Die Autobahnen sind überlastet, das Schienennetz am Anschlag, doch die Schweiz und ihre Volkswirtschaft wachsen weiter. Cargo sous terrain (CST) verspricht Besserung: Ein Tunnel, der vom Genfersee an den Bodensee reicht – und das Land unterirdisch mit Waren versorgt.
Das Megaprojekt wurde 2016 erstmals vorgestellt und stiess in der Politik auf breites Interesse. Nicht zuletzt, weil die Initiatoren versprachen, das neue Logistiksystem koste Bund und Kantone keinen Franken, sondern werde komplett privat finanziert.
Namhafte Unternehmen liessen sich für CST begeistern. Insgesamt steckten über 80 Firmen mehrere Hunderttausend Franken in das Projekt, darunter Logistikunternehmen wie Post, SBB Cargo, Dreier, DPD, Lagerhäuser Aarau AG sowie die Transporteure Planzer, Camion Transport und Galliker, zusammengeschlossen im Verbund Cargo Domizil.
Anhörung von Kantonen und Gemeinden läuft
2018 wurden Investitionszusagen von 100 Millionen Franken vermeldet – und das Projekt schritt voran: 2021 verabschiedete das Parlament das Bundesgesetz über den unterirdischen Gütertransport, im Februar 2024 eröffnete der Bund in den Kantonen Zürich, Aargau und Solothurn die Anhörung zum «Sachplan Verkehr, unterirdischer Gütertransport».
Das CST-Team, das mittlerweile 35 Mitarbeitende zählt, zeigt sich überzeugt, dass sein Vorhaben gelingen wird. An einem Medienanlass Anfang April sprach CEO Peter Sutterlüti (75) konsequent davon, was die unterirdische Gütertransportanlage der Schweiz alles bringen «wird» – und nicht, was das Projekt bringen «könnte».
Sutterlüti und seine Mitstreiter versprechen nicht nur ein System, das vollständig mit erneuerbaren Energien betrieben wird, den Schwerverkehr auf den Nationalstrassen um bis zu 40 Prozent reduziert und eine «effiziente Feinverteilung in den Städten» bietet. Die Lösung sei auch «marktorientiert» und erfolge in enger Abstimmung mit den künftigen Nutzenden, das heisst mit Industriefirmen, Händlern und Logistikern.
Zweifel an Machbarkeit und Rentabilität
Letztere sehen das Projekt aber mehrheitlich kritisch, wie Gespräche mit führenden Köpfen der Transportbranche zeigen. Die SBB sind bereits im Herbst 2022 aus dem Projekt ausgestiegen. Offiziell, weil man sich auf den eigenen «Kernauftrag» konzentrieren wolle. Hinter vorgehaltener Hand lassen die Bundesbahnen aber kein gutes Haar am Milliardenvorhaben: «Das wird nie rentabel sein», sagt ein hochrangiger Manager.
Der SBB-Mann weist darauf hin, dass ein gewöhnlicher Tunnel jährliche Folgekosten von rund vier Prozent mit sich bringe. Bei geplanten Investitionskosten von mehr als 30 Milliarden Franken habe ein unterirdischer Güterverkehr deshalb keine Chance, konkurrenzfähig zu sein. «Strasse und Schiene werden immer günstiger bleiben», ist er überzeugt.
Wichtigste Geldgeber haben mit Logistik nichts am Hut
Auch viele private Transporteure glauben nicht an die CST-Vision. Nils Planzer (52), Inhaber und Geschäftsführer der gleichnamigen Logistikfirma, sagte in einem Interview mit der «NZZ»: «Ich bezweifle stark, dass dieses Projekt realistisch und machbar ist.»
Der Verantwortliche einer anderen grossen Transportgesellschaft spricht gar von einem «Luftschloss». Seinen Namen will er aber nicht in der Zeitung lesen.
Was auffällt: Unter den elf Hauptaktionären von CST findet sich kein einziges privates Transportunternehmen. Während die Schweizer Grosskonzerne Coop, Credit Suisse, Helvetia, Migros, Mobiliar, Post, Swisscom, Vaudoise und ZKB in den vergangenen Monaten Kapitalerhöhungen durchgeführt haben, um die Planung bis zur Baubewilligung zu finanzieren, haben die privaten Logistiker allesamt darauf verzichtet.
Steigt auch die Post aus?
Nach dem Abgang von SBB Cargo verfügt von den Hauptaktionären einzig die Post über grössere Erfahrung im Gütertransport. Christian Levrat (53), seit Ende 2021 Präsident des gelben Riesen, soll dem Vernehmen nach aber kein Fan sein von CST. Der hochrangige SBB-Manager meint zu wissen: «Die Post ist daran, aus dem Projekt auszusteigen.»
Die Post will das auf Anfrage nicht bestätigen. «Wir stehen nach wie vor hinter dem Projekt», teilt die Medienstelle auf Anfrage mit. Das gelte auch für Christian Levrat. «Unser Verwaltungsratspräsident ist sich jedoch bewusst, dass eine Umsetzung von CST mit sehr grossen Herausforderungen verbunden ist», so ein Sprecher.
Für CST wäre der Rückzug der Post ein herber Dämpfer. Die Verantwortlichen verschwenden jedoch keine Sekunde an diese Möglichkeit. Die Vorbehalte der etablierten Logistiker erklären sie sich mit Unwissen, mangelnder Vorstellungskraft – sowie der Angst vor einem möglichen Mitbewerber.
Untergrund als Kostenvorteil
Zu den Rentabilitätsbedenken meint Klaus Juch (56), Bereichsleiter Technik und Bau: «Weil wir in einem Tunnelsystem operieren werden, sind wir von fast allen Auflagen befreit, die den konventionellen Gütertransport massiv verteuern.» Namentlich Lärm- und Sicherheitsvorschriften seien im voll automatisierten Untergrundbetrieb nicht mit jenen des Schienen- oder Strassentransports vergleichbar.
Auch Finanzchef Daniel Wiener (70) hat keine Zweifel, dass sich der Betrieb von CST rechnen würde. Bei der Finanzierung sieht er sich ebenfalls auf Kurs: «Für die Konzeptionierungs- und Umsetzungsphase haben private Investoren mehr als 150 Millionen Franken in CST investiert, so etwas hat es in der Schweiz noch nie gegeben.» Nun sei man daran, auch für die Bauphase Investoren zu finden. «Auch da stossen wir auf grosses Interesse, sowohl in der Schweiz als auch im Ausland.»
Die Gemeinden sind kritisch
Die Verantwortlichen sehen nicht die Finanzierung und Rentabilität als grösste Herausforderung, sondern das Grundwasser. «Wir sind uns unserer Verantwortung bewusst und tun alles, um Auswirkungen auf das Grundwasser zu verhindern», sagt Technik-Chef Juch.
Bisher ist es jedoch nicht wirklich gelungen, der Bevölkerung in den betroffenen Gemeinden die Angst vor negativen Einflüssen auf Natur und Umwelt zu nehmen. Diese Woche hat zum Beispiel der Gemeinderat von Spreitenbach AG, wo ein Hub, also ein oberirdischer Zugangspunkt, geplant ist, seine Ablehnung des Projekts publik gemacht. Man habe «diverse Schwachstellen» identifiziert, heisst es in einer Mitteilung.
Wenn CST kein «Luftschloss» bleiben soll, müssen die Verantwortlichen noch viel Aufklärungsarbeit leisten.