Während es einigen Mieterinnen und Mietern kaum mehr möglich ist, in einer Schweizer Stadt ein Zimmer zum Leben zu finden, haben andere in ihrer Wohnung mehrere Zimmer frei. Ein Dilemma, das zunehmend zu einem Problem wird. Denn solange der Wohnflächenverbrauch bei der älteren Bevölkerung hoch ist, erhöht das den Mangel an Wohnungen für Familien.
Ein Pilotprojekt in der Überbauung Accu in Zürich-Oerlikon versucht, dieses Dilemma zu lösen. Die Siedlung besteht aus 148 Wohnungen und gehört einem Immobilienfonds der Credit Suisse. Die von der UBS übernommene Grossbank möchte den Wohnungswechsel innerhalb der Siedlung in den nächsten zwölf Monaten fördern. Blick liegen die Pläne exklusiv vor.
Ein finanzieller Anreiz
«Für viele Mieterinnen und Mieter ist die aktuelle Wohnung aufgrund veränderter Bedürfnisse zu klein oder zu gross», sagt Bank-Sprecher Andreas Kern. Warum ziehen diese Mieter nicht in kleinere Wohnungen, wenn sie nicht mehr alle Zimmer brauchen? Das Problem: die hohen Mietzinsen.
Seit Jahren kennen die Mietpreise nur eine Richtung: nach oben! Das führt dazu, dass viele Mieter, vor allem die Älteren, lieber in ihren alten Wohnungen bleiben. «Oft lohnt es sich gerade für langjährige Mieterinnen und Mieter finanziell nicht, in eine kleinere Wohnung zu wechseln», sagt Kern.
Hohe Wohnfläche pro Kopf
Zahlen des Immobilienberatungsunternehmens Wüest Partner bestätigen das Phänomen. «Bei einer Auswertung nach Lebensphasen zeigt sich, dass ab einem Alter von 55 Jahren die Belegungsdichte in einem Mieterhaushalt stark abnimmt», sagt Robert Weinert (44), Immobilienexperte bei Wüest Partner.
Der Grund liegt auf der Hand: Zu diesem Zeitpunkt verlassen die Kinder das elterliche Heim und ziehen in die eigene Bleibe. Plötzlich stehen im Elternhaus mehrere Schlafzimmer leer. Wohnraum, den andere dringend gebrauchen könnten.
Kleinere Wohnung kostet mehr
Und die Wohnsituation ändert sich oft auch im Alter nicht: Den höchsten Wohnflächenverbrauch pro Kopf haben Rentner ab 75 Jahren. In dieser Altersklasse ist der Anteil Einpersonenhaushalte hoch. Trotzdem bleiben alleinstehende Senioren häufig in ihren alten Wohnungen, die sie vorher zu dritt, zu viert oder zu fünft bewohnt haben.
Denn ihre 4½-Zimmer-Wohnung, in der sie schon seit Jahren leben, ist günstiger als alle ausgeschriebenen 2½-Zimmer-Wohnungen im selben Quartier. «Es gibt auf dem Markt aktuell kaum ein Angebot an Wohnraum mit ähnlichen Preisen», sagt Weinert. Das heisst, der Umzug in eine kleinere Wohnung wäre mit höheren Wohnkosten verbunden.
Neue Wohnung zum Preis der alten
Start des Projekts in der Überbauung Accu war Mitte August 2023. Das Ziel: Den Bewohnern einen möglichst einfachen Wohnungswechsel innerhalb der gleichen Liegenschaft zu ermöglichen. Gelockt werden sie damit, dass sie keine höheren Mietzinsen befürchten müssen. Denn die Miete der neuen Wohnung orientiert sich am Mietzins der alten. Konkret wird der neue Mietzins anhand der Miete pro Quadratmeter der alten Wohnung berechnet.
Bezahlt eine Mieterin in einer 4½-Zimmerwohnung mit 110 Quadratmetern aktuell einen Nettomietzins von 1800 Franken pro Monat, sind das 16.40 Franken pro Quadratmeter. Wenn die Mieterin nun in eine 2½-Zimmerwohnung mit 80 Quadratmeter wechselt, beträgt ihr Mietzins neu 1312 Franken pro Monat – 80 mal 16.40 Franken.
Wer wechselt, spart Miete
Die Überbauung Accu wurde 2006 fertiggestellt, ist also 17-jährig. Der durchschnittliche Quadratmeterpreis für eine 2½-Zimmer-Wohnung in der Überbauung beträgt laut CS aktuell 23.80 Franken. Für eine 80-Quadratmeter grosse Wohnung wäre die durchschnittliche Miete also 1900 Franken. Wer wechselt, spart damit fast 600 Franken – pro Monat!
«Mit dem Projekt wollen wir einen Beitrag dazu leisten, dass Wohnungen möglichst bedürfnisgerecht genutzt werden», sagt Kern.
Die ersten Rückmeldungen zum Pilotprojekt seien sehr positiv. Bereits in den ersten zwei Wochen hätten sich Interessenten gemeldet, die einen Wohnungswechsel vornehmen wollen. Ist das Pilotprojekt erfolgreich, will die Bank das Angebot auf weitere Liegenschaften ausdehnen.