So bestimmen sie, wer leben und wer sterben soll
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Nicht alle wollen Intensivbett:Die Hälfte stirbt im Altersheim

Spitäler bereiten sich auf Triage vor, Ärzte müssen harte Entscheide treffen
So bestimmen sie, wer leben und wer sterben soll

Kann der Bedarf an Intensivbetten für Covid-Patienten nicht gebremst werden, müssen die Spitalärzte in zwei Wochen harte Triage-Entscheide fällen. Mediziner, die in dieser Verantwortung stehen, erklären, wie sie im Katastrophenfall vorgehen.
Publiziert: 02.11.2020 um 09:21 Uhr
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Aktualisiert: 06.11.2020 um 11:33 Uhr
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Ein Mediziner schaute im April aus dem Fenster der Intensivstation im Spital Sitten. Wenn in Intensivstationen die Kapazitäten ausgehen, müssen die Ärzte Patienten abweisen.
Foto: keystone-sda.ch
Claudia Gnehm

Derzeit stehen Schweizer Spitäler mit ausgelasteten Intensivstationen noch nicht vor dem Entscheid, welcher Covid-19-Patient ein Bett bekommt und welcher nicht. Sie können wie das Walliser Spital Sitten ihre Corona-Notfälle an andere Spitäler überweisen. Doch die Ausweichmöglichkeiten seien nicht mehr so gut wie im Frühling, sagt Hansruedi Räz (63), Chefarzt des Kantonsspitals Baden, dem BLICK. «Wir müssen damit rechnen, dass das Verlegen nur noch in kleinem Ausmass möglich sein wird, weil die zweite Welle die ganze Schweiz betrifft», erklärt er.

Findet ein Spital keine Kapazitäten mehr, gehen die Ärzte hierzulande Schritt für Schritt die Triage-Kriterien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) durch, und zwar für Covid- sowie Nicht-Covid-Patienten, wie Räz ausführt. Unter die Triage fallen also neue Corona-Patienten sowie schon anwesende Patienten auf der Intensivstation.

Es geht um Minimierung der Todesfälle

Doch worauf basieren die harten Kriterien? «Das Grundprinzip ist, möglichst viele Menschenleben zu erhalten», erklärt Markus Kneer (38), Forscher am Ethik-Zentrum der Universität Zürich. Bei akuter Knappheit geht es um die Minimierung der Todesfälle.

Entsprechend gilt: Je tiefer die Überlebenschancen eines Patienten sind, desto geringer die Chance auf ein Intensivbett. Ausschliessen müssten die Ärzte unter andern Patienten mit schweren chronischen Krankheiten, solche über 85 Jahre oder Betroffene über 75 Jahre mit Leberzirrhose oder schwerer Herzinsuffizienz. Beim Abwägen, ob ein Patient ein Intensivbett behalten kann oder nicht, beachten die Mediziner zudem, ob sich seine Sauerstoffversorgung und die Atmung verbessert haben.

Kein Arzt soll mit diesen Entscheiden allein sein

Da die Kriterien eine Diskriminierung verbieten, erstaunt Kneer, dass hohes Alter dennoch als Ausschlusskriterium angeführt wird. Er bemängelt nicht als Einziger, dass Patienten über 85 bei Knappheit generell ausgeschlossen werden. Es drängt sich deshalb auf, dass die aktualisierten Richtlinien, welche die SAMW diese Woche verabschiedet, diese Diskriminierungskritik aufnehmen.

In der Praxis könnten die harten Entscheide bei Ärztinnen und Ärzten zu schweren Schuldgefühlen und Traumatisierung führen, weiss Chefarzt Räz. «Deshalb soll kein Arzt solche schwerwiegenden Entscheide selber fällen müssen», betont er. In seinem Spital stehe deshalb Tag und Nacht ein interprofessionelles Dreierteam bereit, das die Ärzte bei schwierigen Triage-Entscheiden unterstütze.

Notfalls bereit für Kriegsmedizin

In der Zürcher Klinik Hirslanden gilt bei Triage-Fällen das Vieraugenprinzip, wie der Leiter Intensivmedizin, Reto Stocker (65), sagt. Gelingt keine Einigung, ziehen die Ärzte weitere Spezialärzte oder die Ethikkommission hinzu.

Derzeit ist seine Intensivstation gut ausgelastet. Stocker ist darauf vorbereitet, die Anzahl Betten von derzeit zwölf schrittweise und bis im Katastrophenfall für 53 Covid-Patienten aufzustocken. Allerdings wäre das dann nahe an der Kriegsmedizin, führt er aus.

Wesentlich für die Kaskade der schwierigen Entscheide ist laut Stocker schon der Eintritt: «Urteilsfähige Covid-19-Patienten werden bei der Einlieferung befragt, wie sie zu einer Intensivbehandlung stehen.» Bei der ersten Covid-Welle hätten diverse Patienten eine Intensivbehandlung abgelehnt. Patienten, die nicht auf die Intensivstation aufgenommen würden, erhielten aber andere mögliche Therapien oder allenfalls eine lindernde Palliativtherapie.

Knappheit bei Spitälern verhinderbar

Das Bieler Spitalzentrum wiederum ist derzeit zu rund 20 Prozent mit Covid-19-Patienten belegt. Im Moment läuft laut Marcus Laube (57), Chefarzt Intensivmedizin des Zentrums, bei den Zuteilungsentscheiden noch alles wie zu Normalzeiten. Auch Operationskapazitäten wurden bisher nicht reduziert. Laube fährt fort: «Erst wenn alles voll ist und es keine Ausweichmöglichkeiten mehr gibt, müssen strengere Triage-Entscheide gefällt werden, die auch für erfahrene Ärzte hart sind.» Auch in Biel BE wird die Entscheidungslast auf ein Team verteilt.

Laube sieht keinen Grund zur Panik: «Aber die Leute müssen wissen, dass sie es in der Hand haben, dafür zu sorgen, dass die Spitäler nicht an den Anschlag kommen und ein neuer Lockdown notwendig wird.»

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