Selbstbedienung im Gesundheitswesen
Die sieben Lohn-Sünden von Spitälern und Krankenkassen

Von wegen Kostenbewusstsein: Bei manchen Organisationen aus dem Gesundheitswesen kassieren CEOs, Geschäftsleitungen und Verwaltungsräte extrem hohe Vergütungen. Sieben Beispiele, die Fragen aufwerfen.
Publiziert: 05.05.2024 um 00:08 Uhr
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Aktualisiert: 05.05.2024 um 09:21 Uhr
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Thomas SchlittlerWirtschaftsredaktor

Am 9. Juni stimmt die Schweiz über zwei Krankenkassen-Vorlagen ab. Ärzte, Spitäler, Kassen und Medikamentenhersteller streiten sich, wer die Hauptverantwortung für die stetig steigende Prämienbelastung trägt.

Sämtliche Akteure beteuern, alles zu tun, um die Gesundheitskosten in den Griff zu kriegen. Ein Blick in die Jahresberichte grosser Spitäler und Krankenkassen zeigt aber: Bei den Entschädigungen für Entscheidungsträger wird nur selten gespart.

Seit 2016 sind Krankenkassen verpflichtet, die «Honorare, Löhne, Bonifikationen und Gutschriften» von Verwaltungsrat und Geschäftsleitung offenzulegen. Blick analysierte deshalb, wie sich diese Klasse von Vergütungen seitdem entwickelt haben.

Lohn-Sünde 1: Universitätsspital Zürich

André Zemp (62), Spitalratspräsident des Universitätsspitals Zürich.
Foto: ZVG

60’000 Franken erhielt der Spitalratspräsident des Universitätsspitals Zürich im Jahr 2016. Heute ist der Posten deutlich einträglicher: Betriebsökonom André Zemp (62), der das Amt 2021 übernahm, kassierte vergangenes Jahr 197’300 Franken. Was sind die Gründe für diese Verdreifachung?

Die Entschädigung im Jahr 2016 sei mit 60'000 Franken «sehr tief» angesetzt gewesen, erklärt die Medienstelle des Unispitals. Dagegen sei die Arbeitslast der Spitalratsmitglieder seither «deutlich gestiegen». Des Weiteren weist der Sprecher darauf hin, dass die Politik diese Erhöhung abgesegnet habe: «Die Vergütung des Spitalrats, inklusive jener des Präsidenten, wird durch den Regierungsrat des Kantons Zürich festgelegt.»

Ausgezahlt hat sich die präsidentielle Lohnerhöhung bisher nicht: Das Unispital machte 2023 einen Verlust von 49 Millionen Franken.

Lohn-Sünde 2: Groupe Mutuel

Die Groupe Mutuel mit Sitz in Martigny entlöhnte ihren Generaldirektor 2016 mit 520’200 Franken – inklusive Boni und Sozialversicherungsbeiträge. Für 2023 liegen noch keine Zahlen vor. 2022 erhielt der oberste Chef, seit 2019 heisst er Thomas Boyer (52), 783’300 Franken. Das entspricht einer Steigerung von rund 50 Prozent innert weniger Jahre.

Das Unternehmen rechtfertigt dies damit, dass Groupe Mutuel nicht nur ein obligatorischer Krankenversicherer sei, sondern auch zwei Milliarden Umsatz ausserhalb der Grundversicherung erwirtschafte. «Unter Einbezug der Privatversicherer entspricht das Salär des CEO dem Benchmark und ist marktkonform», schreibt ein Sprecher.

Lohn-Sünde 3: Insel-Gruppe

Die zehnköpfige Spitaldirektion der Berner Insel-Gruppe.
Foto: ZVG

Die Berner Insel-Gruppe ist im Schweizer Gesundheitswesen ein Koloss. Kolossal waren zuletzt auch die Verluste: 2023 resultierte ein Minus von 113 Millionen Franken.

Die zuständige Spitaldirektion muss dennoch nicht darben. Ihre Mitglieder kamen 2023 auf einen Durchschnittslohn von 477’000 Franken, ohne Sozialversicherungsbeiträge. Zum Vergleich: 2016 mussten sich die Direktionsmitglieder mit durchschnittlich 390’000 Franken begnügen. Insgesamt ist die Geschäftsleitung deshalb innert sieben Jahren um mehr als eine Million Franken teurer geworden.

Das Unternehmen begründet den Anstieg mit dem Übergang von einer «verwaltungsnahen Spitalorganisation» zu einer «als Konzern geführten Spitalgruppe». Ein Sprecher hält fest: «Angesichts der Verantwortung für ein Unternehmen dieser Grösse und Komplexität erachten wir diese Entschädigung als marktüblich.»

Lohn-Sünde 4: Sanitas

Andreas Schönenberger (58), CEO Sanitas.

Die Million knapp verpasst: Sanitas-CEO Andreas Schönenberger (58) musste 2023 mit 955’200 Franken über die Runden kommen. Im Vergleich zu anderen Krankenkassen-Chefs ist auch das ein absoluter Spitzenwert. Und wäre Schönenberger schon vor sieben Jahren CEO gewesen, hätte er nur 663’300 Franken erhalten.

