Auf einen Blick
- Frauen gehören zu den Gewinnerinnen der BVG-Reform
- Die Finanzexpertin Jacqueline Henn kritisiert, dass die Reform auf Kosten der Jungen geht
- Aus ihrer Sicht fehlt die Fairness der älteren Generation
Die berufliche Vorsorge stellt für viele Menschen neben der AHV einen wichtigen Grundpfeiler der Altersvorsorge dar. Die zur Abstimmung stehende Reform zielt darauf ab, die Renten der obligatorischen beruflichen Vorsorge (BVG) zu sichern und die Rentenleistungen für Menschen mit niedrigen Löhnen zu verbessern. Das klingt auf den ersten Blick vielversprechend. Gibt es auch Verlierer?
Jacqueline Henn: Definitiv. Um dies zu verstehen, müssen wir jedoch zunächst die Grundpfeiler der Reform erläutern.
Beispielsweise die Senkung des Umwandlungssatzes?
Der erste Aspekt ist die Senkung des Umwandlungssatzes von 6,8 Prozent auf 6 Prozent im Obligatorium. Davon betroffen sind etwa 14 Prozent der Bevölkerung. Ein weiterer Punkt sind die Ausgleichsmassnahmen. Diese werden durch die Senkung des Koordinationsabzugs erreicht – von 25'725 Franken auf 20 Prozent des Lohns. Ein grösserer Teil des Einkommens ist versichert.
Zu den Ausgleichsmassnahmen gehört auch der Rentenzuschlag für die Übergangsgeneration…
Der Rentenzuschlag wird an Personen gezahlt, die im Jahr des Inkrafttretens zwischen 50 und 65 Jahre alt sind und maximal 441'000 Franken in ihrer Pensionskasse haben. Wenn der Pensionskassenwert unter 220'500 Franken liegt, erhalten sie den vollen Zuschlag. Rund 25 Prozent der Übergangsgeneration erhalten diesen, während weitere 25 Prozent einen Teilzuschlag bekommen.
Dieser Artikel wurde erstmals auf «Cash.ch» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du auf www.cash.ch.
Dieser Artikel wurde erstmals auf «Cash.ch» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du auf www.cash.ch.
Was sind die weiteren Punkte?
Ein weiterer Punkt der Reform ist die Senkung der Eintrittsschwelle für die Aufnahme in die Pensionskasse von 22'050 auf 19'845 Franken. Dies betrifft insbesondere Teilzeitbeschäftigte und Personen mit mehreren Jobs. Ein weiterer Aspekt der Revision betrifft ältere Arbeitnehmer, die heute zum Teil aufgrund der Kosten diskriminiert werden. Die Altersgutschriften werden im Vergleich zu heute bis zum Alter von 34 Jahren erhöht, ab einem Alter von 35 und insbesondere ab 55 Jahren sinken diese Beiträge.
Die Übergangsgeneration und ältere Arbeitnehmer profitieren. Wer noch?
Die Übergangsgeneration profitiert nur zum Teil. Ein Teil von Ihnen wird trotz Rentenzuschlag eine geringere Rente erhalten. Die Reduktion der Altersgutschriften kann bei 55-Jährigen zu so viel tieferen Altersguthaben führen, dass die Rentenzuschläge zur Finanzierung nicht ausreichen. Auf der Gewinnerseite stehen sicher Teilzeitbeschäftigte oder Mehrfachbeschäftigte, die neu in die Pensionskassenversicherung aufgenommen werden. Dies halte ich insbesondere aus der Perspektive der Frauen für besonders wichtig.
Inwiefern kommt dies den Frauen zugute?
Aufgrund familiärer Verpflichtungen arbeiten Frauen oft in Teilzeit, zum Beispiel wenn sie Kinder haben. Der klare Vorteil besteht darin, dass Frauen mit geringeren Arbeitszeiten und niedrigerem Einkommen die Möglichkeit erhalten, später im Alter finanziell besser versorgt zu sein.
Wo sind die Probleme?
Bei der Übergangsgeneration herrscht das Giesskannenprinzip: Alle Personen, die unter der Schwelle von 441'000 Franken liegen, erhalten ja einen Zuschlag. Dies gilt auch für Personen mit einem umhüllenden Plan, die von der Senkung des Umwandlungssatzes gar nicht betroffen sind. Für die Mehrheit der Übergangsgeneration handelt es sich nicht um einen Ausgleich für niedrigere Renten, sondern schlicht um einen Rentenzuschlag – auf Kosten der jüngeren Generation. Man müsste prüfen, ob die Rente tatsächlich sinkt, bevor ein Zuschlag ausbezahlt wird. Gleichzeitig löst das System den Fehlanreiz aus, die eigene Sparquote nicht zu erhöhen, um dann von der Ausgleichfinanzierung profitieren zu können.
Wer bezahlt den Rentenzuschlag?
