Bahnfahren in der Schweiz wird teurer. Ab Dezember kostet das Generalabonnement (GA) für die 2. Klasse 3995 statt 3860 Franken, das Pendant der 1. Klasse verteuert sich von 6300 auf 6520 Franken. Das Halbtax schlägt um 5 Franken auf, eine Erneuerung kostet 170 Franken. Über das gesamte Sortiment gesehen steigen die ÖV-Preise mit dem Fahrplanwechsel am 10. Dezember um durchschnittlich 3,7 Prozent. Das ist zwar – dank der Intervention des Preisüberwachers – etwas weniger als im Frühling angekündigt. In Zeiten der Inflation ist der Aufschlag aber schmerzhaft, insbesondere für Menschen mit tiefen Einkommen.
Die ÖV-Branche, vertreten durch die Alliance Swiss Pass, wurde für die Preiserhöhungen stark kritisiert. Der Konsumentenschutz bezeichnete die Massnahme als «nicht nachvollziehbar». Der «Tages-Anzeiger» titelte: «Unsolidarischer geht gar nicht.» Auf Social Media und in den Kommentarspalten kamen vor allem die SBB unter die Räder. «In einem echten Markt wäre die SBB längst weg vom Fenster», meinte eine Leserin.
SBB: «Hatten keine andere Wahl»
Die Transportunternehmen verteidigten sich. «Wir haben aufgrund gestiegener Kosten keine andere Wahl gehabt», meinte etwa SBB-CEO Vincent Ducrot gegenüber Radio SRF.
Doch nun zeigen Recherchen von SonntagsBlick: SBB und Co. waren gar nicht die Hauptverantwortlichen für den Aufschlag. Druck gemacht hat vor allem das Bundesamt für Verkehr (BAV), das die Branche unmissverständlich zu Preiserhöhungen aufforderte. Das zeigen vertrauliche Dokumente, die SonntagsBlick gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz erhalten hat.
Am 27. März 2023 forderte BAV-Direktor Peter Füglistaler in einem Brief an die Transportunternehmen, die kantonalen Ämter für öffentlichen Verkehr und die Tarifverbünde: «Auf 2024 sind Tarifmassnahmen (TAMA) umzusetzen, sowohl national als auch bei den regionalen Tarifverbünden.» Bei den regionalen Tarifverbünden erwarte das BAV gar «zwingend eine überdurchschnittliche TAMA auf 2024», so Füglistaler weiter.
Die SBB dagegen waren lange gegen Preiserhöhungen. In einer Präsentation der «Arbeitsgruppe Nachhaltige Finanzierung SBB», die am 27. Oktober 2021 vor Vertretern des BAV und des Finanzdepartements gezeigt wurde, hiess es diesbezüglich: «Die SBB plant zurzeit bis 2030 keine Preisanpassungen, nicht zuletzt aufgrund der Unsicherheiten der Nach-Covid-Verkehrsentwicklung.»
Die Tatsache, dass in der ÖV-Branche dennoch über Tarifmassnahmen diskutiert wurde, geschah gemäss SBB-Präsentation «auf Anregung von BAV und Kantonen».
Die schriftlich festgehaltenen Druckmassnahmen der öffentlichen Hand sind brisant. Gemäss Artikel 15 des Bundesgesetzes über die Personenbeförderung liegt die Tarifautonomie bei den Tarifunternehmen. Wird hier das Gesetz geritzt?
Das BAV beurteilt die Intervention seines Direktors als unproblematisch. «Die Tarifautonomie der Transportunternehmen ist weiterhin gewährleistet», meint die Medienstelle. Es seien die Betriebe, die über die Ausgestaltung der Tarife entschieden und die Tarifhöhe festlegten. «Der Bund und die Kantone haben über die Festlegung der Subventionshöhe einen indirekten Einfluss und machen hier auch die Interessen der Steuerzahlenden geltend.»
Das BAV habe insbesondere auf die Beschlüsse des Bundesrats zur Konsolidierung des Bundeshaushalts vom 15. Februar 2023 hingewiesen, so die Medienstelle weiter. «Diese führen namentlich im öffentlichen Regionalverkehr dazu, dass für die nächsten Jahre bei weiter ausgebautem und damit teurerem Angebot die eingesetzten Steuergelder nicht im ursprünglich geplanten Umfang weiter erhöht werden können.» Damit seien zusätzliche Steuergelder als Alternative zu Preiserhöhungen ausser Betracht gefallen.
Preise nochmals angepasst
Die Alliance Swiss Pass sieht die Tarifautonomie der Branche ebenfalls unangetastet. Als Beleg dafür nennt der Verband die Tatsache, dass man nach Gesprächen mit Preisüberwacher Stefan Meierhans (55) die Preise nochmals angepasst habe: «Einzelne Elemente der angekündigten Tarifmassnahmen haben zu Diskussionen geführt – etwa die Erhöhung der GA-Preise für Erwachsene in der 2. Klasse sowie die Differenzierung zwischen 2. und 1. Klasse. Die ÖV-Branche hat die Massnahmen nochmals geprüft, dabei die Marktentwicklung im ersten Halbjahr 2023 einbezogen und in eigener Kompetenz Anpassungen vorgenommen.»
Der Preisüberwacher nahm das etwas anders wahr. Am 17. Mai 2023 zeigte er sich in einem Brief erstaunt über den Druck der Behörden auf die ÖV-Branche. «Gemäss mündlichen Angaben von Entscheidungsträgern ist die Tarifhoheit de facto stark eingeschränkt», hielt Meierhans fest. Demgemäss seien die Transportunternehmen weder frei, eine Tarifmassnahme umzusetzen, noch bestehe grosser Spielraum dabei, welche Mehrerträge diese liefern sollte.
Vollständige Selbstbestimmung klingt anders.