Umbau, Kündigungen, Verkäufe
Migros schrumpft für bessere Preise – ist das nachhaltig?

Abbau in den Industriebetrieben, Verkäufe von Fachmärkten, Fokus auf das Kerngeschäft. Hier bringst du dich auf den neusten Stand, was bei der Migros alles läuft. Und wie die Veränderungen dich als Konsument betreffen.
Publiziert: 18.06.2024 um 16:57 Uhr
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Aktualisiert: 19.06.2024 um 08:10 Uhr
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Die Migros will sich neu aufstellen und baut kräftig um.
Foto: Sven Thomann
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Ulrich RotzingerWirtschaftschef

Die Stunde der Wahrheit hat für Tausende Migros-Mitarbeitende geschlagen. Allein in der eigenen Industrie opfert die Migros gut 365 Jobs, um sich neu aufzustellen und schlagkräftiger zu werden.

Die sogenannte M-Industrie ist der Supertanker im Reich des orangen Riesens. Gruppen wie Micarna, Elsa und Mibelle – insgesamt gut 200 Produktionsstandorte in der Schweiz – sorgen für die Belieferung der Migros-Supermärkte mit klassischen Eigenmarken. Fleisch, Milchprodukte, Backwaren bis zum Handy-Spülmittel. Die Produkte sollen in Preis und Qualität den Markenartikel-Herstellern ebenbürtig sein, erfüllten diesen Anspruch aber zuletzt nicht immer.

Fit werden für den Preiskampf

Hier hat sich die Migros in den letzten Jahren verzettelt. «Wir müssen uns von Aktivitäten, die wild gewachsen sind, auch wieder trennen», kündigte Migros-Chef Mario Irminger (59) im letzten November im Blick-Interview an. «Unsere Industrie muss wieder wirtschaftlich sein und die Wettbewerbsfähigkeit zurückgewinnen. Die nötigen Einschnitte übernimmt für ihn jetzt Matthias Wunderlin (50), ein Ex-McKinsey-Mann.

Die für unzimperliche Massnahmen bekannte Beraterfirma ist am Migros-Umbau beteiligt. Zuletzt war Wunderlin verantwortlich für die Transformation des Supermarktgeschäfts in die Organisation der neuen Migros Supermarkt AG auf Anfang 2024. Vor etwas mehr als einem halben Jahre hat Irminger ihm den Chefposten der M-Industrie übertragen. Damit ist Wunderlin für einen Umsatz von 6 Milliarden Franken und 13'225 Mitarbeitende (Stand Ende 2023) verantwortlich und zuständig für die Neuaufstellung der Industriebetriebe. Dazu gehört auch der Verkauf der Mibelle-Gruppe mit 1615 Angestellten und 9 Produktionsbetrieben, der aktuell noch läuft.

Die Neuausrichtung der Industrie trifft die Kaffee- und Schoggi-Tochter Delica mit den Marken Royal, CoffeeB und Frey am härtesten. Dort werden 119 Kündigungen ausgesprochen. Ein Innovationsteam des Bereichs Kaffee wurde aufgelöst. Die Milchverarbeiterin Elsa verliert durch Werkschliessungen in Rothenthurm SZ und Brunnen SZ 45 Arbeitsplätze. Die Zentrale der Migros Industrie AG in Zürich baut 65 Stellen ab.

Grösster Umbau der Migros-Geschichte

Der Detailhandelsriese steckt im grössten Umbau seiner hundertjährigen Geschichte. Bis zu 1500 Mitarbeitende konzernweit müssten im Zuge der Neuaufstellung gehen, bekräftigt die Migros am Dienstag früher gemachte Aussagen. Darunter fallen auch die ersten 150 Kündigungen bei der Supermarkt AG, die vor wenigen Wochen ausgesprochen wurden.

Ziel des Aderlasses und Umbaus: Doppelspurigkeiten und Ineffizienz unter Industrie, Fachmärkten, den zehn regionalen Genossenschaften und der Migros-Zentrale abzustellen. Fokus, Fokus, Fokus, wie Irminger fordert, auf das Kerngeschäft mit den Supermärkten legen. Marktanteile zurückholen, die an die Discounter Aldi und Lidl, aber auch an den Rivalen Coop gingen. Allem voran gilt es, preislich wieder attraktiver zu werden. Auch wenn manche Massnahmen für einen Aufschrei in der Bevölkerung sorgen. Migros-Chef Irminger fährt hier eine klare Linie, offenbar unbeeindruckt.

Nachhaltigkeit nicht mehr oberste Priorität

Beispielsweise will die Migros nicht mehr um jeden Preis als «nachhaltigste Detailhändlerin der Welt» gelten. Weil viele bei Nachhaltigkeit auch höhere Preise im Kopf haben? «Die Nachhaltigkeit wird im klassischen Marketing weniger Platz erhalten, stattdessen heben wir dort vermehrt unsere Preisvorteile hervor», sagte Christopher Rohrer (49) zuletzt im Sonntagsblick.

Seit Anfang Jahr Leiter der Direktion Nachhaltigkeit der Migros-Gruppe, ist Rohrer der Meinung, dass sich die Migros in der Vergangenheit bei Nachhaltigkeitsbemühungen «verzettelt» hat. Jetzt soll «alles aus einer Hand» kommen. Die Migros behalte die Nachhaltigkeitsziele, «wir investieren aber nicht mehr sinnlos Millionen, um Applaus zu erhalten für populäre, aber wenig effiziente Massnahmen».

Unpopulär ist der Entscheid, dass die Migros ihre Reisetochter Hotelplan loswerden will. In neue Hände ausserhalb des Migros-Universums sollen auch Fachmärkte wie SportX, Bike World, der Möbelverkäufer Micasa und die Gartencenter Do it + Garden. Noch unklar ist derweil die Zukunft der Baumärkte von Obi.

Melectronic-Verkauf ist durch - Media Markt übernimmt

Auch Melectronics hat keinen Platz mehr in der neuen Migros. Für die Heimelektronikkette kann die Migros nun einen Käufer präsentieren. Media Markt übernimmt 20 von 37 alleinstehenden Standorten und führt diese weiter. Die Filialen, die nicht übernommen werden, sollen spätestens bis November 2024 schliessen. Im Zuge des Melectronics-Verkaufs verlieren 100 Filialmitarbeitende ihren Job. Weitere 50 Personen der Migros-Fachmarkt AG, zu der Melectronics gehört, erhalten ebenfalls die Kündigung. Ein Sozialplan liegt vor, er wird selbst von Gewerkschaften gelobt.

Die am Dienstag bekannt gegebene Abbau-Runde von insgesamt 515 Migros-Jobs sorgen bei der Unia dennoch für harsche Kritik: «Die Migros sollte mehr in seine Angestellten investieren, als Millionen für McKinsey zu verschwenden.» Die miserable Stimmung beim Grossarbeitgeber müsse ein Ende haben.

Personalbestand sinkt um über 9000 Mitarbeitende

Was bleibt unter dem Strich? Sind all die Kündigungen und besagten Verkäufe der Tochter- und Fachmarkt-Unternehmen durch, sinkt der Personalbestand der bislang grössten privaten Arbeitgeberin der Schweiz um rund 9230 auf unter 90'000 Personen.

Der Migros-Umbau schreitet voran, die Kundinnen und Kunden haben diese Migros-Versprechen: ein attraktiveres Kerngeschäft, attraktivere Preise und ein vielseitiges Sortiment für jedes Budget. Wie nachhaltig die Migros damit agiert, wird sich erst in einigen Jahren zeigen.

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