Da 32 Prozent der Bevölkerung zur Übergangsgeneration gehören, wird der Grossteil der Kosten von den Jungen getragen. Diese belaufen sich nach Schätzungen auf 11,3 Milliarden Franken, während die jährlichen Einsparungen nur bei 400 Millionen Franken liegen. Es dauert fast 30 Jahre, bis diese Zusatzkosten durch die Einsparungen finanziert werden.
Im Endeffekt geht es um Generationengerechtigkeit.
Ja, aber leider denkt jeder zuerst an sich selbst. Die Entscheidungsträger sind meist älter und stehen kurz vor der Rente.
Mehr zur BVG-Reform
Die Reform macht vieles falsch?
Ich finde viele Aspekte der Reform gut, insbesondere die Senkung des Umwandlungssatzes. Es ist auch wichtig, dass Menschen mit geringerem Einkommen eine Chance auf eine Pensionskasse haben. Ebenso ist die Reduzierung des Koordinationsabzugs für Mehrfachbeschäftigte ein wichtiger Schritt. Allerdings muss man sich genau überlegen, wer wirklich unter den Änderungen leidet. Wie kann ich diejenigen unterstützen, deren Rente verringert wird? Es sollte darum gehen, die Unterstützung gezielt und individuell zu gestalten anstatt das Giesskannenprinzip anzuwenden. Die Reform ist in ihrer jetzigen Form zu unpräzise.
Ein anderes Thema sind die Verwaltungskosten. Inwiefern droht dort eine unerwünschte Entwicklung?
Es wird oft gesagt, dass die Verwaltungskosten zu hoch sind. Doch wenn diese Reform den Pensionskassen auferlegt wird, steigen die Verwaltungskosten massiv an. Was passiert, wenn jemand mehrere Beschäftigungsverhältnisse hat? Die Pensionskassen müssen dann alle diese Informationen zusammentragen, was sehr aufwendig ist. Auch muss nachgewiesen werden, dass Menschen 15 Jahre versichert waren und 10 Jahre in Folge Beiträge zur AHV geleistet haben. Die Pensionskassen müssen viele Informationen, die sie selbst nicht haben, mühsam von den Versicherten einholen. Die Finanzierung der Ausgleichsmassnahmen erfolgt über alle Pensionskassen hinweg. Es werden auch diejenigen abgestraft, die bereits Massnahmen ergriffen und zum Beispiel keine BVG-Pläne mehr angeboten haben.
Auch ohne BVG-Reform ist klar, dass die Umwandlungssätze und damit die Renten weiter sinken werden. Ist der Kapitalbezug daher der logische Schritt?
Alle, die im Überobligatorium sind, erhalten ohnehin nicht mehr die vollen 6,8 Prozent. Auch die 6 Prozent werden in der Regel nicht mehr ausgezahlt. Vielmehr liegen die meisten Kassen bei einem Umwandlungssatz zwischen 5 und 5,5 Prozent. Aber es ist richtig. Die Zahlen zeigen deutlich, dass Kapitalbezüge massiv angestiegen sind. Doch das sehe ich als ein grosses Problem. Trotz der Kritik hat die Pensionskasse verschiedene Vorteile: Sie trägt das Langlebigkeitsrisiko, das heisst, wenn Sie nicht nur 85, sondern 95 Jahre alt werden, erhalten Sie weiterhin Ihre Rente. Zudem trägt sie das Anlagerisiko. In schlechten Jahren, wie 2022, als sowohl Anleihen als auch Aktien stark gesunken sind, bleibt Ihre Rente unberührt.
Wo liegen die Probleme beim Kapitalbezug?
Wenn Sie Ihr Geld beziehen und es schnell ausgeben, ohne an die Zukunft zu denken, ist das der Gesellschaft gegenüber nicht besonders verantwortungsvoll und risikoreich im Alter. Es macht sicher Sinn, wenn man mindestens so viel Geld in der Pensionskasse lässt, dass die Fixkosten wie Wohnen, Gesundheit oder Essen mit den Renten der AHV und BVG langfristig gedeckt sind.
Der Bundesrat plant, die 13. AHV-Rente durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer zu finanzieren. Wer sind die Leidtragenden dieses Vorschlags?
Ich habe wenig Verständnis dafür, dass Menschen mit Kindern diesem Vorschlag zugestimmt haben. Es ist offensichtlich, dass die Jungen erneut bezahlen müssen.
Jeder erhält eine 13. AHV-Rente, auch der Millionär…
Ob es der Millionär ist oder die Hausfrau, die nur geringfügig gearbeitet hat – alle bekommen eine zusätzliche Rente. Doch der Millionär mit Pensionskasse erhält doppelt so viel, weil er die Maximalrente bezieht. Auch in dieser Reform hätte man nicht das Geld mit der Giesskanne ausschütten sollen, sondern einen Weg finden, um den Menschen ein besseres Auskommen zu ermöglichen, die es wirklich brauchen.
Dr. Jacqueline Henn unterrichtet an der Universität Basel im Bereich Banking und Finance, insbesondere Kurse zum Thema Personal Finance. Daneben hat sie verschiedene Mandate in der Finanzbranche. Unter anderem sitzt sie im Bankrat der Basler Kantonalbank.
