Für Firmen ist es der heilige Gral: Ein Produktname, der zum Synonym für Gegenstände des Alltags wird. Wenn in England zum Beispiel jemand «Hoover» sagt, meint er einen Staubsauger. Der Technologiekonzern Alpha knackte den Marketing-Jackpot schon vor Jahren. Wer sucht, der googelt. Oder besser: googelte. Denn bald könnte damit Schluss sein.
Googles Senior Vice President Prabhakar Raghavan liess die Katze an einem Kongress in Aspen (USA) aus dem Sack. Den verdutzten Branchenvertretern verkündete er: «Junge Leute suchen nicht mehr mit Stichwörtern im Internet.» Rund 40 Prozent der Teenager verliessen sich bei der Recherche auf Tiktok und Instagram. Googles Kerngeschäft ist plötzlich ernsthaft bedroht.
Raghavan stellte fest, dass neue Internetnutzer mit einem völlig anderen Mindset im World Wide Web unterwegs seien als frühere Generationen. Inhalte würden nicht mehr gesucht, sondern in bewegten Bildern im Endlos-Feed von Instagram oder Tiktok passiv entdeckt.
Ein Blick auf die Zahlen zeigt, dass in der Schweiz zwei Millionen Menschen Tiktok nutzen, weltweit mehr als 1,5 Milliarden. In einer Umfrage erklärten 50 Prozent, bereits Produkte gekauft zu haben, für die eine Werbung aufgeploppt sei. Im vergangenen Jahr war der am meisten verwendete Hashtag auf Tiktok: #tiktokmademebuyit – Tiktok hat mich zum Kaufen verführt.
«Hey Siri, was ist 7 mal 8?»
Wer nach 2010 geboren wurde, gehört zur «Generation Alpha»; 2025 wird sie rund zwei Milliarden stark sein – die grösste Generation der Geschichte. Bereits als Teenager beeinflusst sie das Kaufverhalten ihrer Eltern. In ein paar Jahren werden sie die wichtigste Zielgruppe sein. Das Problem: Die Generation Alpha stellt die Werbung vor grosse Rätsel. «Vieles, was uns heute als normal erscheint, wird die Generation Alpha infrage stellen», so der Jugendforscher Simon Schnetzer (43) zu SonntagsBlick.
Als Beispiel nennt er die Schule, die in der Regel im Schulhaus stattfinde. Diese Tatsache galt für Babyboomer, Generation X, Generation Y und Generation Z. Dann habe Corona die Welt auf den Kopf gestellt. Schnetzer sagt: «Schule fand plötzlich am Bildschirm statt, in den eigenen vier Wänden.»
Angehörige der Generation Alpha unterscheiden sich grundlegend von früheren Semestern. Sie sind die Ersten, die schon als Babys mit iPhone und Tablet in Berührung kamen. Bezugspersonen sind Mami und Papi, dann aber folgen bald Siri und Alexa. Das präge das Lernverhalten dieser Generation. Forscher Schnetzer: «Weshalb sollten sie das kleine Einmaleins auswendig lernen, wenn sie fragen können: ‹Hey Siri, was ist 7 mal 8?›»
Wenn aus Teenagern Screenager werden und die Bildschirmzeit bedenklich zunimmt, stellt das die Gesellschaft vor Probleme. Ein Kind, das im Fussballtraining freiwillig die Ersatzbank drückt und lieber Instagram oder Tiktok checkt, kann den Anschluss ans echte Leben verpassen. «Wer stets digitales Feedback braucht, verliert die Orientierung», sagt Schnetzer.
Reale Angebote hätten zwar nicht unbedingt an Wert verloren, stünden aber in einem viel härteren Wettbewerb mit digitalen Angeboten, so der Jugendforscher: «Man verzichtet freiwillig darauf, den Moment zu geniessen, um ebendiesen möglichst optimal zu dokumentieren und auf den digitalen Plattformen Anerkennung zu gewinnen.»
Jüngere sind im Dauerkrisenmodus
Die Beschäftigung mit Bildschirmen macht nicht glücklich. In sämtlichen jüngeren Umfragen äusserten junge Menschen pessimistische Zukunftsaussichten. Während die Generation Z noch dachte, irgendwie kommt es schon gut, sind die Jüngeren im Dauerkrisenmodus.
«Angehörige der Generation Alpha glauben nicht, dass sie das Wohlstandsniveau der Eltern halten können», sagt Schnetzer. «Lohnt es sich also überhaupt, in eine Karriere zu investieren, wenn ich nicht weiss, was in einem Jahr sein wird?»
Aufgabe der Gesellschaft werde es sein, Zuversicht zu spenden. «Damit die Jungen an eine Zukunft glauben.» Dies sei eine Grundvoraussetzung dafür, dass es mit dem Generationenvertrag klappt. «Man muss diese jungen Menschen beteiligen bei der Gestaltung der gemeinsamen Zukunft – und nicht über ihre Köpfe hinweg entscheiden.» Gelinge dies nicht, fühlten sich die Jungen nicht mehr verantwortlich: «Ihr habt es verbockt, jetzt könnt ihr es auch allein ausbaden.»
Als erwiesen gilt: Wer zu viel Zeit am Bildschirm verbringt, wird krank. Simon Schnetzer ist überzeugt, dass Angststörungen und Depressionen zunehmen. Die Folgen: steigende Gesundheitskosten und verminderte Arbeitsleistung. Schnetzer: «Es ist höchste Zeit, dass wir uns darum kümmern!»