«Drei Tage am Stück frei zu haben ist wie ein Kurzurlaub»
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Bartender über Viertagewoche:«Drei Tage am Stück frei zu haben ist wie ein Kurzurlaub»

Fachkräftemangel – was hilft?
Vier Rezepte gegen den Job-Alarm

In der Schweiz fehlen Arbeitskräfte – in allen Regionen, in jeder Branche. Blick zeigt, wo Firmen und Politik ansetzen müssen, um das Problem zu lösen.
Publiziert: 09.07.2022 um 00:38 Uhr
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Aktualisiert: 09.07.2022 um 14:19 Uhr
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Die Schweiz leidet unter Fachkräftemangel. Nur: Was kann man dagegen tun?
Foto: Philippe Rossier
Sermîn Faki

Für Gerhard Fehr (51) ist die Sache klar: Hauptgrund für den aktuellen Fachkräftemangel ist die Demografie: «Es werden einfach mehr Leute pensioniert, als neu auf den Arbeitsmarkt kommen», sagt der Ökonom. George Sheldon (74), ehemals Professor der Uni Basel und lange Jahre der «Arbeitsmarkt-Papst» der Schweiz, kann das gar mit Zahlen belegen: «In der jüngsten Erwerbsstatistik ist die Zahl der Erwerbsbevölkerung um 39’000 Menschen geschrumpft. Das ist das erste Mal seit den 70er-Jahren.»

Hinzu kommt laut Fehr ein Corona-Effekt: Die Bereitschaft, Leistung zu zeigen, sei gesunken, wie man in der Ökonomie sage. «Die Menschen haben gemerkt, dass es noch etwas anderes gibt als Arbeit.» Zeit habe unterdessen mehr Wert, manchmal gar mehr als Geld.

Arbeit wird zum knappen Gut

Folge: Die Verfügbarkeit von Arbeitskraft könne nicht mehr als gegeben vorausgesetzt werden. Vielmehr werde sie zum knappen Gut. Für Fehr ist klar: «Wir bekommen jetzt einen noch stärkeren Arbeitnehmer-Markt.» Soll heissen: Bis sich die Situation wieder ändert, haben die Arbeitnehmer mehr Macht. Sie können ein Stück weit diktieren, wie ihr Arbeitsplatz aussehen soll. «Arbeit wird dadurch einfach teurer werden», so Fehr.

Branchen, die schlechte Arbeitsbedingungen haben, leiden am meisten – das merken jetzt Gastronomie und Hotellerie, wo die Arbeitszeiten und der tiefe Lohn abschrecken.

Unternehmen müssen investieren

So weit die Diagnose. Doch was ist die Therapie? Unternehmen müssen in ihre Attraktivität investieren! «Mitarbeiterzufriedenheit wird mehr als ein leeres Schlagwort, sondern wirklich wichtig», erklärt Fehr. Wer systematisch darin investiere, werde der Gewinner im Race for Talents sein. Er macht sich keine Sorgen, dass die Firmen das können: «Unternehmen sind Wunder der Kooperation und des Experimentierens. Sie können sich extrem schnell umstellen.»

In diesen vier Feldern können Unternehmen und Politik ansetzen:

Bei den Frauen

Noch immer arbeiten zu viele Frauen in zu tiefen Arbeitspensen. Das muss sich ändern. «Neben der Zuwanderung, die es brauchen wird, ist das einer der wichtigsten Hebel, den die Schweiz hat», sagt Fehr: «Das Genderthema ist keine Ideologie mehr – sondern wirtschaftliche Notwendigkeit.» Muttersein etwa werde kein Killerkriterium mehr für eine Karriere. Ansetzen müsse man nicht einmal beim Lohn, sondern bei Arbeitszeiten, Entscheidungsspielraum und Flexibilität. Corona habe bewiesen, dass da viel mehr möglich ist, als Unternehmen glaubten: «Das Experiment, als man innerhalb von 48 Stunden alle Leute nach Hause schicken musste und das reibungslos funktioniert hat, hat Spuren hinterlassen. Das kann man nicht zurückdrehen», ist Fehr überzeugt. Wer Fachkräfte suche, müsse hier ansetzen.

