«Die Gen Z verbiegt sich nicht für Geld»
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Junge mischen Arbeitsmarkt auf:«Die Gen Z verbiegt sich nicht für Geld»

Die Generation Z mischt den Arbeitsmarkt auf
Keine Karriere um jeden Preis

Weniger Stress, weniger Hierarchien, mehr Zeit für Privatleben: Wie Zwanzigjährige die Wirtschaft umkrempeln.
Publiziert: 10.07.2022 um 09:31 Uhr
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Aktualisiert: 11.07.2022 um 13:37 Uhr
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Hilfsprojekte statt Karriere: Sabrina Trebucchi reist mit dem Zug durch die Schweiz oder durch die ganze Welt und investiert Zeit in Freiwilligenarbeit.
Foto: Philippe Rossier
Camille Kündig

Rund 1,4 Millionen Schweizerinnen und Schweizer gehören zur Generation Z, den nach 1995 Geborenen. Sie sind top ausgebildet und hätten Chancen auf eine Bilderbuchkarriere. Doch statt zuzugreifen, lehnen sie dankend ab. Eine Führungsfunktion nach der Devise «schneller, höher, weiter» ist nicht ihr Ziel. Schon gar nicht um jeden Preis.

«Die Gen Z ist die erste, die sich dagegen wehrt, dass das Arbeitsleben in die Privatwelt eindringt», schreibt der Ökonom Christian Scholz in seinem Buch «Generation Z: Wie sie tickt, was sie verändert und warum sie uns alle ansteckt». Während die Vorgängergeneration, die sogenannten Millennials, beim Eintritt in den Arbeitsmarkt von einer Karriere träumten und in Kauf nahmen, dass Arbeits- und Privatleben miteinander verschmelzen, wollen die heutigen Jobeinsteiger wieder eine strikte Trennung.

Selbstverwirklichung und Zeit mit den Liebsten

Für Überstunden das Yoga hintanstellen? Nicht mit der Generation Z! Chefpositionen kommen daher für sie kaum infrage. Gerade 13 Prozent streben noch die klassische Karriere an, lautet das Fazit einer Studie des Personaldienstleisters Manpower. «Führungsaufgaben werden nicht mehr gleich stark gesucht, wie noch vor einigen Jahren», sagt Patrick Stöpper, Sprecher des Migros-Genossenschaftsbunds. Spannende Stellen seien für sie viel interessanter.

Der Wunsch nach Selbstverwirklichung und Zeit mit den Liebsten hat Priorität. Ein angemessener Lohn ist wichtig, motivierend wirkt jedoch vor allem der Spassfaktor, wie eine Untersuchung der Marketingagentur Jim & Jim zeigt. «Zentral ist für die heutigen Berufseinsteiger ein Stelle, die sie gerne ausüben und als sinnvoll empfinden», sagt Jan Burckhardt (20), Präsident der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft der Jugendverbände. 40 Prozent wären lieber arbeitslos als unglücklich im Job. Junge Männer geben an, die Kinderbetreuung sei ihnen wichtiger als der berufliche Aufstieg. «Warum sollte ich 100 Prozent arbeiten und nach einer Karriere streben, wenn ich mit weniger Geld auskomme und die Zeit für mein persönliches Wachstum nutzen kann?», fragt Videotechnikerin Sabrina Trebucchi (22). Mehr Geld erzeuge den Druck, einen bestimmten Lebensstil aufrechtzuerhalten.

Die Generation Z weiss, wie verbreitet psychische Krankheiten in der Gesellschaft sind. «Sie sieht, was die Digitalisierung mit uns macht», erklärt Adrian Wüthrich, Präsident der Gewerkschaft Travailsuisse. Sie hat beobachtet, wie Mama und Papa sich bis zur Erschöpfung aufopferten – und erkannt: Karriere ist relativ. Klimakrise, Corona, der Ukraine-Krieg: Die Generation Z leidet. «Wenn man bedenkt, dass laut einer Studie der Uni Basel ein Drittel der 14- bis 24-Jährigen in der Schweiz an schweren depressiven Symptomen leidet, ist es nicht verwunderlich, dass unsere Generation nicht mehr zu allem bereit ist, um Karriere zu machen», erklärt Jan Burckhardt von der Arbeitsgemeinschaft der Jugendverbände.

