Umstrittene Vorlagen – wer sind die Gewinner und Verlierer?
Die Fallstricke bei der Abschaffung der Heiratsstrafe

Die Abschaffung der Heiratsstrafe ist ein politisches Minenfeld. Drei Vorschläge könnten die Steuerlast für Ehepaare senken, aber auch Geringverdiener stark belasten. Wir zeigen auf, welche Probleme noch bestehen.
Publiziert: 20.02.2025 um 01:34 Uhr
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Aktualisiert: 20.02.2025 um 07:06 Uhr
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Ein Fest der Freude: Es gibt Paare, die von einer Heirat steuerlich profitieren.
Foto: Shutterstock

Auf einen Blick

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Chantal Hebeisen
Beobachter

Der Staat darf von Ehepaaren nicht höhere Steuern einfordern als von Unverheirateten. Das legte das Bundesgericht in einem Leiturteil fest – vor 40 Jahren. Dieser Grundsatz ist bis heute nicht umgesetzt und soll mit der Individualbesteuerung gelöst werden. Also indem man Verheiratete einzeln besteuert.

Doch das Problem zu lösen, ist komplizierter, als es auf den ersten Blick scheint. Vor allem stellt sich die Frage: Wird die Besteuerung dann wirklich gerechter? 

Kantone mildern Heiratsstrafe bereits

Das Problem beginnt beim ungenauen Bild der Heiratsstrafe: Dass Paare nach der Hochzeit automatisch mehr Steuern zahlen, stimmt gar nicht. Oder besser: nicht überall. Denn die meisten Kantone haben Massnahmen ergriffen, um die Steuerlast der Ehepaare zu senken. Etwa durch Splittingtarife oder den Familienquotienten. 

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Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.

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Beim Splitting wird die Steuer bei Verheirateten, Einelternfamilien und Personen in eingetragener Partnerschaft auf die Hälfte oder 75 Prozent des Einkommens berechnet. Beim Familienquotienten wird für die Steuereinschätzung das Einkommen durch einen Faktor geteilt, der von der Anzahl Familienmitglieder abhängt. 

Heiratsstrafe meist nur bei der direkten Bundessteuer

Die Heiratsstrafe gibt es also meist nur bei der direkten Bundessteuer. Diese zahlen 19 Prozent aller Ehepaare in der Schweiz nicht, weil ihr Einkommen zu niedrig ist. 454’000 Doppelverdiener-Ehepaare trifft die Heiratsstrafe.

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Was muss man versteuern, was nicht? Was darf man abziehen? Der Beobachter weiss Rat. Viele Tipps rund um das Thema Steuern sowie eine Beratungshotline findest du hier.

Beobachter

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Ein Beispiel: Mira Muster hat ein steuerbares Einkommen von 80’000 Franken – sie zahlt 1423 Franken Bundessteuern. Für ihren Partner Samuel Blume fallen für 60’000 Franken Einkommen 687 Franken an. Der Bund erhält von ihnen total 2110 Franken.

Es gibt auch Paare, die von einer Heirat profitieren

Wenn sie heiraten, werden sie zur Wirtschaftsgemeinschaft. Sie versteuern ein gemeinsames Haushaltseinkommen von 140’000 Franken und zahlen gemäss dem Steuerrechner «Cash or crash» von Alliance F nun 4500 Franken Bundessteuern. Denn die Bundesverfassung besagt: Wer mehr verdient, soll sich stärker an den Kosten der Allgemeinheit beteiligen.

Wie der Steuerrechner zeigt, gibt es auch Paare, die von einer Heirat profitieren: Wenn Mira Muster 140’000 Franken verdient und ihr Partner nichts, würden sie im Konkubinat 6500 Franken zahlen.

Drei Vorschläge gegen die Heiratsstrafe liegen vor

Aktuell sind auf Bundesebene drei Vorschläge hängig, um die Heiratsstrafe zu beseitigen.

  1. Im September 2022 reichten die FDP-Frauen die Steuergerechtigkeitsinitiative für eine zivilstandsunabhängige Individualbesteuerung ein. Sie verlangt eine Änderung der Bundesverfassung. Alle natürlichen Personen seien unabhängig vom Zivilstand zu besteuern. Genauer formuliert die Initiative das nicht.
  2. Der Bundesrat erarbeitete daraufhin einen indirekten Gegenvorschlag auf der Ebene Bundessteuergesetz. Auch dieser will die individuelle Besteuerung, enthält aber bereits Vorschläge zur konkreten Umsetzung.
  3. Der dritte Vorschlag ist die Initiative «Ja zu fairen Bundessteuern auch für Ehepaare» der Mitte-Partei. Sie will Ehepaare weiter gemeinsam besteuern, die Behörden müssten aber berechnen, wie viel das Paar im Konkubinat bezahlen würde. Die günstigere Variante würde in Rechnung gestellt. Der Bundesrat hat diese Initiative bereits abgelehnt, er bevorzugt seine Variante.

Weil die 454’000 Paare mit der Individualbesteuerung weniger zahlen würden, käme es jährlich zu Steuerausfällen von 800 Millionen bis einer Milliarde Franken. Doch die Steuerausfälle sind nicht das einzige und auch nicht das wichtigste Problem, das sich mit einer individuellen Besteuerung ergeben würde. Es geht um viel Grundsätzlicheres. 

Nachteile für Verheiratete und Familien

Problem eins: Das Einkommen von Verheirateten und Einelternfamilien wird heute tiefer besteuert als das von Alleinstehenden. Damit entlastet der Staat Alleinerziehende, Familien und Paare, die hauptsächlich von einem Lohn leben. Dieser Verheirateten- und Einelterntarif würde mit der Individualbesteuerung abgeschafft, das Paar Muster-Blume müsste also auch verheiratet rund 6500 Franken Bundessteuern zahlen.

