Ein Chefarzt des Universitätsspitals Zürich wohnt mit seiner Frau, Wissenschaftlerin an der Uni, und zwei Kindern in einer Genossenschaftswohnung in Zürich. Die Familie lebt in einem Reihenhaus mit grosszügigen 200 Quadratmetern, über drei Stockwerke verteilt. Und bezahlt dafür lediglich 2200 Franken pro Monat. Das berichtete der Finanzblog «Inside Paradeplatz» Anfang der Woche. Obwohl es «die schönste Genossenschaftswohnung Zürichs» ist, sei es für Zürcher Mietpreisverhältnisse sehr billig.
Glücklich ist, wer eine Genossenschaftswohnung ergattert, könnte man jetzt sagen. Denn Genossenschaftswohnungen sind im Schnitt deutlich günstiger als andere Wohnungen. Doch haben ein Chefarzt und seine berufstätige Frau ein Anrecht auf vergünstigten Wohnraum? Oder müsste die Familie die Wohnung für eine Familie mit tieferem Einkommen freigeben?
Klare Regeln gibt es nicht
Das Problem: Klare Regeln gibt es nicht. Denn Genossenschaftswohnungen unterscheiden sich von subventionierten Wohnungen der öffentlichen Hand. «Es handelt sich hier nicht um staatlich vergünstigte Wohnungen, sondern um freitragende Wohnungen, die günstig sind, weil die Genossenschaft nicht gewinnorientiert arbeitet», sagt Rebecca Omoregie (50), Vizedirektorin der Dachorganisation Wohnbaugenossenschaften Schweiz.
Mehr zum Wohnungsmarkt
«Das Prinzip der Genossenschaft ist die Offenheit für alle: Menschen mit ganz verschiedenen Hintergründen und aus verschiedenen sozialen Schichten sollten in einer Genossenschaft wohnen dürfen», sagt Omoregie. Wobei Genossenschaften bestrebt seien, insbesondere auch diejenigen Menschen zu berücksichtigen, die auf preisgünstigen Wohnraum angewiesen sind.
Genossenschaften setzten auf Selbstregulation
Laut internen Zahlen der Dachorganisation sind Einkommen und Bildungsniveau in den Genossenschaften durchschnittlich tiefer als im übrigen Wohnungsmarkt. Das schliesse aber nicht aus, dass Menschen mit höherem Einkommen in einer Genossenschaft leben dürfen.
Ebenfalls zeigen Zahlen, dass Bewohner von Genossenschaftswohnungen im Schnitt mit deutlich weniger Wohnfläche als der Schweizer Durchschnitt auskommen. Das führt laut Omoregie zu einer gewissen Selbstregulation: Wer sehr wohlhabend ist, will sich bezüglich Wohnfläche in der Regel nicht einschränken.
Auf den Chefarzt scheint all das nicht zuzutreffen. «Es ist verständlich, dass solche Einzelfälle von vermögenden Genossenschaftsbewohnerinnen und -bewohnern für Aufsehen sorgen», sagt Omoregie. Allerdings wäre es laut der Dachorganisation gegen den genossenschaftlichen Grundsatz, Mitglieder aufgrund ihrer veränderten Einkommenssituation aus den Wohnungen zu weisen und aus der Genossenschaft auszuschliessen.
Die Wohnung, in der der Arzt mit seiner Familie lebt, gehört der Baugenossenschaft Zentralstrasse (BGZ). Diese prüft die finanziellen und persönlichen Verhältnisse der Mietinteressenten eigenen Angaben zufolge bei Vertragsabschluss. Danach gebe es keine weiteren Überprüfungen mehr.
Hier gelten strengere Regeln
Wie Wohngenossenschaften ihre Anwohner prüfen und auswählen, ist unterschiedlich und hängt von den Statuten und den Vermietungskriterien ab. Manche Genossenschaften prüfen die finanzielle Situation beim Einzug, manche überprüfen dies auch periodisch. Um solche Einzelfälle zu vermeiden, könnten Genossenschaften entsprechende Regeln in ihren Statuten verankern. Doch nur die allerwenigsten tun das.
«Es gibt Wohnungen, die durch die öffentliche Hand speziell für einkommensschwache Personen vergünstigt werden. Für diese gelten strenge Einkommens- und Vermögenslimiten», sagt Omoregie. Das hänge dann aber mit den Vorgaben des betreffenden Kantons zusammen. Nur ein sehr kleiner Teil der Genossenschaftswohnungen – schätzungsweise zwei bis drei Prozent – sei auf diese Weise vergünstigt.