60'000 ukrainische Flüchtlinge sind bisher in der Schweiz angekommen. Mehr als die Hälfte davon ist im erwerbsfähigen Alter. Das entspricht über 30'000 Arbeitskräften. Tatsächlich einen Job gefunden haben bislang aber erst 3000, wie Zahlen des Staatssekretariats für Migration (SEM) zeigen.
Arbeitsmarktexperte Tino Senoner (63) ist trotzdem überzeugt, dass in den ukrainischen Flüchtlingen enormes Potenzial für die Schweizer Wirtschaft schlummert. «Über 80 Prozent der Ukrainerinnen können einen Job in einem Bereich übernehmen, wo heute Fachkräftemangel herrscht», prognostiziert der Personalvermittler. Das reicht bei aktuell 30'000 erwerbsfähigen Ukrainerinnen zwar längst nicht aus, um den Fachkräftemangel in der Schweiz zu lösen. Schliesslich sind aktuell eine Viertelmillion Stellen ausgeschrieben!
Dennoch: Es ist ein Anfang. Dass es mit der Stellensuche aktuell noch hapert, liegt nicht nur an der Sprachbarriere. Eine ukrainische Köchin muss schliesslich kein Deutsch sprechen, um gegen den Fachkräftemangel in der Gastronomie antreten zu können. «Die Firmen in der Schweiz sind verwöhnt», kritisiert Senoner. So seien die Dossiers der Ukrainerinnen vielleicht nicht perfekt – aber längst nicht untauglich. «Manchmal müssten die Arbeitgeber noch etwas in die Ausbildung investieren.» Oft reichten schon 1000 oder 2000 Franken, so Senoner.
Mehrheit will arbeiten
In der Pflicht sind allerdings auch die Ukrainerinnen. «Sie stehen sich selber im Weg, haben kein Vertrauen und bewerben sich auf die falschen Stellen», findet Personalvermittler Senoner. Statt als Köchin schicken sie eine Bewerbung als Küchenhilfe raus – und werden abgelehnt, weil es dort bereits genügend andere Bewerberinnen gibt.
Der Mythos, wonach ukrainische Flüchtlinge nicht arbeiten wollen, sondern auf eine baldige Rückkehr in die Heimat hoffen, ist hingegen kaum Grund für die tiefe Erwerbsquote unter den Geflüchteten: In Deutschland hat eine Umfrage des renommierten Ifo-Instituts jüngst ergeben, dass 90 Prozent der ukrainischen Flüchtlinge arbeiten wollen. In der Schweiz dürfte es nicht anders aussehen.