Michael L.* arbeitet seit mehr als zehn Jahren für die SBB. Mittlerweile gehört er zur Geschäftsleitung von SBB Cargo, die für rund 3400 Mitarbeitende im Güterverkehr verantwortlich ist.
Diese Führungsfunktion scheint L. jedoch nicht komplett in Anspruch zu nehmen. Privat ist er unternehmerisch tätig und an drei Firmen beteiligt: Die eine handelt mit CBD-Cannabisprodukten, die zweite mit Schmuckwaren und die dritte – nennen wir sie Lampen AG* – bezweckt gemäss Handelsregister «die Herstellung und den Handel von Leuchten und Leuchtstoffmitteln» sowie «die Erbringung von Dienstleistungen aller Art in diesem Bereich».
Liegt ein Interessenskonflikt vor?
Das Engagement bei der Lampen AG wirft Fragen auf: Denn gemäss Firmenwebsite hat das Unternehmen, bei dem der Bahnmanager als Geschäftsführer fungiert, in der Vergangenheit Aufträge von den SBB erhalten. In den Referenzen brüstet sich die Lampen AG mit der Mitarbeit bei einem der grössten Bahnhöfe der Schweiz sowie bei einem wichtigen Betriebsgebäude der Bahn im Mittelland.
Blick konfrontierte die SBB diese Woche mit diesem Sachverhalt und wollte wissen, was die Aufträge an die Lampen AG genau beinhalteten, wann diese vergeben worden waren und wie hoch das Auftragsvolumen war. Die wichtigste Frage aber lautete: Liegt hier ein Interessenkonflikt vor?
Michael L. «vorsorglich freigestellt»
Die SBB gingen auf die einzelnen Fragen nicht ein. Ein Sprecher teilte jedoch mit, gemäss «aktuellem Wissensstand» habe es «keine Direktvergabe» von Aufträgen durch die SBB an die Lampen AG gegeben. Jedoch: Es seien «offene Fragen zu möglichen Interessenkonflikten» von L. aufgetaucht.
Die Folge dieses Verdachts: Die SBB haben L. «vorsorglich freigestellt». Der Sprecher erklärt: «Für die Mitarbeitenden der SBB gelten strenge Compliance-Regeln, basierend auf dem Verhaltenskodex der SBB. Verstösse tolerieren wir nicht.»
SBB leiten Untersuchung ein
Welche möglichen Verstösse bei L. genau im Raum stehen, wollten die SBB nicht ausführen. Der Sprecher gibt aber folgenden Hinweis: «Interessenbindungen werden jährlich erfragt und müssen angegeben werden. Bei Verwaltungsratsmandaten ist eine Erlaubnis durch Vorgesetzte notwendig.»
Die Bahn hat nun eine «Compliance-Untersuchung» eingeleitet, die vom hauseigenen Rechtsdienst durchgeführt wird. Sobald die Sachverhalte «eingehend geprüft» und die Untersuchung abgeschlossen sei, erfolge eine Neubeurteilung der Situation. Das Unternehmen betont: «Es gilt die Unschuldsvermutung.»
Mehr zur SBB
Kuno Schedler (62) ist Professor für Public Management an der Universität St. Gallen. Er hält unabhängig vom konkreten Fall fest: «Wer in der Geschäftsleitung oder im Verwaltungsrat einer Aktiengesellschaft sitzt, ist gemäss Obligationenrecht dazu verpflichtet, dem Arbeitgeber sämtliche Interessenkonflikte offenzulegen.» Dabei sei unerheblich, ob es sich um private oder wirtschaftliche Angelegenheiten handle. «Für einen Staatsbetrieb wie die SBB gilt das erst recht», sagt Schedler.
Der Arbeitgeber habe zudem auch das Recht, zu erfahren, welchen Geschäftstätigkeiten ein Angestellter in seiner Freizeit nachgehe. Das gelte insbesondere für hohe Manager. Schedler: «Sie müssen dem Arbeitgeber alle Ämter und Positionen melden, die sie neben ihrem Hauptjob ausführen.» Nicht zuletzt deshalb, weil ein nebenberufliches Engagement eines Topmanagers für ein Unternehmen wie die SBB immer auch ein Reputationsrisiko darstellen könne.
*Namen geändert