Auf einen Blick
- Die Beltrame Group, der Stahl Gerlafingen gehört, erhält in der EU Subventionen, schüttet der Besitzerfamilie aber gleichzeitig Millionen-Dividenden aus
- Die Höhe der Dividenden und der staatlichen Zuschüsse halten sich ziemlich genau die Waage
- Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass auch Subventionen des Bundes unerwünschte Nebenwirkungen hätten
Stahl ist nicht der richtige Stoff. Es braucht ein Herz aus Stein, damit einen die hart arbeitenden Büezer im Kampf um ihre Jobs kaltlassen. «Wir wollen unsere Arbeitsplätze retten und fordern von den Politikern, dass sie nun endlich handeln», rief ein Angestellter von Stahl Gerlafingen im Oktober auf dem Bundesplatz aus.
Auch die Unternehmerfamilie Beltrame, der das Stahlwerk im Kanton Solothurn gehört, verlangt staatliche Unterstützung. In einem Interview mit der «NZZ am Sonntag» beklagte sich Verwaltungsratspräsident Antonio Beltrame über die hohen Stromkosten in der Schweiz und kritisierte den Bundesrat scharf.
Weil sich die Regierung weigere, Industriepolitik zu betreiben, drohe dem Land eine Deindustrialisierung: «Die Schweiz scheint dem Niedergang der Stahlindustrie, die enorme Beiträge an Kreislaufwirtschaft und Versorgungssicherheit leistet, tatenlos zuzusehen.»
Voll des Lobes ist der Italiener derweil für unsere europäischen Nachbarn: «Die EU und ihre Mitgliedsländer wie Frankreich haben im Gegensatz zur Schweiz den strategischen Wert einer unabhängigen Produktion erkannt und verteidigen ihre Stahlwerke mit massiven Fördermassnahmen.»
Dividenden und Subventionen halten sich die Waage
Die Freude an dieser Industriepolitik verwundert nicht, wenn man die Geschäftsberichte der Beltrame Group analysiert: Der Stahlkonzern, der in Italien, Frankreich, Rumänien und der Schweiz produziert, kassierte allein in den Jahren 2022 und 2023 staatliche Zuschüsse in Höhe von 57,7 Millionen Euro, Entschädigungen für Kurzarbeit nicht inbegriffen.
Auf Anfrage von Blick schreibt das Unternehmen: «Die erwähnten Mittel kommen von der EU, von deren Mitgliedsstaaten, aber auch von regionalen Behörden.» Viele dieser Beiträge seien an klar festgelegte Auflagen gebunden und setzten etwa Investitionen oder andere Massnahmen voraus.
Eine Bedingung jedoch wurde nicht gestellt: das Verbot von Gewinnausschüttungen an die Aktionäre. Denn in den Jahren, in denen sich die Beltrame Group staatlich subventionieren liess, schüttete die Besitzerfamilie Dividenden in Höhe von 54,2 Millionen Euro aus.
Mit anderen Worten: Die Steuerzahler in Italien, Frankreich und dem Rest der EU bescherten den Eigentümern einen Millionensegen.
Die Beltrame Group beurteilt die Sachlage – wenig überraschend – anders: «Der Zusammenhang zwischen den ausgeschütteten Dividenden und den erhaltenen Beihilfen ist irreführend», hält das Unternehmen in einer Stellungnahme fest.
Die in den Jahren 2022 und 2023 ausgeschütteten Dividenden entsprächen lediglich 12,2 Prozent des «ausschüttungsfähigen Gewinns». Zudem sei die von der Familie Beltrame verfolgte Dividendenpolitik «immer begrenzt» und «auf die Kapitalisierung des Unternehmens» ausgerichtet gewesen.
Wie gut ist der Dividenden-Schutz in der Schweiz?
Tatsache ist: Ohne staatliche Subventionen hätte die Beltrame Group ihre Produktpreise erhöhen – oder aber eine Reduktion der Gewinnmargen in Kauf nehmen müssen.
Nun darf die Gruppe auch in der Schweiz auf staatliche Unterstützung hoffen. Die Energiekommission des Nationalrats hat eine Vorlage gutgeheissen, die das Tochterunternehmen Stahl Gerlafingen sowie die Swiss Steel Group und den Aluminiumhersteller Novelis um rund 50 Millionen Franken entlasten soll. Diese Unternehmen sollen in den kommenden Jahren einen entsprechenden Rabatt für die Nutzung des Stromnetzes erhalten.
Die Hilfe ist noch nicht beschlossen, die Chancen dafür sind aber intakt. Deshalb stellt sich die Frage: Wird die Industriepolitik auch in der Schweiz unerwünschte Nebenwirkungen haben?
SVP-Nationalrat Christian Imark (SO, 42) und SP-Nationalrat Roger Nordmann (VD, 51), Anführer der überparteilichen Allianz zur Unterstützung der Stahlindustrie, verneinen dies: «Durch die Bedingungen, welche die Kommission zur Inanspruchnahme der hiesigen Unterstützung festgesetzt hat, können solche ungewünschten Effekte für das Schweizer Rettungspaket verhindert werden», teilen sie in einer gemeinsamen Stellungnahme mit.
Tatsächlich ist im Entwurf von einem Dividenden-Verbot die Rede. Dieses bezieht sich allerdings nur auf Stahl Gerlafingen, von einem generellen Verbot für die ganze Gruppe ist nirgends die Rede. Die Beltrame Group schreibt dazu: «Uns sind keine solchen Bedingungen bekannt.»
Die Unternehmensverantwortlichen betonen jedoch, dass für das Werk in Gerlafingen nie Dividenden ausgeschüttet worden seien. Im Gegenteil: Die Gruppe habe seit der Übernahme 2006 450 Millionen Franken in den Schweizer Standort investiert.
Die Milliardäre hinter den Stahlkonzernen
All diesen Beteuerungen zum Trotz kann nicht ausgeschlossen werden, dass allfällige Subventionen für die Stahlindustrie, finanziert von Schweizer Steuerzahlern, am Ende auch das Konto reicher Unternehmer füllen helfen.
Das gilt nicht nur für die Familie Beltrame: Novelis, Aluminiumhersteller mit einem Werk in Siders VS, ist Teil eines US-amerikanischen Milliardenkonzerns, der von der indischen Hindalco Industries kontrolliert wird. Diese wiederum gehören zum Mischkonzern Aditya Birla Group, geleitet vom Milliardär Kumar Mangalam Birla (57).
Die Swiss Steel Group wiederum befindet sich im Besitz von Amag-Erbe Martin Haefner (70), Unternehmer-Legende Peter Spuhler (65) und dem russischen Oligarchen Viktor Vekselberg (67). Ihr Konzern profitierte in den vergangenen Jahren im EU-Raum ebenfalls von staatlicher Unterstützung von weit mehr als 100 Millionen Euro. Im Gegensatz zur Beltrame Group hat das Unternehmen jedoch schon länger keine Dividende mehr ausgeschüttet.
Geholfen hat es Swiss Steel nur bedingt: In den letzten fünf Jahren resultierte für das Unternehmen ein kumulierter Reinverlust von mehr als einer Milliarde Euro.