Schwanken zwischen Pragmatismus und Kampfgeist

Andreas Hausherr (25) ist gelernter Koch. Er landete im Burn-out und arbeitet nun Teilzeit. «Freizeit und Freiheit sind mir wichtiger als ein Posten», sagt er. Fälle wie seiner bedeuten aber nicht, dass junge Menschen generell Verantwortung scheuen oder sich nicht im Beruf verwirklichen wollen: Sie schwanken aber zwischen Pragmatismus und Kampfgeist. Die Generation Z will die Welt zu einem besseren Ort machen, also sehr hoch hinaus. Für dieses Ziel geht sie allerdings neue Wege.

Hebt Nicolas Huber (17) nicht als Gleitschirmpilot ab, sitzt er im Vorstand der Schülerorganisation der Kantonsschule Zürcher Oberland. Er wünscht sich neue Strukturen mit Fokus auf Zusammenarbeit und ohne hierarchische Hindernisse. «Heute muss man jahrelang aufsteigen, um etwas bewirken zu können. Das passt nicht zu den drängenden Herausforderungen, die sich meiner Generation stellen», sagt er. Statt ein ehrgeiziges Karriereziel anzustreben, stelle er sich für die Zeit nach der Matur die Frage: «Was will ich in meinem Umfeld nachhaltig bewegen?»

Was Dezentralisierung der Macht bedeutet, wissen die heute 20-Jährigen aus dem Netz: Sie wollen mit Vorgesetzten auf Augenhöhe kommunizieren. Und individuelle Planung ist gefragt. «Rückmeldungen aus den Branchen zeigen, dass Themen wie «Shared Leadership», also geteilte Verantwortung, verstärkt im Vordergrund stehen – und durch die Pandemie noch an Bedeutung gewonnen haben, wie Arbeitgeberverbands-Sprecher Andy Müller berichtet. Gefragt sind zudem mehr Führungsjobs auf Zeit. Und eine der prominentesten Vertreterinnen der Generation Z in der Schweiz, Yaël Meier, meint: «Unternehmen müssen sich bei uns bewerben.»

Frühe Pensionierung gewünscht

Laut einer Studie strebt ein Viertel ihrer Altersgenossen eine frühe Pensionierung an – im Gegensatz zu den Vorstellungen der Politik. Manor-Sprecherin Claire Freudenberger sagt: «Die Generation Z weiss, was und wohin sie will, sie scheut sich nicht, ihre Wünsche zu äussern.»

Das amerikanische Magazin «Time» hingegen spricht von der «Me Me Me Generation», der Generation «Ich, Ich, Ich». Und deutsche Arbeitgeber gaben in einer Umfrage an, es fehle den Jungen an Leistungsbereitschaft und Belastbarkeit. Kurz: Die Generation Z sei faul bis unverschämt. Richtig ist: Sie treten selbstbewusster auf als frühere Generationen – weil sie es sich leisten können. Sie sind weltoffen und mit der digitalen Technologie aufgewachsen.

Und für die Wirtschaft ist das von Vorteil: Jede Erhöhung des Anteils von «Digital Natives» in einem Land um ein Prozent lässt dessen Profitabilität um 0,9 Prozent steigen. Zahllose Experten sind inzwischen darauf spezialisiert, Firmen über den Umgang mit ihnen zu beraten. Die Wirtschaft tut gut daran, sich an der Gen Z zu orientieren, denn in Kürze wird sie unsere Gesellschaft prägen.

Fest steht: Die kommende Generation hat keine Lust auf die alte Jobwelt. Sie will weniger Stress und mehr vom Leben. Eigentlich keine schlechten Aussichten.
Für uns alle.

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