Der Verwaltungsrat von Sanitas erachtet das CEO-Salär «den heutigen Marktanforderungen entsprechend» als angemessen, wie die Medienstelle mitteilt. Das Unternehmen weist darauf hin, dass die Vergütungen der gesamten Geschäftsleitung um «beinahe eine Million» zurückgegangen seien, seit Schönenberger 2019 Chef wurde. «Dies ist auch darauf zurückzuführen, dass der CEO zusätzlich das Produktemanagement und die Produktentwicklung direkt führt», so ein Sprecher.

Lohn-Sünde 5: Kantonsspital Aarau

Das Kantonsspital Aarau (KSA) sorgte in den vergangenen Jahren mit Finanznot und Personalwechseln für Negativschlagzeilen. Nun soll der siebenköpfige Verwaltungsrat, der 2023 fast komplett erneuert wurde, den Betrieb in ruhige Gewässer führen.

Das ist nicht gerade billig: Die Entschädigung des Gremiums schlug 2023 mit 688’215 Franken zu Buche. 2016 kostete der KSA-Verwaltungsrat noch 507’103 Franken – rund ein Viertel weniger.

Die Verantwortlichen halten diesen Vergleich für «nicht sachgerecht». Begründung: Die gestiegenen Gesamtkosten seien durch die «ausserordentlich hohe Arbeitsbelastung» in Zusammenhang mit der Neuausrichtung des Spitals zustande gekommen. Ein Sprecher betont, die «Grundvergütung» des KSA-Verwaltungsrats – also ohne Sitzungsgelder – sei zwischen 2016 und 2023 um 51'000 Franken gesunken.

Den Prämien- und Steuerzahlern, die das Ganze berappen müssen, hilft diese Differenzierung wenig.

Lohn-Sünde 6: Helsana

Thomas D. Szucs (63), Verwaltungsratspräsident Helsana.

Thomas D. Szucs (63) ist seit 2010 Verwaltungsratspräsident der Helsana. 2016, als Krankenversicherer erstmals die Entschädigungen aller Spitzenkräfte offenlegen mussten, erhielt er dafür 200’800 Franken. Vergangenes Jahr kassierte er für den gleichen Job fast 290’000 Franken – ein Plus von 44 Prozent. Und im Vergleich zu anderen Kassen ein absoluter Spitzenwert.

Wieso ist die Arbeit von Szucs so viel mehr wert? Helsana erklärt die Zunahme mit einer «umfassenden Überarbeitung des Vergütungsreglements» im Jahr 2017. «Diese Neugestaltung des Vergütungssystems resultierte in einer Anpassung der Entschädigungen, welche für alle Verwaltungsratsmitglieder zu einer Erhöhung führte», so ein Sprecher.

Zudem habe man im selben Jahr einen neuen Verwaltungsratsausschuss ins Leben gerufen, in den Szucs gewählt worden sei. «Das führte zu einer Steigerung seines Arbeitsaufwandes und folgerichtig auch zu einer Erhöhung seiner Entschädigung.»

Lohn-Sünde 7: Spitalverbunde St. Gallen

In St. Gallen sind neun Verwaltungsräte für alle vier Spitalverbunde im Kanton verantwortlich. Das war auch 2016 so. Damals bekamen sie für ihre Arbeit lediglich 498’380 Franken, 2023 waren es 633’110 Franken – ein Viertel mehr. Was gab dafür den Ausschlag?

Die Medienstelle ist der Meinung, man könne 2016 nicht als Vergleichsjahr heranziehen. Der Grund: Bis Mitte jenes Jahres war die damalige Vorsteherin des Gesundheitsdepartements gleichzeitig Verwaltungsratspräsidentin der Spitalverbunde. Dann kam es zur Loslösung vom Gesundheitsdepartement. «All dies hat zu einer neuen Entschädigungsvorgabe des Eigentümers geführt, im Sinne der Public Corporate Governance», sagt ein Sprecher.

Das Problem dabei: Auch hier hatte das «neue» System höhere Vergütungen zur Folge, nicht tiefere.

Big Pharma in eigener Liga

Diese Auflistung ist weder repräsentativ noch vollständig. Auch erklären die erwähnten Lohn-Sünden nicht allein, weshalb die Gesundheitskosten grundsätzlich Jahr für Jahr steigen. Dennoch zeigen die sieben Beispiele, dass bei Krankenkassen und Spitälern auch gespart werden könnte, ohne gleich das ganze System umkrempeln zu müssen.

Wenn es um Lohnexzesse geht, dürfen selbstverständlich die Pharmakonzerne nicht unerwähnt bleiben. Diese zahlen Löhne und Boni, bei denen sogar Banker vor Neid erblassen. Novartis-Boss Vas Narasimhan (47) zum Beispiel kassierte vergangenes Jahr 16,2 Millionen Franken.

Immerhin: Diesen Lohn müssen Schweizerinnen und Schweizer nicht alleine bezahlen, sondern gemeinsam mit Patienten, Prämien- und Steuerzahlenden in anderen Ländern.

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