Auch wenn die Inflation in der Schweiz im internationalen Vergleich tief liegt: Sie macht sich im Portemonnaie bemerkbar. Das Leben wird teurer. Konkret um 3,4 Prozent. Und: Ein Ende der Teuerung ist nicht unmittelbar in Sicht, sie dürfte noch Monate anhalten.
Für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer heisst das: Auf dem Konto landet zwar gleich viel Lohn wie vor einem Jahr, davon kann man sich aber weniger kaufen. Die Gewerkschaften stellen sich daher auf einen heissen Lohnherbst ein, fordern Lohnerhöhungen zwischen 3 und 5 Prozent.
Nun folgt allerdings bereits die Ernüchterung: Die ETH-Konjunkturforschungsstelle KOF hat berechnet, dass die Löhne in der Schweiz im Schnitt um gerade mal 2,2 Prozent steigen, schreibt die «NZZ am Sonntag». Wenn die Inflation mit 3,4 Prozent höher liegt als die Lohnsteigerung, heisst das: Wir verlieren an Kaufkraft.
Gute Nachrichten für Köche, schlechte für Bankerinnen
Allerdings sind nicht alle Branchen gleich dran. Schlecht sieht es etwa für Bankangestellte aus. In der Finanzbranche prognostiziert die KOF Lohnerhöhungen von gerade einmal 1,5 Prozent. Das dürfte besonders die Angestellten der Credit Suisse beunruhigen, wo nach dem jüngsten Chefwechsel ein massiver Stellenabbau bevorsteht. Wenn unzählige entlassene Bankangestellte gleichzeitig den Arbeitsmarkt fluten, wird die Lohnverhandlung mit dem Chef noch schwieriger.
Auch im Detailhandel soll es um nur gerade 1,6 Prozent vorwärtsgehen mit den Löhnen. Das überrascht, herrscht im Detailhandel doch akuter Fachkräftemangel. Andernorts wirkt sich dieser positiv auf die Löhne aus: Im Gastgewerbe dürfen Angestellte laut KOF-Prognose mit 4,4 Prozent mehr Lohn rechnen. Die Pandemie hat den Personalmangel in Restaurants und Hotels verschärft. Seit Monaten müssen Beizen ihre Speisekarte zusammenstreichen und ihre Öffnungszeiten verkürzen, weil ihnen Köchinnen und Serviceangestellte fehlen.
Rezessionsangst überschattet Lohnverhandlungen
Die Gewerkschaften reagieren mit Stirnrunzeln auf die KOF-Prognose. «Bei Lohnerhöhungen von 2,2 Prozent hätten wir einen Reallohnverlust, obwohl es der Schweizer Wirtschaft gut geht», kritisiert Daniel Lampart (54), Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB), auf Anfrage von Blick.
Die Arbeitgeber auf der anderen Seite sehen die wirtschaftliche Lage skeptischer: Ukraine-Krieg, hohe Rohstoffpreise, Inflation, Rezessionsängste. Valentin Vogt (61), Präsident des Arbeitgeberverbandes, sagt in einem Interview mit der «NZZ am Sonntag» denn auch: «Wenn die Gewerkschaften die Erwartung schüren, jeder bekomme 5 bis 6 Prozent mehr Lohn, ist das Augenwischerei.»
Lampart sieht im drohenden Wirtschaftsabschwung hingegen umso mehr Argumente für kräftige Lohnerhöhungen: «Wir erwarten einen Schock bei den Krankenkassenprämien. Zusätzlich frisst die Teuerung uns die Kaufkraft weg. Wenn wir das nicht ausgleichen, schaffen wir uns selber Konjunkturprobleme in der Schweiz.»
Von der KOF-Prognose entmutigen lassen wollen sich die Gewerkschaften jedenfalls nicht. Der Lohnherbst steht schliesslich erst an. Klar ist: Es werden harte Verhandlungen. (sfa)