Auf einen Blick
- Showdown um Individualbesteuerung im Nationalrat
- Steuerlast für viele sinkt, besonders für gleichverdienende Ehepaare
- Wegen der erwarteten Steuerausfälle droht aber ein Scherbenhaufen
Der Showdown im Nationalrat war mit Spannung erwartet worden. Und die Debatte um die Individualbesteuerung hatte es in sich: Geschlagene fünfeinhalb Stunden stritt sich der Rat, 68 Redner hatten sich angekündigt, Argumente wurden wiederholt und wiederholt – und nochmals wiederholt. Denn allen war klar, dass die Mehrheiten im Saal hauchdünn sind.
Im Grunde waren sich alle einig: Mit der steuerlichen Benachteiligung verheirateter Paare soll bald Schluss sein. Das Wie aber ist höchst umstritten. So umstritten, dass sich der Nationalrat am späten Montagabend nicht zu einem Entscheid durchringen konnte. Dieser ist auf nächste Woche vertagt. Worum aber geht es genau? Blick erklärt die wichtigsten Eckpunkte.
Was soll sich ändern?
Künftig soll jede steuerpflichtige Person ihre eigene Steuererklärung einreichen – egal ob verheiratet oder ledig. Das will sowohl die Steuergerechtigkeits-Initiative der FDP-Frauen als auch der indirekte Gegenvorschlag des Bundesrats.
Heute werden verheiratete und eingetragene Paare gemeinsam besteuert. Und das kann teuer werden: Arbeiten nämlich beide, muss das Ehepaar wegen der Progression mehr Steuern bezahlen als ein Konkubinatspaar mit gleichem Einkommen. Mit dem Wechsel zur Individualbesteuerung soll diese «Heiratsstrafe» abgeschafft und es sollen Anreize geschaffen werden, damit gerade Frauen ihre Arbeitspensen erhöhen.
Ein Knackpunkt: Steuereinnahmen von rund einer Milliarde Franken würden wegfallen – 800 Millionen beim Bund, 200 Millionen bei den Kantonen.
Wer profitiert vom Vorschlag des Bundesrats?
Gemäss Finanzministerin Karin Keller-Sutter (60) wird die Steuerlast für eine «deutliche Mehrheit» der Steuerzahlenden sinken. Als Erstes kommt der Vorschlag Ehepaaren zugute, bei denen beide etwa gleich viel verdienen. Auch viele Rentnerehepaare würden weniger Steuern zahlen.
Weil der Bundesrat aber den Steuertarif für die direkte Bundessteuer anpassen will, würden auch unverheiratete Personen ohne Kinder profitieren. Konkret sollen die Steuersätze für tiefe und mittlere Einkommen gesenkt werden. So würde der Grundfreibetrag von 15'000 auf 20'000 Franken erhöht. Sehr gute Verdiener sollen hingegen etwas mehr zahlen.
Wer wird mehr zur Kasse gebeten?
Ehepaare, die ein traditionelles Familienmodell leben, sollen mehr Steuern zahlen. Besonders betroffen sind Ehepaare mit Kindern, denn der Bundesrat will den Kinderabzug bei der direkten Bundessteuer von 6600 auf 12'000 Franken anheben. Es tönt paradox, doch das führt zu einer höheren Steuerbelastung: Denn der Abzug soll auf beide Eltern aufgeteilt werden – und wenn etwa die Mutter kein Einkommen erzielt, kann sie auch nichts abziehen. Allerdings: 40 Prozent aller Familien zahlen gar keine Bundessteuer. Für diese ändert sich vorerst nichts.
Längerfristig allenfalls schon, weil der Bundesrat will, dass auch Kantone und Gemeinden auf Individualbesteuerung umstellen. Doch wie die Auswirkungen dort wären, lässt sich noch nicht sagen. Die Kantone wären frei darin, wie sie den Systemwechsel umsetzen.
Auch unverheiratete Paare mit Kindern könnten mehr Steuern zahlen – dann, wenn sie sehr hohe Einkommen haben. Für tiefe und mittlere Einkommen dagegen wird die zusätzliche Steuerlast durch den erhöhten Kinderabzug und die Senkung des Steuertarifs kompensiert. Aber auch hier gilt: Das betrifft erstmal nur die direkte Bundessteuer.
Mehr zur Heiratsstrafe
Wer ist dafür – wer dagegen?
Die Pro-Allianz aus FDP, SP, Grünen und GLP hat mit 102 Stimmen im Nationalrat eine hauchdünne Mehrheit. Sie hält die Zeit reif für einen Systemwechsel und hofft, dass mit Abschaffung der Heiratsstrafe mögliche Zweitverdienende vermehrt eine bezahlte Arbeitsstelle annehmen – gerade auch wegen des Fachkräftemangels.
SVP und Mitte, die gemeinsam 98 Stimmen auf die Waage bringen, lehnen die Vorlage hingegen ab. Sie wollen am Verständnis der Ehe als Wirtschaftsgemeinschaft festhalten. Die Mitte warnt vor neuen Benachteiligungen für traditionelle Familienmodelle und setzt lieber auf ihre eigene Fairness-Initiative. Auch warnen die Gegner vor dem grossen Aufwand, das System umzustellen, sowohl für die Behörden als auch für die Steuerpflichtigen. Denn individuell besteuern soll nicht nur der Bund, sondern auch die Kantone und Gemeinden.
Warum ist es fast zum Scherbenhaufen gekommen?
Die Pro-Allianz hat im Nationalrat zwar eine hauchdünne Mehrheit, sie drohte aber mehrfach zu zerbrechen. Gerade der 1-Milliarden-Steuerausfall ist ein grosser Knackpunkt. Mühe mit den Mindereinnahmen hatte vorab die SP. Mit ihren Forderungen nach einer vollständigen Kompensation sowie einer Verknüpfung des Geschäfts mit mehr Geld für die Kita-Finanzierung ist sie aber gescheitert.
Letztlich signalisierte Links-Grün, die finanzpolitische Kröte zu schlucken. Ein GLP-Kompromissvorschlag, Gutverdienende im obersten Segment etwas stärker zu belasten, um so die Steuerausfälle auf 500 Millionen zu begrenzen, war zuvor bei der FDP durchgefallen. Würde die Linke nicht einlenken, wäre die Reform durchgefallen. Dann würde es am Ständerat liegen, die Scherben zu kitten.
Ist die Reform praktisch in trockenen Tüchern?
Nein, auch im Ständerat wird es nochmals ein enges Rennen. Kommt die Vorlage dort nicht durch, wird sich das Volk aber dennoch dazu äussern können. Die FDP-Frauen würden ihre Steuer-Initiative dann ohne Gegenvorschlag des Bundesrats an die Urne bringen. Bis die Individualbesteuerung aber in Kraft treten könnte, wird es auf jeden Fall noch bis zu fünf Jahre dauern. Und das gilt nur für die Bundesebene. Die Kantone werden mehr Zeit brauchen. Sie wünschen sich eine Übergangsfrist von zehn Jahren.