Beizen zu, Lehrpersonen ohne Diplom
Hier tut der Fachkräftemangel besonders weh

In der Beiz oder im Hotel ist der Fachkräftemangel ärgerlich: Das Restaurant bleibt zu, der Gast muss an der Rezeption länger warten. Richtig kritisch wird der Personalmangel aber anderswo. Im Spital oder im Klassenzimmer, zum Beispiel.
Publiziert: 08.07.2022 um 00:41 Uhr
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Aktualisiert: 08.07.2022 um 11:03 Uhr
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Am meisten Stellen sind in der Schweiz im Gesundheitswesen ausgeschrieben. Spital in Lausanne.
Foto: keystone-sda.ch
Sarah Frattaroli

Sämtliche Branchen wehklagen über den Fachkräftemangel – doch nicht alle trifft er gleich hart. Mehr als eine Viertelmillion Stellen waren in der Schweiz laut dem Jobradar des Personalunternehmens x28 AG an einem Stichtag im Mai ausgeschrieben.

An erster Stelle steht das Gesundheitswesen mit über 14'000 offenen Stellen. Danach folgen Gastronomie und Hotellerie sowie das Baugewerbe. Dort spitzt sich die Lage saisonal bedingt aktuell sogar noch zu: Im Sommer braucht es mehr Servicepersonal, etwa für die Sonnenterrassen in den Bergregionen. Und es gibt witterungsbedingt mehr Baustellen.

Eine aktuelle Studie der Axa kommt denn auch zum Schluss, dass 80 Prozent der KMU im Bereich Handwerk und Baugewerbe Mühe haben, ihre Stellen zu besetzen. Aus der Branche ist zu hören, dass bereits Aufträge abgelehnt werden, weil das nötige Personal fehlt.

Qualitätsverlust im Gesundheitswesen

Auch in Hotellerie und Gastronomie ist der Personalmangel augenscheinlich: Vom Bodensee bis an den Genfersee verkürzen Restaurants ihre Öffnungszeiten oder streichen die Menükarte zusammen. Das mag für Wanderer, die beim Gipfelrestaurant vor verschlossenen Türen stehen, ärgerlich sein. Ebenso für Beizer, die auf einen Teil ihres einträglichen Geschäfts verzichten müssen. Wirklich kritisch ist der Mangel aber nicht – weder wirtschaftlich noch gesellschaftlich.

Ganz anders im Gesundheitswesen, wo Spitalangestellte Überstunden schieben und Patienten monatelang auf einen Termin bei der Spezialistin warten. Der Fachkräftemangel führt über kurz oder lang zu einem Qualitätsverlust. Und das, obwohl wir uns eines der teuersten Gesundheitssysteme der Welt leisten!

Erschwerend kommt hinzu, dass der Fachkräftemangel in diesem Bereich in den kommenden Jahren überdurchschnittlich anziehen wird. Die Überalterung führt nicht nur dazu, dass mehr Pfleger und Ärztinnen pensioniert werden, als neue in den Arbeitsmarkt eintreten. Sie sorgt auch für einen höheren Bedarf an Pflegedienstleistungen, um die alternde Bevölkerung zu versorgen.

Lehrpersonen ohne Diplom

Prekär ist die Situation auch in der Bildung. In der Branchen-Rangliste stehen die Lehrerinnen und Lehrer zwar «nur» auf Rang 7. Doch jede fehlende Lehrperson hat gesellschaftlich schwerwiegende Auswirkungen. Während das Restaurant zu bleibt, wenn der Koch fehlt, kann der Schulunterricht nicht einfach ausfallen.

Stattdessen übernehmen Studierende oder Laien den Job: Der Kanton Zürich etwa hat jüngst entschieden, dass auch Leute ohne Lehrerdiplom eine Klasse unterrichten dürfen – aus schierer Verzweiflung. In Luzern sollen nach den Sommerferien notfalls Klassen zusammengelegt werden. Genau wie im Gesundheitswesen droht durch den Fachkräftemangel auch in der Bildung ein Qualitätsverlust.

Nachwuchs fehlt

Ein Blick auf die Lage am Lehrstellenmarkt lässt Rückschlüsse darüber zu, wo sich der Fachkräftemangel in den kommenden Jahren noch verschärfen wird. Im Gastgewerbe waren im April (aktuellere Zahlen gibt es nicht) erst 38 Prozent aller Lehrstellen besetzt – so wenig wie in keiner anderen Branche. Das liegt auch an Corona: Wegen der Pandemie fanden kaum Schnupperlehren statt. Und die jungen Berufsleute zögern, eine Service- oder Kochlehre zu absolvieren, falls die Restaurants bei einer erneuten Corona-Welle geschlossen werden.

Ähnlich prekär sieht es im Baugewerbe aus, wo im Frühling erst 47 Prozent der Lehrstellen besetzt waren. In beiden Branchen ist nicht mit einer Entspannung des Fachkräftemangels zu rechnen.

Besser hingegen ergeht es etwa der IT: Auch dort wird zwar händeringend nach Fachkräften gesucht – doch die jungen Berufsleute stehen bereit, die Lücke in Zukunft zu füllen: Im Frühling waren bereits 82 Prozent aller Lehrstellen in der Informatik besetzt. Mittlerweile dürfte der Wert sogar noch deutlich höher liegen.

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