Europa bibbert vor dem kommenden Winter – doch das Problem eines drohenden Gasmangels wird auch nächsten Frühling längst nicht gelöst sein. Davor warnt Ben van Beurden (64), CEO des Energieunternehmens Shell. «Ich glaube nicht, dass diese Krise nur auf einen Winter begrenzt sein wird», so van Beurden an einer Pressekonferenz am Montag in Norwegen. «Es kann gut sein, dass wir eine Reihe von Wintern haben, in denen wir irgendwie Lösungen durch Effizienzeinsparungen, durch Rationierung und durch einen sehr schnellen Aufbau möglicher Alternativen finden müssen, wie alternative Gasimporte und hoffentlich alternative Energiequellen.»
Eine rasche Lösung der Energiekrise hält van Beurden für eine «Fantasie». Und weiter: «Wenn es keine russischen Gaslieferungen mehr gäbe, wäre das Leben sehr schwer.» Die EU verfolgt das Ziel, bis in fünf Jahren komplett unabhängig von russischem Gas zu sein.
Ölmultis schreiben Rekordgewinne
Mit Patrick Pouyanné (59), CEO von Total, stimmte ein zweiter hochrangiger Energiemanager in die Warnung des Shell-Chefs ein. Pouyanné betonte allerdings, dass es genügend Energie auf dem Planeten geben, um russisches Gas zu ersetzen.
Was die beiden Firmenchefs nicht sagten: Ihre Unternehmen profitieren massiv von der drohenden Energiemangellage in Europa. Dank steigender Gas- und Rohölpreise schreiben sie Rekordgewinne, während die Verbraucherinnen und Verbraucher an der Zapfsäule und beim Heizen immer tiefer in die Tasche greifen müssen. Politiker weltweit – auch in der Schweiz – fordern eine Krisengewinnsteuer für die Ölmultis.
Die Schweizer Wirtschaft bereitet sich derweil auf Kontingentierungen von Gas und Strom vor: Der Bundesrat will dank freiwilliger Einsparungen im kommenden Winter 15 Prozent weniger Gas verbrauchen. Wenn das nicht ausreicht, wird den Grossverbrauchern der Gashahn abgedreht. (sfa)