Dr. Jacqueline Henn unterrichtet an der Universität Basel im Bereich Banking und Finance, insbesondere Kurse zum Thema Personal Finance. Daneben hat sie verschiedene Mandate in der Finanzbranche. Unter anderem sitzt sie im Bankrat der Basler Kantonalbank.
Wie erklären Sie sich, dass die Gewerkschaften und die SP eine solche Vorlage präsentiert haben?
Ich habe keine Ahnung und absolut kein Verständnis dafür. Es ist schlichtweg unfair.
Wie lange machen die Jungen das noch mit?
Irgendwann werden sie hoffentlich auf die Barrikaden gehen und sagen: «Ihr bürdet uns zu viel auf. Ich mache nicht mehr mit!» Doch weil sich die Jungen oft nicht genug einmischen, könnte es noch länger dauern.
Und von der älteren Generation fehlt die Fairness?
Der Umgang mit den Jungen ist in meinen Augen alles andere als gerecht. Während der Corona-Pandemie wurde viel von den Jüngsten verlangt, obwohl sie selbst weniger stark betroffen waren. Sie sollten zu Hause bleiben und nicht mit ihren Freunden abmachen – für die Älteren. Und jetzt, wo es um die Finanzierung geht, sollen wieder die Jungen bezahlen. Für mich ist dieses System nicht tragbar. Wir müssen unsere finanziellen Systeme so gestalten, dass sie generationengerecht sind.
Wie beurteilen Sie den Zustand des schweizerischen Vorsorgesystems?
Verglichen mit den Ländern um uns herum haben wir ein sehr stabiles und gut funktionierendes Vorsorgesystem, das auf den drei Säulen AHV, Pensionskasse und private Vorsorge basiert. Doch es gibt auch viele Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen. Die steigende Lebenserwartung belastet sowohl die AHV als auch die zweite Säule. Das Verhältnis von Rentnern zu Erwerbstätigen hat sich drastisch verändert: 1970 lag es bei 1 zu 5, 2020 lag es bei 1 zu 3, und bis 2050 wird erwartet, dass es bei 1 zu 2 liegt. Zudem haben wir das Problem der niedrigen Zinsen, sowohl Real- als auch Nominalzinsen.
Bis zu welchem Alter müssen unsere Kinder arbeiten?
Schon wir müssten länger arbeiten, auch wenn man zur Übergangsgeneration gehört. Das wäre fair. Das System können wir nur retten, wenn alle ihren Beitrag leisten.
Wie wichtig wird die private Vorsorge in der Zukunft sein?
Die dritte Säule wird absolut essenziell sein, da die erste und zweite Säule nicht mehr ausreichen werden, um den Lebensstandard zu halten.
Und wann sollte man mit der privaten Vorsorge beginnen?
Sobald man das erste Geld verdient. Der Zinseszinseffekt ist hier besonders bedeutend und hat eine enorme Wirkung. Am Schweizer Aktienmarkt hat man in den letzten 40 bis 50 Jahren eine jährliche Rendite von 7 bis 8 Prozent erzielt. Bei einer Rendite von 7 Prozent verdoppelt sich das Investment in etwa alle 10 Jahre.
Wie wichtig sind die Steuereinsparungen?
Die Säule 3a bietet Steuereinsparungen im Jahr der Einzahlung. Man zahlt keine Vermögenssteuer auf das Guthaben und keine Einkommensteuer auf Dividenden und Zinsen. Über einen Zeitraum von 20 bis 40 Jahren macht das den Grossteil der Einsparungen aus.
Das eine sind staatliche Leitplanken, das andere ist die individuelle Eigenverantwortung. Wie gut ist die Bevölkerung über das Vorsorgesystem informiert?
Es gibt ein allgemeines Verständnis für unser System, und die ersten zwei Säulen werden einigermassen gut verstanden. Allerdings wissen nur wenige, wie viel Geld sie in ihrer Pensionskasse haben und wem das Geld gehört – nämlich ihnen selbst, nicht der Pensionskasse und nicht dem Arbeitgeber. Viele sind sich auch nicht bewusst, dass man über die dritte Säule in Aktien investieren kann.
Welche Tipps haben Sie für Personen, die sich um ihre Altersvorsorge kümmern möchten?
Zunächst sollten Sie sich dem Thema stellen und sich einen Überblick verschaffen. Was bekomme ich an AHV-Leistungen? Was bietet meine Pensionskasse? Und was möchte ich im Alter eigentlich zur Verfügung haben? Der nächste Schritt ist zu verstehen, wie man sein Geld anlegen kann. Viele wissen nicht, wie sie in Aktien investieren können. Ein ETF (Exchange Traded Fund, Anm. der Red.) ist beispielsweise ein kostengünstiges, breit diversifiziertes Anlageprodukt, ideal für die Aktienanlage. Es ist wichtig, die Gebühren zu verstehen – etwa das Total Expense Ratio (TER). Man sollte regelmässig prüfen, ob der Vorsorgeplan noch zu den eigenen Lebensumständen passt und gegebenenfalls Anpassungen vornehmen.