Die pensionierte Sozialarbeiterin Sonia Stahl (69) wohnt mit ihrem Mann in einer 4½-Zimmer-Wohnung in Zürich Oerlikon. Sie gehört zu jener Gesellschaftsgruppe, die mehr Platz zur Verfügung hat, als sie braucht. «Eigentlich ist die Wohnung zu gross für uns», sagt die Rentnerin im Gespräch mit Blick über ihre aktuelle Bleibe.
Eingezogen ist sie vor 27 Jahren – damals noch mit ihren zwei Kindern. Die beiden zogen dann allerdings in den Jahren 1997 und 1998 aus. Seither hat Stahl zwei Zimmer zu viel.
Warum zieht sie mit ihrem Mann nicht in eine kleinere Wohnung? «Egal wo in Zürich wir schauen würden, eine kleinere Wohnung wäre für uns teurer als die aktuelle», sagt Stahl.
Bleiben ist billiger
Für ihre 100 Quadratmeter grosse Wohnung bezahlt Stahl aktuell 1900 Franken Miete pro Monat – oder 19 Franken pro Quadratmeter. Ausgeschriebene Mietwohnungen in der Nähe kosten zurzeit deutlich mehr, gerne auch mal das Doppelte.
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Das heisst: Selbst wenn Stahl in eine Wohnung mit zwei Zimmer weniger zieht, müsste sie eine höhere Miete bezahlen. Kein Wunder, hat die Seniorin daran kein Interesse.
Und sie ist damit nicht allein. Denn der Wohnungsmarkt ist schweizweit unter Druck. Seit Jahren steigen die Mietpreise stark an. Gleichzeitig sind die Anzahl leerstehender Wohnungen so tief, dass Experten von einem Wohnungsmangel und in den Städten sogar von Wohnungsnot sprechen. Das lässt die Mietzinsen weiter steigen.
Unfreiwillig zu viel Platz
Das führt dazu, dass viele Senioren und Alleinstehende in ihren Wohnungen bleiben – auch wenn sie eigentlich zu gross sind. Eine Auswertung des Immobilienberatungsunternehmens Wüest Partner zeigt, dass die Wohnfläche pro Kopf ab 55 Jahren stark zunimmt. Der Grund liegt auf der Hand: Zu diesem Zeitpunkt verlassen die Kinder das elterliche Heim und ziehen in die eigene Bleibe. Plötzlich stehen im Elternhaus mehrere Schlafzimmer leer. Wohnraum, den andere dringend gebrauchen könnten.
Den höchsten Wohnflächenverbrauch mit fast 60 Quadratmeter pro Kopf haben Rentner ab 75 Jahren. In dieser Altersklasse ist der Anteil Einpersonenhaushalte hoch. Trotzdem bleiben alleinstehende Senioren häufig in ihren alten Wohnungen, die sie vorher zu dritt, zu viert oder zu fünft bewohnt haben.
Pilotprojekt soll Abhilfe schaffen
Eine Überbauung in Oerlikon versucht, diesem Dilemma entgegenzuwirken. Wer in der Überbauung Accu wohnt, der wird bei einem Wechseln in eine kleinere Wohnung belohnt. Das funktioniert so: Die Miete der neuen Wohnung wird anhand der Quadratmeterpreise der alten Wohnung berechnet. Wer in eine kleinere Wohnung zieht, muss damit garantiert auch weniger Miete bezahlen. Das Pilotprojekt hat Stahls Interesse geweckt. Die Überbauung Accu liegt in Neu-Oerlikon – Stahl wohnt im alten Teil.
Der Seniorin ist bewusst, dass es Familien gibt, die ihre 4½-Zimmer-Wohnung in Oerlikon gut gebrauchen könnten. Genauso klar ist ihr, dass ihre Chancen auf eine bezahlbare, kleinere Wohnung in Zürich schlecht stehen. «Die Wohnung müsste zudem altersgerecht sein», so Stahl. Neben einem Lift im Treppenhaus beispielsweise eine begehbare Dusche haben.
Deshalb hat sie sich bereits 2013 bei der Stiftung für Alterswohnungen in Zürich gemeldet. Der Zweck der Stiftung ist das Vermieten von preisgünstigen Wohnungen an über 60-jährige Einwohner. Sie ist seither auf der Warteliste für eine solche Alterswohnung. «Gehört haben wir seit 10 Jahren nichts», sagt Stahl.