Die Abnehmspritze Wegovy, von einigen als «Wundermittel» glorifiziert, steht seit dem 1. März auf der «Spezialitätenliste» des Bundesamts für Gesundheit (BAG). Damit wird die Arznei neu von der Grundversicherung übernommen.
Stark Übergewichtige, die mit Wegovy abnehmen wollen, mussten lange auf diesen Moment warten. Die Arzneimittelbehörde Swissmedic hatte dem Produkt des dänischen Konzerns Novo Nordisk die Zulassung zwar Mitte 2022 erteilt. Bis zum Segen des BAG dauerte es aber nochmals eineinhalb Jahre.
Aufnahme in die BAG-Spezialitätenliste dauert immer länger
Wegovy sei kein Einzelfall, moniert die Pharmaindustrie. Auch bei anderen Präparaten dauere es häufig sehr lang bis zur Aufnahme in die Spezialitätenliste. «Die Zulassungsprozesse bei Swissmedic sind in den vergangenen Jahren deutlich schneller geworden. Die Aufnahme in die BAG-Spezialitätenliste dauert dagegen immer länger», sagt Ernst Niemack (58), Geschäftsführer der Vereinigung Pharmafirmen in der Schweiz (Vips).
Niemack untermauert seine Kritik mit einer neuen Time-to-Market-Analyse, die sein Verband in Auftrag gegeben hat. Gemäss der Studie brauchte das BAG 2023 durchschnittlich 322 Tage, um den Preis für ein Medikament festzulegen und es in die Grundversicherung aufzunehmen. 2022 waren es erst 290 Tage, 2016 gar nur 178. Analysiert wurden Originalpräparate wie auch Generika, also Nachahmermedikamente.
Die Untersuchung stellt zudem fest, dass es dem BAG kaum gelinge, innert 60 Tagen einen Entscheid zu fällen – obwohl die Krankenpflege-Leistungsverordnung dies eigentlich vorsieht. «Das kann für Betroffene, die auf ein neuartiges Medikament warten, sehr belastend sein», so Vips-Geschäftsführer Niemack. Zudem sei der «zermürbende Aufnahmeprozess» gerade für kleine Biotech-Start-ups abschreckend, die sich auf wenige Medikamente spezialisiert hätten.
Das BAG hat für diese Kritikpunkte wenig Verständnis: «Im internationalen Vergleich geht es in der Schweiz sehr schnell, bis Patienten Zugang zu neuen Medikamenten erhalten», sagt Jörg Indermitte (48), Co-Leiter der Abteilung Arzneimittel Krankenversicherung.
Haltlose Anschuldigungen der Pharmabranche
Dies belegten nicht nur unabhängige Untersuchungen der Uni Zürich und der Eidgenössischen Finanzkontrolle, sondern auch des Dachverbands europäischer Pharmaverbände (Efpia). Indermitte: «Demnach ist die Schweiz die Nummer drei in Europa bei der Zeit zwischen Zulassung und Vergütung von neuen Medikamenten.»
Dass es manchmal sehr lange dauert, bis die Kosten für ein Arzneimittel von den Kassen übernommen werden, bestreiten aber auch die Behörden nicht. Das BAG sieht die Schuld dafür aber nicht bei sich selbst, sondern bei den Herstellern.
So zeige der Bericht der Finanzkontrolle, dass die Hersteller ihre Gesuche für den kleinen Markt Schweiz oft deutlich später einreichen als in anderen, grösseren Ländern Europas. Mehr als die Hälfte der Zeit zwischen Zulassung und Vergütung brauchten zudem die Pharmafirmen selber, wenn sie dem BAG verzögert antworten oder ihre Medikamente noch nicht verfügbar seien. «All diese Umstände wurden in den Berechnungen der Pharmabranche ausgeblendet», kritisiert Indermitte.
Was in den Zahlen der Pharmavereinigung ebenfalls keine Rolle spielt, seien die Konditionen, zu denen die Hersteller auf die Spezialitätenliste wollen. Sie seien aber zentral, so Indermitte: «Zu Verzögerungen kommt es am häufigsten dann, wenn Pharmafirmen überhöhte Preisforderungen stellen.»
Neben Wirksamkeit und Zweckmässigkeit neuer Medikamente untersuche das BAG die Wirtschaftlichkeit der Preise: «Eine sorgfältige Prüfung ist wichtig. Die Krankenkassenprämien müssen für die Bevölkerung tragbar bleiben.» Wirksamkeit, Zweckmässigkeit, Wirtschaftlichkeit – diese sogenannten WZW-Kriterien sind als Mantra bei der Zulassung neuer Medikamente allgegenwärtig.
Allerdings ist die Pharmaindustrie überzeugt, dass der Bund bei der Abwägung dieser drei Werte das Gleichgewicht verloren habe. «Das Problem ist, dass das BAG Nutzen und Wirksamkeit eines neuen Medikaments zu wenig Beachtung schenkt», kritisiert Vips-Geschäftsführer Niemack. Stattdessen würden einseitig die Kosten in den Vordergrund gestellt.
Von ungefähr kommt die Konzentration des BAG darauf aber nicht: Die Medikamentenkosten pro versicherte Person sind in den letzten acht Jahren stark gestiegen, von 750 Franken pro Kopf im Jahr 2015 auf knapp 1000 Franken im Jahr 2023. Im Mehrjahresvergleich sind die Kosten für Medikamente damit stärker angestiegen als alle anderen Kosten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung.