Auf einen Blick
- 500'000 Kleinwarensendungen aus Asien sollen täglich in der Schweiz ankommen – grösstenteils von chinesische Onlineshops wie Temu und Shein
- Dabei ist unklar, ob die Sendungen auf direktem Weg in die Schweiz gelangen oder über Umwege
- Sicher ist: Die chinesischen Onlineshops umgehen bewusst die Mehrwertsteuer
Eine Halskette für 70 Rappen, ein Ladekabel für 1.20 Franken oder Bastelset für 1 Franken. Die chinesischen Onlineshops wie Temu und Shein haben sich in der Schweiz mit ultrabilligen Preisen breit und beliebt gemacht. Die Flut an Warensendungen - Temu verwendet nicht grosse Pakete, sondern Plastikverpackungen, die sogar in den Schlitz des Briefkastens passen – nimmt immer grössere Ausmasse an.
Bis zu 500'000 solcher Klein- und Kleinstsendungen sollen täglich am Flughafen Zürich ankommen – allein aus Asien. Den Grossteil macht dabei die Ware der chinesischen Billigshops aus – mit einem Gewicht bis zu 2 Kilogramm. Eine halbe Million? Diese schier gigantische Zahl hat Blick von einer anonymen Quelle erfahren, die am Flughafen Zürich in leitender Position arbeitet. Temu selbst will sich auf Nachfrage nicht dazu äussern.
«Ich denke, dass in vielen Ländern etwa 60 bis 80 Prozent aller grenzüberschreitenden Pakete von Shein und Temu stammen», schätzt Ed Sander (54) die Lage ein. Der Experte forscht intensiv zu Temu und Co. und verbringt regelmässig Zeit im Land der Mitte. Ihm scheint die Zahl von 500'000 Päckli pro Tag etwas zu hoch angesetzt.
Immer mehr Produkte aus Asien
Ein Blick in die Zahlen: 2022 wurden gemäss dem Bundesamt für Statistik täglich 25 Tonnen Waren aus China auf dem Luftweg in die Schweiz importiert. Rechnet man mit einem Durchschnittsgewicht von 200 Gramm pro Sendung, wären das 125'000 Päckli am Tag. Dabei handelt es sich aber nur um die Fracht, die direkt von China in die Schweiz geflogen wurde und nicht über Umwege anderer Länder. Neuere Zahlen liegen noch nicht vor.
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Gemäss der Gewerkschaft VPOD Luftverkehr kommen mittlerweile täglich 50 bis 100 Tonnen Fracht von Händler aus Asien in Zürich an. Das wären täglich 250'000 bis 500'000 Sendungen à 200 Gramm. Zur Erinnerung: Temu und Co. haben im letzten Jahr ihre Werbeoffensive in der Schweiz ausgebaut und dürften massiv gewachsen sein.
Darum wundert nicht, dass seit Mitte 2023 die Schweizerische Post deutlich mehr Kleinwarensendungen aus dem Ausland verzeichnet. «Insbesondere diverse chinesische Plattformen wie Temu oder Shein haben zu diesem Wachstum beigetragen», so ein Sprecher auf Anfrage. Auch Swiss Worldcargo – das Frachtunternehmen der Airline Swiss – bemerkt eine steigende Nachfrage nach E-Commerce Sendungen aus Asien.
So umgeht Temu die Mehrwertsteuer
Onlineshops wie Temu verschicken bewusst viele kleine Päckli mit wenig Inhalt – und umgehen so die Schweizer Zollkosten. Liegt der Wert einer Sendung unter 62 Franken, entfällt die geschuldete Mehrwertsteuer von 8,1 Prozent. Beispiel: Die SRF-Konsumentensendung «Kassensturz» hat Waren bei Temu im Wert von 530 Franken bestellt. Die Produkte wurden auf neun Pakete verteilt – die meisten mit einem Warenwert unter 62 Franken.
Obwohl einige Pakete den Grenzwert von 62 Franken knapp überschritten haben, ist in den Zolldokumenten ein tieferer Wert angegeben. Temu argumentiert: Da die Preise auf der Website mit Mehrwertsteuer sind, darf diese bei der Zolldeklaration abgezogen werden. Wir bezahlen die Mehrwertsteuer also bei Temu – diese gibt sie aber nicht an den Schweizer Staat weiter.
Wie gelangen Pakete in die Schweiz?
Unklar ist, ob Temu oder Shein die Waren immer auf direktem Weg in die Schweiz liefern. Laut dem Flughafen-Insider ist häufig so, dass die Sendungen einfach auf Fluggesellschaften verteilt werden, die noch wenig ausgelastet sind. Damit würden die Päckli aber nicht direkt an ihren Zielort geliefert werden – sondern zum Teil in der gesamten Welt herumfliegen. «Es scheint so zu sein, dass jeweils die verfügbaren Airlines die Ware transportieren. Für die Umwelt ist dies verständlicherweise schlecht», heisst es bei der Gewerkschaft VPOD.
Temu-Experte Sander hält es eher für unwahrscheinlich, dass die Waren in der gesamten Welt umherjetten. «Temu sammelt die kleinen Pakete in grossen Kisten und schickt diese dann in Flugzeugen an die örtlichen Logistikdienstleister», so der Experte. In der Schweiz sind das die Schweizerische Post sowie DPD. Letztere wollte sich gegenüber Blick nicht äussern.
Blick hat versucht, den Weg einiger Päckli via Sendungsverfolgung nachzuvollziehen. Dabei gibt Temu aber nicht an, wo sich dieses genau befindet. Es steht lediglich «Abflug» oder «Paket am Flughafen angekommen». Bei den meisten untersuchten Sendungen liegen zwischen Abflug und Ankunft etwa 24 bis 36 Stunden. In einem Fall war die Ware aber geschlagene vier Tage unterwegs.
Die wachsende Konkurrenz durch chinesische Billigpäkli ruft hiesige Detailhändler auf den Plan: Der Verband Swiss Retail Federation hat im Mai Beschwerde gegen Temu eingereicht. Ende Juli hat sich zudem der Handelsverband Swiss beim Staatssekretariat für Wirtschaft beschwert.