Nach Mileis Feminismus-Kritik
Die Wirtschaft braucht Frauen, Flüchtlinge und KI

Der Frauenanteil am WEF war noch nie so hoch wie in diesem Jahr. Dennoch sind sie weiterhin in der Minderheit. Nicht nur Javier Mileis Rede ist ein Schlag ins Gesicht vieler, die sich für die Gleichstellung einsetzen. Auch die KI könnte zum Stolperstein werden.
Publiziert: 18.01.2024 um 20:53 Uhr
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Aktualisiert: 19.01.2024 um 13:21 Uhr
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Der argentinische Präsident Javier Milei teilte am WEF gegen den Feminismus aus.
Foto: keystone-sda.ch

Ein Raunen geht durch den Plenarsaal des Davoser Kongresszentrums. Schuld ist der argentinische Präsident Javier Milei (53). «Der Kampf der Geschlechter ist lächerlich!», posaunt Milei heraus. «Die radikale Agenda der Feministinnen schafft Hürden für die wirtschaftliche Entwicklung.»

Die Reaktionen bei den weiblichen Teilnehmerinnen am Forum sind eindeutig. «Damit schiesst sich Milei in den Fuss», findet die Unternehmerin Anat Bar-Gera (66). «Ohne die Förderung und die Unterstützung der Frauen verzichtet er auf die Hälfte aller Talente. Das schadet der Wirtschaft enorm.»

Frauen, Flüchtlinge und Migranten sollens richten

Diese Arbeitskräfte zu verlieren, kann sich die Wirtschaft angesichts des Fachkräftemangels in vielen Industrienationen schlicht nicht leisten, bestätigt Becky Frankiewicz (51), Geschäftsleitungsmitglied der Manpower Group, einer der grössten Stellenvermittler weltweit. «Das ungenutzte Potenzial am Arbeitsmarkt liegt bei Frauen, Flüchtlingen und Migranten», stellt sie klar.

Selbst dieses Potenzial wird noch nicht reichen, um den globalen Mangel an Arbeitskräften zu decken. «Wir haben nicht genügend Menschen. Künstliche Intelligenz wird uns helfen, das auszugleichen und das Wirtschaftswachstum zu stärken», prophezeit Frankiewicz.

KI generiert leicht bekleidete Geschäftsfrauen

Doch in der KI lauert die nächste Herausforderung mit Blick auf die Geschlechtergleichheit. Denn während man Javier Mileis Ausfall als populistischen Unsinn abtun kann, könnte KI zu einem echten Problem werden.

«Wer die KI Midjourney bittet, ein CEO-Bild zu generieren, erhält in 98 Prozent der Fälle einen Mann», sagt Annabella Bassler (46), Ringier-CFO und Mitbegründerin der EqualVoice-Initiative. An einem Panel am Rande des WEF führt sie weiter aus: «Wer sich das Bild einer ‹Geschäftsfrau› generieren lässt, erhält in mehr als 50 Prozent der Fälle ein Bild einer Frau mit weit geöffneter Bluse in einer sexy Pose.»

Mehr Frauen-Bewerbungen dank KI

KI lernt aus bestehenden Inhalten – und übernimmt dadurch auch Geschlechterklischees. Hinzu kommt, dass 78 Prozent der Fachleute für künstliche Intelligenz (KI) laut einer WEF-Erhebung Männer sind. Gegenüber 22 Prozent Frauen. Es besteht die Gefahr, dass die Klischees durch KI nicht nur weitergetragen, sondern gar verstärkt werden.

Becky Frankiewicz sieht das Glas lieber halb voll. Bei Manpower hilft KI, Jobausschreibungen zu erstellen. «Das kann helfen, unbewusste Vorurteile zu verkleinern», erklärt die Amerikanerin. Menschen haben die Tendenz, Anforderungen wie «zehn Jahre Berufserfahrung» in Stelleninserate zu schreiben. Das schliesst viele Frauen aus, die etwa wegen einer Familienpause weniger lange im Arbeitsmarkt waren. Eine entsprechend programmierte KI hingegen setzt bei den benötigten Fähigkeiten an, statt eine mehr oder minder beliebige Anzahl Jahre Erfahrung zu fordern. Am Ende steht idealerweise ein Stelleninserat, das Frauen nicht von Beginn weg von einer Bewerbung abhält.

Weniger als jede Dritte am WEF ist eine Frau

Auch das WEF hat mit Blick auf die Geschlechtervielfalt Positives zu vermelden: Unter den 2800 Teilnehmenden am Forum waren in diesem Jahr 800 Frauen. So viele wie nie zuvor. Die Organisatoren bezeichnen es als «Meilenstein». Dennoch: Frauen sind am WEF mit 28 Prozent weiterhin deutlich in der Minderheit. «Wir bekräftigen unsere institutionelle Verpflichtung, das Gleichgewicht zwischen den Geschlechtern bei unseren Veranstaltungen kontinuierlich zu verbessern», schreiben die WEF-Verantwortlichen auf Anfrage.

Sie haben auch gar keine andere Wahl. «Eine erfolgreiche Gesellschaft, eine erfolgreiche Wirtschaft, geht nicht ohne Frauen», bringt es Barbara Stäuble (58) auf den Punkt, Vorstandsmitglied bei Women in Tech Switzerland.

Zu einigen der am besten besuchten Pavillons an der Davoser Promenade gehören in diesen Tagen solche, die sich bewusst mit Geschlechterfragen beschäftigen. Vor dem Hard Rock Hotel etwa bildeten sich am Donnerstag gleich mehrfach lange Schlangen. Die World Woman Foundation veranstaltete dort eine Reihe von Panels zum Thema «World Woman Davos Agenda». Es ist eine Ansage an die Organisatoren, diese Themen in den kommenden Jahren noch stärker auch im Kongresszentrum auf die grosse Bühne zu heben.

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