Problem zwei: Auch die kantonalen Splitting- oder Familienquotient-Tarife würden wegfallen, weil Gemeinden und Kantone Ehepaare auch individuell besteuern müssten und ein Abgleich zwischen den Steuerdossiers des Ehepaars explizit nicht vorgesehen ist. Wie sie verhindern würden, dass Einverdienerfamilien, Alleinerziehende und Geringverdiener plötzlich deutlich mehr Steuern zahlen müssen, ist noch unklar.

Bei der direkten Bundessteuer schlägt der Bundesrat drei Punkte vor, um die Mehrbelastung der Gering- und Einverdiener abzufedern: Er will den Kinderabzug erhöhen, Kinderabzüge den Ehepartnern je hälftig gewähren sowie Steuertarif und Progressionsstufen zugunsten von Geringverdienern anpassen. 

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Doch die zentrale Frage bleibt: Bringt die Individualbesteuerung mehr Steuergerechtigkeit – oder würden im Gegenteil neue, noch krassere Ungleichheiten geschaffen?

«Das ist sozialpolitisch nicht vertretbar»

Monika Bütler hat sich vertieft mit dem Thema auseinandergesetzt. Die 63-jährige Ökonomin und Wirtschaftsprofessorin an der Uni St. Gallen hat eine differenzierte Meinung. «Auch mit den vom Bundesrat vorgesehenen Korrekturen würden Doppelverdiener mit hohen Einkommen vom Systemwechsel stark profitieren. Dagegen würden Familien mit nur einem Einkommen, Alleinerziehende und Geringverdiener-Paare stärker belastet. Das ist sozialpolitisch nicht vertretbar.» 

Dennoch befürwortet sie die Individualbesteuerung klar. Ihr geht es um den Grundsatz der Gleichheit zwischen Mann und Frau. «Wir haben die Frauen lange genug als Anhängsel des Mannes betrachtet – es ist höchste Zeit für die finanzielle Unabhängigkeit aller.» Es sei wichtig, dass die Frauen ihre eigene Steuererklärung ausfüllen. «Wer sich um seine Finanzen kümmert, trifft andere Entscheidungen.» 

Doch was tun, damit nicht jene verlieren, die das Geld am meisten brauchen? Ohne weitere Anpassungen gehe es nicht, sagt Bütler. Man müsse den neuen Einheitstarif, die Kinderabzüge und die Progression anders gestalten. «Unser Steuersystem ist ein komplexes Gesamtwerk – wenn man es ändern will, muss man das ganze Gebilde neu denken.» 

Bütler erwähnt das holländische Modell als Alternative: Das Land besteuert die Bürger anhand der Haushaltszusammensetzung. «Das ist gerechter, denn wer zusammenlebt, ist wirtschaftlich leistungsfähiger – der Zivilstand spielt keine Rolle.»

«Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung würde deutlich mehr belastet»

Ein Gegner der aktuellen Vorschläge zur Individualbesteuerung ist der ehemalige Direktor der Eidgenössischen Finanzverwaltung und Ex-Gewerkschafter Serge Gaillard. Die Vorschläge würden fälschlicherweise als gerecht empfunden. «Eine Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung würde deutlich mehr belastet.»

Eine Änderung des Systems sei nicht notwendig. «Es ist nicht so schlecht, wie suggeriert wird», so der 69-Jährige. Mit Blick auf das aktuelle Sparpaket des Bundes meint er zudem: «Eine Reform, die für so viele so krasse Nachteile bringt, ist die 800 Millionen Steuerausfälle nicht wert.» 

Sie stehe zudem im Widerspruch zum Sozialsystem: «Wer heiratet, übernimmt für den Partner finanzielle Verantwortung, wenn dieser wenig oder kein Einkommen hat – dem muss auch das Steuersystem Rechnung tragen.» 

Einig sind sich Bütler und Gaillard, dass ein zentrales Argument der Individualbesteuerungs-Initiantinnen nicht eintreffen wird: Die separate Besteuerung werde kaum mehr Frauen zurück in den Job bringen. Das zeigen mehrere Studien. «Nicht die höhere Steuerlast hält Frauen davon ab, mehr zu arbeiten, sondern weil sie durch das höhere Einkommen Krippensubventionen verlieren», sagt Bütler.

Einen weiteren Aspekt bringt Jean-Blaise Roggen vom Arbeitgeberzentrum Centre Patronal ein: «Wir sehen eine grosse Gefahr, dass gut verdienende Ehepaare mit dieser Vorlage Steuern optimieren werden.» Er beriet früher selbst vermögende Kundschaft. Wenn das Ehepaar Muster-Blume als Firmeninhaber einen Kredit aufgenommen hat, wird heute nicht unterschieden, wer die Schulden gemacht hat. Mit der individuellen Besteuerung könne das Paar die Schuldzinsen bei Mira Muster abziehen, um ihre Einkommenssteuer zu reduzieren. Auch Pauschalbesteuerte könnten auf ähnliche Weise tricksen. «Es sind nicht viele Steuerpflichtige, die so tricksen können, aber es sind jene mit den höchsten Einkommen – und das wird dem Fiskus schaden.»

Die Heiratsstrafe mit der Individualbesteuerung beseitigen: Was so einfach, gerecht und modern klingt, hat für Bevölkerung und Staat weitreichende Folgen. Das Bundesgericht hat die Ungerechtigkeit vor 40 Jahren benannt. Das Parlament hat nun bis März 2026 Zeit, eine politische Lösung zu finden – entscheiden wird dann das Stimmvolk.

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