Feierabendverkehr in Basel: Statt in den Coop-Hauptsitz beim Bahnhof lädt Philipp Wyss (58) zum Interview ins Viersterne-Hotel Pullman beim Messegelände. Auf die Frage, ob er etwas zu verheimlichen hätte, winkt der Coop-Chef ab. Das Hotel gehöre wie ein paar andere in Basel dem Detailhändler. Das sei aus der Geschichte so heraus entstanden und sicher kein Bereich, der ausgebaut werde. Man wolle sich ja nicht verzetteln. Die Migros in Zürich muss derzeit nämlich Tochterfirmen und Personal abbauen, um dem Wildwuchs der letzten Jahre ein Ende zu bereiten.
Blick: Herr Wyss, im Gegensatz zu Ihrer Hauptkonkurrentin ist es um Coop extrem ruhig. Ist das ein gutes oder schlechtes Zeichen?
Philipp Wyss: Unsere Strategie ist einfach und klar: Wir betreiben Detailhandel in der Schweiz und Grosshandel, letzterer auch in ausgewählten europäischen Ländern. Wir sind gut aufgestellt und leben diese Strategie zielstrebig.
Coop ist dieses Jahr 160 Jahre alt geworden...
Oder 24 Jahre jung. Zu Beginn dieses Jahrtausends haben wir alle 14 regionalen Genossenschaften zusammengeschlossen unter dem Dach der Zentrale und uns effizient aufgestellt. Beispielsweise verantworte ich als CEO selbst auch das Supermarktgeschäft. Da das Detailhandelsgeschäft noch nie so hart war, wie in den letzten zwei bis drei Jahren, bin ich froh, dass wir die Weichenstellungen schon sehr früh vorweggenommen haben. Und wir nicht gewartet haben, bis es klöpft.
Wenn es Ihnen so toll läuft, warum tun Sie nichts, um die Kundinnen und Kunden im täglichen Leben zu entlasten?
Schauen Sie sich Coop vor 20 Jahren an und vergleichen Sie. Heute haben wir absolut konkurrenzfähige Preise auch bei den Markenprodukten. Inzwischen haben wir 1500 Artikel im Sortiment der Prix-Garantie-Linie, die Sie bei Aldi und Lidl nicht günstiger oder qualitativ besser bekommen. Wir bauen die Billiglinien dieses Jahr mit 60 Neuheiten aus. Ausserdem haben wir die Anzahl und Schaltung der Aktionen in den letzten Monaten erhöht, insbesondere bei Fleisch sowie bei Früchten und Gemüse, weil das ein Bedürfnis ist und die Kunden danach fragen.
Als Arbeitgeber mit genossenschaftlichen Wurzeln könnten Sie viel mehr vom Rekordgewinn zurückgeben.
Wir betreiben keine Gewinnmaximierung und investieren immer ins Unternehmen. Für bessere Preise, Nachhaltigkeit und in moderne Filialen mit viel Holz. Was viele übersehen: Von 100 Franken Umsatz gehen 69 Franken an unsere Lieferanten. Unter dem Strich bleiben lediglich 1.70 Franken in unserer Kasse. Das ist die absolute Untergrenze.
Die Migros stärkt mit dem Umbau ihr Supermarktgeschäft, das bereits mehr Umsatz abwirft als jenes von Coop. Wann werden Sie die Migros hinter sich lassen?
Wir haben den Bedarf nach kleinen Läden schon früh erkannt und sind heute näher bei den Leuten. Nicht nur bei der Zahl der heute 965 Verkaufsstellen haben wir die Migros längst abgehängt. Wir sind heute auch mit Abstand Nummer 1 in den Bereichen Bio, Frischconvenience und Nachhaltigkeit sowie bei den Baumärkten. Was das Supermarktgeschäft anbelangt: Zähle ich die Coop-City-Filialen dazu, sind wir praktisch gleich gross. Für mich ist ein Coop City ebenbürtig mit einem MMM-Markt.
Wenn die Migros mit den Verkäufen der Tochterfirmen durch ist, wird man von Coop als grösste private Arbeitgeberin der Schweiz sprechen. Macht Sie das stolz?
Wir werden sehen, was noch alles passiert. Wir haben heute 96'000 Mitarbeitende, zwei Drittel davon in der Schweiz. Stolz macht mich, dass wir letztes Jahr 1300 neue Stellen schaffen konnten. Wir wollen weiter wachsen, eröffnen neue Filialen auch dieses Jahr. Ende 2025/Anfang 2026 werden wird die Zahl der Verkaufsstellen um 35 auf dann 1000 ausgebaut haben.
Sie wollen beim Umsatz zulegen. Schmerzt es Sie als gelernter Metzger, dass die Leute vermehrt auf Fleisch verzichten wollen?
Das hört man immer wieder. Wir gewinnen beim Fleisch aber immer noch Marktanteile. Und weil die Schweizer Bevölkerung auch wächst, sind die Zahlen bei uns stabil. Rasant steigt die Nachfrage dagegen bei Schweizer Poulet. Sie ist viel grösser als das Angebot. Wir suchen darum Schweizer Bauern, die Dutzende von Hühnerställen bauen wollen, um uns zu beliefern.
Werden sich pflanzliche Fleischersatzprodukte in der breiten Masse etablieren?
