Bis zum Schluss bleibt das Jahrestreffen des World Economic Forum – kurz WEF – politisch: Christine Lagarde (68), Direktorin der Europäischen Zentralbank (EZB) gibt sich am traditionellen Panel zum globalen Wirtschaftsausblick kämpferisch. «Angriff ist die beste Verteidigung», sagt sie mit Blick auf eine mögliche Trump-Wiederwahl. «Um angreifen zu können, müssen wir zu Hause stark sein und unseren gemeinsamen europäischen Markt stärken.»
Der Zauberberg in Davos gehört jetzt wieder den Einheimischen und Touristen, die Reichen und Mächtigen kehren zurück ins Unterland oder in ihre Heimatländer. Vielen von ihnen sind der Meinung, dass der nächste US-Präsident Donald Trump (77) heissen wird. Die Sorge von Lagarde ist also berechtigt.
Wenig Wirtschaft und Umwelt
Leider hat auch in diesem Jahr niemand in Davos gezaubert, die Probleme sind noch die gleichen wie zu Beginn der Woche. Was bleibt, ist ein kleiner Schreibfehler: Denn das WEF müsste sich in diesem Jahr WeF abkürzen – mit kleinem e. «Economic» – also die Wirtschaft – wurde in diesem Jahr kleingeschrieben. Die Wirtschaft ist global nicht in der Krise, die Sorge gilt höchstens den Lieferketten, die durch den Krieg im Nahen Osten beeinträchtigt werden könnten.
Steigende Zinsen, Teuerung, schwaches Wirtschaftswachstum – Schnee von gestern, der im Davoser Regen weggeschwemmt wird. Das e könnte auch für «Environment», also die Umwelt, stehen. Denn auch der Klimawandel hatte in Davos Ausgabe 2024 keinen Platz auf der grossen Bühne. Immerhin: In kleineren Foren wurde heiss über die Erwärmung der Welt diskutiert, erzählen Teilnehmer.
Wenn überhaupt, steht das E für «Eskalation». Denn die droht im Nahen Osten. Ebenso wie in der Ukraine, wenn es nicht gelingt, den Neo-Zaristen Wladimir Putin (71) zu stoppen. Das WEF war so politisch wie schon lange nicht mehr, dominiert von den geopolitischen Krisen, die den Frieden in immer mehr Teilen der Welt bedrohen. Die aktuelle Weltlage hat aus dem WEF ein WPF gemacht – ein World Political Forum.
Die prägenden Figuren
Zwei Politiker haben denn auch die diesjährige Veranstaltung geprägt: Wolodimir Selenski (45) und Javier Milei (53). Am Ende seiner Schilderung der dramatischen Lage in der Ukraine und der Notwendigkeit für weitere Unterstützung im Kampf gegen den russischen Aggressor gab es für den ukrainischen Präsidenten Standing Ovations – auch weil der ehemalige Komiker seinen Sinn für Humor noch immer nicht verloren hat. Allerdings blieben seine Bitten unerhört, Selenski fährt mit leeren Händen nach Hause.
Milei, der Präsident von Argentinien, attackierte mit der verbalen Kettensäge Sozialismus, Feminismus und Ökologismus. Dafür gab es Begeisterungsrufe aus dem Publikum – die ultraliberalen Ideen des ehemaligen Professors kamen bei einigen seiner Amtskollegen gut an. Nicht so dagegen bei den meisten Frauen, die in diesem Jahr 28 Prozent aller Teilnehmenden ausmachten. Gleichstellung am WEF – das wird noch etwas dauern.
Eine Frau setzte gleich zu Beginn des WEF einen Kontrapunkt, zeigte Verständnis für die Sorgen vieler Menschen: Viola Amherd (61). Man müsse sich nicht wundern, dass das Misstrauen wachse gegenüber Wirtschaft und Politik. Man müsse jetzt liefern, sagte die Bundespräsidentin in ihrer Eröffnungsrede: «Wir sind negativen Trends nicht ausgeliefert, wir können sie brechen. Vertrauen und Hoffnung können erarbeitet werden. Wir müssen es tun. Dafür sind wir hier. Machen wir uns an die Arbeit!»
An KI führt kein Weg vorbei
Zum Beispiel, wenn es darum geht, Vertrauen in zwei Buchstaben zu schaffen, die in Davos unübersehbar waren: KI. Die künstliche Intelligenz war neben der Politik das zweite dominierende Thema. Auch wenn viele Wirtschaftsführer die Euphorie in all den Eventlokalen entlang der Davoser Promenade nicht ganz teilten und vor – im Moment noch – übertriebenen Erwartungen warnten, so ist doch klar, dass KI gekommen ist, um zu bleiben.
«Es ist nicht die KI, die dir den Job klaut. Es ist dein Kollege, der mit KI arbeitet, der deinen Job bekommt», war auf einem Panel zu hören. Das heisst, wir müssen unsere eigene Intelligenz benutzen, um den Gefahren der KI zu trotzen und die Chancen der vierten Revolution der Computertechnologie auszuschöpfen.
In seiner Abschlussrede appellierte WEF-Präsident Borge Brende (58) angesichts der grossen Herausforderungen an die internationale – politische – Zusammenarbeit: «Es gibt keine Unternehmen oder Länder, die isoliert von globalen Schocks sind», sagte der frühere norwegische Minister. «Wir hatten 350 Staatsoberhäupter und Minister hier. Wir haben einen neuen Geist der Solidarität geschaffen. Wir führen damit unsere Tradition fort, einen Raum für Diplomatie zu bieten.»