Eine Steuererklärung pro Ehepaar? Das soll bald vorbei sein. Der Bundesrat will, dass jede steuerpflichtige Person ihre eigene Steuererklärung einreicht – egal ob verheiratet oder ledig. Anfang Jahr hat FDP-Finanzministerin Karin Keller-Sutter (60) ihren Vorschlag für den Systemwechsel präsentiert. Kostenpunkt: 1 Milliarde Franken weniger für Bund und Kantone.
Für diesen Vorschlag hat sich in der Gesamtabstimmung nun auch die Wirtschaftskommission des Nationalrats ausgesprochen – knapp mit 13 zu 12 Stimmen. Die grosse Kammer entscheidet in der Herbstsession über die Reform.
Dort droht ein Scherbenhaufen. SVP und Mitte lehnen die Vorlage ab – ihre Fraktionen bringen 98 Stimmen auf die Waage. Der Vorsprung der Pro-Allianz aus FDP, SP, Grüne und GLP ist mit 102 Stimmen hauchdünn. Seit Jahren arbeitet sie auf den Systemwechsel hin. Doch nun, das Ziel zum Greifen nah, droht die Allianz zu zerbrechen. Der 1-Milliarden-Steuerausfall bleibt der entscheidende Knackpunkt.
Linke in der Bredouille
Die vorgesehenen Mindereinnahmen bringen die Linke in die Bredouille. Mit ihrer Forderung nach einer vollständigen Kompensation kam sie in der Kommission nicht durch. Ebenso wenig damit, das Geschäft mit mehr Geld für die Kita-Finanzierung zu verknüpfen. Die Gretchenfrage: Schlucken SP und Grüne die finanzpolitische Kröte?
In der Kommission haben sie der Vorlage zähneknirschend zugestimmt. «Wir wollen die Reform nicht jetzt schon scheitern lassen, in dieser Form können wir sie aber nicht bis zum Schluss mittragen», macht SP-Nationalrätin Céline Widmer (46, ZH) gegenüber Blick klar. 1 Milliarde sei einfach zu viel. «Die Reform ist zwar überfällig, aber zu diesem Preis wird sich in unserer Fraktion keine Mehrheit dafür finden lassen», sagt auch Grünen-Nationalrätin Franziska Ryser (32, SG).
Soll der Systemwechsel gelingen, müssen die Pro-Parteien die Reihen schliessen. Abweichler verträgt es da nicht. «Wir bieten Hand zu einem mehrheitsfähigen Kompromiss», betonen Widmer wie Ryser. Daher haben SP und Grüne auch einen Antrag von GLP-Nationalrätin Kathrin Bertschy (45, BE) unterstützt. Diese wollte Gutverdienende im obersten Segment etwas stärker belasten, um so die Steuerausfälle auf 500 Millionen zu begrenzen. Die FDP zog allerdings nicht mit, Bertschys Antrag fiel durch.
«Ich möchte nicht, dass die Reform scheitert», so Widmer. Es liege nun an der FDP, den entscheidenden Schritt zu machen. «Ohne Kompromiss ist der Absturz programmiert.»
FDP-Vincenz sieht SP in der Pflicht
Ein Absturz, den FDP-Nationalrätin Susanne Vincenz-Stauffacher (57, SG) verhindern möchte. «Die Vorlage ist ein Meilenstein für Gesellschaft, Familien und Frauen», sagt sie. Die Bundesratsvorlage erachtet sie als ausgewogenen Kompromiss. Die Steuerausfälle würden sich langfristig minimieren, da mehr Frauen ins Erwerbsleben einsteigen würden, ist Vincenz überzeugt.
Die SP müsse nun über ihren Schatten springen. «Die Kommission hat der grössten gemeinsamen Nenner gefunden», so Vincenz. «Die SP muss nun Farbe bekennen, was ihr wichtiger ist: Klassenkampf oder Gleichstellung.»
GLP-Bertschy zuversichtlich
GLP-Nationalrätin Kathrin Bertschy hingegen zeigt sich zuversichtlich, dass sich FDP und SP doch noch zu einem Deal zusammenraufen. «Der Nutzen dieser Reform für den Arbeitsmarkt und die Gleichstellung übersteigt den Zankapfel um die Steuerausfälle bei weitem», sagt sie. Mit der Individualbesteuerung steige der Erwerbsanreiz für Zweitverdiener, also vor allem Frauen.
Bei allen vier Frauen bleibt die Hoffnung, dass die Pro-Allianz den Rank doch noch findet. Offen ist, ob ihr das bereits in der Herbstsession gelingt. Lassen Freisinn und Linke die Muskeln spielen, könnte die Vorlage in der Gesamtabstimmung durchfallen. Das käme einem Nichteintretens-Entscheid gleich.
Scherbenkitten im Ständerat?
Dann liegt es am Ständerat, die Scherben zu kitten. Gelingt es der Pro-Allianz auch dort nicht, ist die Reform vorerst vom Tisch.
Das Volk könnte sich trotzdem zum Thema äussern: Die FDP-Frauen würden ihre Steuer-Initiative an die Urne bringen, welche auch von der Wirtschaftskommission knapp befürwortet wird. Zudem ist eine Volksinitiative der Mitte beim Bundesrat hängig, welche über ein Ehepaar-Modell die Abschaffung der Heiratsstrafe fordert.