Und bei bezahlbarer Kinderbetreuung, wie Sheldon sagt: «Mein Sohn zahlt in Deutschland im Monat 200 Euro für den Kindergartenplatz – davon können Schweizer Eltern nur träumen. Wenn der Staat die Erwerbstätigkeit erhöhen will, muss er für günstigere Kinderbetreuung sorgen.»

Bei den Arbeitszeiten

Einzelne Unternehmen haben sie bereits eingeführt, anderswo experimentieren gar Staaten damit: die Viertagewoche. «In gewissen Branchen haben Mitarbeiter kein Problem damit, vier Tage lang zehn oder gar zwölf Stunden zu arbeiten, wenn sie dafür drei freie Tage haben», sagt Fehr. Voraussetzung dafür sei, dass das Unternehmen seine Wertschöpfungskette anpasst – so könnte man auch Margenverluste verhindern.

Lukas Meier (32) beweist, dass das geht. Anfang Mai hat er seine beiden «25 Hours»-Hotels in Zürich auf Viertagewoche umgestellt. Statt 42 Stunden an fünf Tagen arbeiten die meisten seiner Angestellten jetzt 38 Stunden an vieren. Grund für die Neuaufstellung war Personalmangel. Und die Erfahrungen sind bis jetzt gut: «Man muss einiges umstellen, zum Beispiel die Schichten anders planen.» Noch funktioniere nicht alles reibungslos. Sein grösstes Problem aber hat Meier gelöst: Hatte er im März 30 offene Stellen, waren es im Juni noch 7. Und auch Julian Ritter (23), der seit vier Monaten als Bartender im «25 Hours»-Hotel arbeitet, sagt: «Ich würde die Viertagewoche gern behalten.»

Gesamtwirtschaftlich werden solche Ansätze aber kaum ausreichen, sagt Sheldon: «Es muss mehr gearbeitet werden, daran führt kein Weg vorbei.» Das sei auch eine Chance für ältere Arbeitnehmer, die plötzlich wieder attraktiver seien. «Und ja, wir werden auch übers Rentenalter reden müssen. Nicht nur, um die Sozialwerke zu sichern, sondern eben auch, um genügend Arbeitskräfte zu haben.»

Bei der Ausbildung

Die Schweiz bildet gut aus – vielleicht zu gut. Die Maturitätsquote steigt und steigt und damit auch der Run auf die Hochschulen. Und dort, sagt Sheldon, werde zu wenig auf den Arbeitsmarkt fokussiert: «Die Schweiz hat einen Überhang an Phil-I-Akademikern, während bei den MINT-Fächern ein grosser Mangel besteht – diese Fachleute muss man meist aus dem Ausland holen.» Es brauche auch Soziologen, Historiker und Romanisten, «aber nicht so viele. Hier müsste man stärker aufzeigen, welche Möglichkeiten technische und naturwissenschaftliche Studiengänge bieten.»

Bei der Zuwanderung

Nur Frauenförderung, neue Arbeitsmodelle und die richtige Ausbildung werden nicht ausreichen, um den Fachkräftemangel zu beheben. Davon ist Arbeitsmarkt-Experte Sheldon überzeugt: «Die Schweizer Erwerbsquote ist im internationalen Vergleich sehr hoch. Wir haben nicht viel Luft nach oben.» Für ihn ist klar, dass langfristig nur Zuwanderung helfen wird. Und die Schweiz habe da gute Karten: «Die Löhne sind hoch. Zudem sind AHV und zweite Säule gut ausgebaut und auch für Ausländer attraktiv, weil man schnell Anspruch hat.»

Mehr Zuwanderung ist allerdings politisch hoch umstritten – wie die Annahme der Masseneinwanderungs-Initiative im Februar 2014 gezeigt hat. Und die SVP grübelt bereits über eine neue Initiative zum Thema nach. Ökonom Fehr geht denn auch davon aus, dass eine Diskussion um die Folgen der Zuwanderung unausweichlich wäre. Das sei Sache für die Politik. «Aber wenn jährlich 20’000 oder 30’000 Arbeitskräfte fehlen, dann gibt es weniger Wachstum und damit weniger Wohlstand. Das muss man auch erwähnen.»

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