monaten wieder aktiv sein kann, schaffe ich das auch», so Humbel. Doch sie will zu schnell zu viel – und muss am Ende unters Messer.

Kämpferin für die Frauen

Bleibt mehr Zeit für Politik. Kaum am Tisch Platz genommen, legt Humbel los. Mineralwasser gibt es, an den Kaffee für die Besucher denkt sie erst nach einer Stunde. «Es juckt mich jetzt schon, mich zu äussern. Auch wenn ich weiss, dass man als alt Parlamentarierin draussen ist aus dem Geschäft.» Also schreibt sie Leserbriefe oder tritt bei Frauenorganisationen auf, weibelt für die Reform der zweiten Säule.

Am Anfang dieser Reform stand der sogenannte «Sozialpartnerkompromiss» zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverband. «Davon wollten vor allem die Gewerkschaften kein Jota abweichen», erinnert sich Humbel. «Aber ich habe schnell gemerkt, dass viele Branchen-Arbeitgeberverbände dagegen sind.»

Es musste ein Paket geschnürt werden, um möglichst vielen Ansprüchen gerecht zu werden. «Mein Ziel war es immer, Verbesserungen für die Frauen zu erreichen», sagt Humbel. «Das habe ich bei der Erhöhung des Frauenrentenalters versprochen.»

Tugendhaftes Sparen

Gerade für Menschen mit tiefen Einkommen und in Teilzeitarbeit – also oftmals Frauen – brächte die Reform Verbesserungen, weil sie mehr oder überhaupt in die Pensionskasse einzahlen könnten. Trotzdem drohten tiefere Renten, argumentieren die Gegner der Reform – wegen der Senkung des Umwandlungssatzes.

«Da werden zwei Dinge miteinander vermischt. Wer mehr anspart, hat eine bessere Rente», ist Humbel überzeugt. Vor allem, weil dieses Sparen mithilfe der Arbeitgeber geschehe. Für die Sozialpolitikerin geht es um Grundsätzliches: «Ist denn Sparen heute keine Tugend mehr?» Auch wenn sie durchaus nachvollziehen kann, dass Junge lieber Geld auf dem Konto als höhere Lohnabzüge haben. «Das ging mir früher genauso», gesteht sie ein.

Die jüngsten Umfragen deuten auf ein Scheitern der Reform hin. «Die Hoffnung stirbt zuletzt», gibt sich Humbel kämpferisch. Dass selbst einige Pensionskassen gegen die Reform sind, weil die Umsetzung so kompliziert sei, will sie nicht gelten lassen. «Die Pensionskassen sollten für die Versicherten da sein und sich nicht zu sehr um sich selber kümmern.»

Orientierung im Politdschungel

Am Abstimmungssonntag wird es für Humbel sein wie immer. «Ich werde wie alle auf dem Sofa sitzen und auf die Resultate warten. Da kann man nicht mehr viel tun.»

Aus ihrer Zeit im Spitzensport hat Humbel viel für die Politik gelernt: «Der Orientierungslauf ist ein passendes Bild für die Politik. Nicht immer führt der gerade Weg zum Ziel, oft versperren Dickicht oder Gräben den schnellsten Weg.»

Wenn das jemand weiss, dann Ruth Humbel, die immer mehr an den Sachthemen als an Parteipolitik interessiert war. «Die Sessionen vermisse ich nicht, die Debatte dagegen schon.» Mehr oder minder erfolgreich hat sich Humbel zwei Jahrzehnte lang sowohl durch den Dschungel der Sozialversicherungen als auch durch das Dickicht des Gesundheitswesens gekämpft.

Kritik an den Kantonen

Am 24. November stimmen wir über eine Vorlage ab, die ihren Namen trägt. Am Anfang der Reform zur einheitlichen Finanzierung von ambulanten und stationären Leistungen in Spitälern – kurz Efas – steht die «Motion Humbel» aus dem Jahr 2009. Es war ein ewiges Tauziehen, bis das Parlament die Vorlage zur Abstimmung bringen konnte – oft gegen den Widerstand der Kantone. Denn mit Efas würde der Steuerzahler zur Kasse gebeten, der Prämienzahler entlastet werden.

«Wir haben einen totalen Schönwetterföderalismus», geht die ehemalige Nationalrätin mit den Kantonen hart ins Gericht. «Das gilt gerade auch im Gesundheitswesen.» Von anderer Seite dagegen gab es viel Lob für die unermüdliche Kämpferin: «Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider (60) hat gesagt, das sei die wichtigste Reform seit Einführung der obligatorischen Krankenversicherung», freut sich Humbel.

Es ist davon auszugehen, dass es sie auch im November wieder jucken wird. Auch das Knie bekommt nicht immer die Schonung, die es bräuchte: Beim Fototermin unter den Reben in der Laube des Gartenhäuschens sind die Krücken schnell aus dem Bild verschwunden.

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