Bisher kann ich noch kein Erdbeben im Fleischmarkt wahrnehmen. Natürlich wird die Auswahl an Ersatzprodukten für Vegetarierinnen und Veganer steigen. Doch diese Produkte müssen am Schluss auch qualitativ gut sein, nicht viele Zusatzstoffe drin haben und richtig gewürzt sein. Mein Lieblingsersatzprodukt ist übrigens eine Wassermelone, die zuerst eine Stunde bei 100 Grad in den Backofen kommt und dann kurz auf den Grill.
Eine EU-Vorschrift könnte Schweizer Bauern zwingen, Bio-Schweinen mehr Platz zu geben. Was halten Sie davon?
Moment. EU-Bio ist im Vergleich zu Knospe-Bio nur halbes Bio. Der Bauernhof in der EU muss nicht 100 Prozent Bio sein, und in der Produktion gibt es nur wenige Regeln. Unser Knospe-Bio ist um Welten besser als EU-Bio. Ob unsere Bio-Schweine mehr Platz brauchen, entscheidet der Bund und nicht ich.
Sind Coop-Kunden bereit, mehr fürs Tierwohl zu zahlen?
Ja. Das Tierwohl ist vielen unserer Konsumenten sogar noch wichtiger als Bio. Wir stellen auch nicht fest, dass hier immer mehr auf konventionelle Produkte aufgrund der Teuerung umsteigen.
Was sagen Sie zur Kritik, dass Ihre Margen auf Bio- und anderen Labelprodukten überhöht sind?
Der Preiskampf bei Bio ist sehr gross. Wir können uns gar nicht erlauben, hier überteuert anzubieten. Unter dem Strich verdienen wir an Bio-Produkten nicht mehr als an konventionellen Produkten. Und unseren Produzenten, die einen höheren Standard liefern, bezahlen wir entsprechend höhere Preise.
Arbeitsbedingungen und massiver Wasserverbrauch in Spanien lassen Coop nach alternativen Anbauländern suchen. Wie weit sind Sie in Albanien?
Ich war gerade dort und habe die Verträge mit albanischen Produzenten unterschrieben. Ende Juni bieten wir albanische Peperoni in unseren Regalen an. Gut 40 Tonnen pro Wochen holen wir von dort in unsere Schweizer Supermärkte. Wir haben auch bei Knoblauch und Wassermelonen Pläne, dort die Produktion aufzubauen.
Coop-CEO Philipp Wyss (58) trat per 1. Mai 2021 die Nachfolge von Joos Sutter (60) an, der seitdem den Verwaltungsrat der Coop-Genossenschaft mit Sitz in Basel präsidiert. Wyss beginnt seinen Tag um 05.00 Uhr mit einem Tee. Danach gehts ins Yoga-Zimmer seines Hauses in Schenkon LU. Bevor er ins Büro fährt, checkt er auf seinem Handy die Umsätze des Vortages und scrollt sich durch die Online-Medien, darunter Blick.ch. Der Luzerner ist gelernter Kaufmann und Metzger. Vier Jahre lang war er beim Migros-Genossenschaftsbund in Zürich tätig. Seit Ende 1997 steht er in diversen Management-Funktionen bei Coop in Basel unter Vertrag. Wyss ist verheiratet und Vater zweier erwachsener Töchter und eines Sohns.
Coop-CEO Philipp Wyss (58) trat per 1. Mai 2021 die Nachfolge von Joos Sutter (60) an, der seitdem den Verwaltungsrat der Coop-Genossenschaft mit Sitz in Basel präsidiert. Wyss beginnt seinen Tag um 05.00 Uhr mit einem Tee. Danach gehts ins Yoga-Zimmer seines Hauses in Schenkon LU. Bevor er ins Büro fährt, checkt er auf seinem Handy die Umsätze des Vortages und scrollt sich durch die Online-Medien, darunter Blick.ch. Der Luzerner ist gelernter Kaufmann und Metzger. Vier Jahre lang war er beim Migros-Genossenschaftsbund in Zürich tätig. Seit Ende 1997 steht er in diversen Management-Funktionen bei Coop in Basel unter Vertrag. Wyss ist verheiratet und Vater zweier erwachsener Töchter und eines Sohns.
Ohne Spanien wird es nicht gehen?
Spanien bleibt ein wichtiges Produktionsland in den nächsten Jahren. Aber wir schauen uns weitere Anbauländer wie Kosovo und Griechenland an, um Alternativen zu haben.
Fussball-EM und die Grillsaison versprechen gute Umsätze, wenn der Regen nicht wäre...
Das Wetter hat tatsächlich einen enormen Einfluss auf die Umsätze. Niemand isst Glacé und wirft den Grill an, wenn es regnet. Wir hoffen jetzt auf Sonnenschein und dass die Schweiz gut spielt. Je länger die Nati im Turnier ist und die Stimmung steigt, desto glücklicher bin ich als Coop-Chef.
Auf einen EM-Tipp wollen Sie sich nicht auslassen. Wie steht es mit einer Umsatzprognose für dieses Jahr?
Wir rechnen fest damit, dass wir auch im laufenden Jahr wachsen, Marktanteile gewinnen und den Discountern Aldi und Lidl die Stirn bieten können. Keine Detailhändlerin in der Schweiz hat ein grösseres Lebensmittelsortiment, niemand hat fast 1000 Läden. Wir haben keine gröberen Baustellen und können uns auf unser Kerngeschäft konzentrieren. Und das läuft.