Die Gesundheitskosten in der Schweiz steigen von Jahr zu Jahr – und mit ihnen die Krankenkassenprämien. Für 2023 erwartet der Dachverband Santésuisse eine Prämienerhöhung von zehn Prozent.
Die Gründe für den Kostenanstieg sind vielfältig. Krankenkassen, die überhöhte Prämien einsacken. Versicherte, die wegen jedem Mückenstich zum Arzt rennen. Ärzte, die unnötige Operationen durchführen und überteuerte Medikamente verschreiben. Medikamentenhersteller, die überrissene Preise verlangen und riesige Gewinne einfahren.
Prämien explodieren, die Gewinne ebenso
Letzteres freut die Aktionäre von Big Pharma. Sie konnten in den vergangenen 20 Jahren von immer höheren Gewinnausschüttungen profitieren.
Eine Analyse von SonntagsBlick zeigt: 2002 zahlten die Branchenriesen Astrazeneca, Bristol-Myers Squibb, Glaxosmithkline, Johnson & Johnson, Merck, Novartis, Pfizer und Roche Dividenden von insgesamt 17,9 Milliarden Dollar aus. 2021 beliefen sich die Gewinnausschüttungen dieser Konzerne auf 54,4 Milliarden Dollar – eine Verdreifachung.
Besonders einträglich waren die vergangenen zwei Jahrzehnte für Teilhaber der Schweizer Pharmariesen. Novartis verteilte Dividenden in Höhe von 100,6 Milliarden Dollar. Im Jahr 2002 führte Daniel Vasella (69) den Konzern. Ein Mann, der nicht gerade für seine Bescheidenheit bekannt war. Mit ihm an der Spitze beliefen sich die Gewinnausschüttungen für die Aktionäre auf 1,7 Milliarden Dollar. 2021 waren es 7,4 Milliarden.
Roche zahlte zwischen 2002 und 2021 110,6 Milliarden Dollar aus. 2002 überwies das Unternehmen vergleichsweise bescheidene 1,3 Milliarden Dollar an Dividenden. In den letzten drei Jahren waren es umgerechnet jeweils um die acht Milliarden. Die Hälfte davon ging an die Familie Oeri-Hoffmann.
Die Dividenden der Pharmaindustrie werden letztlich von den Prämienzahlern finanziert. Da fragt sich wohl so mancher: Ist es legitim, dass die Beträge Jahr für Jahr steigen?
Die Pharmaindustrie will immer mehr
Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) will die Gewinnausschüttungen der Pharmaunternehmen nicht kommentieren. Zu den Medikamentenpreisen jedoch teilt das Amt mit: «Die Preisforderungen der Pharmaindustrie haben in den letzten Jahren markant zugenommen.»
Trotz bestehender Massnahmen wie der Dreijahresüberprüfung mit Preissenkungen sei im Arzneimittelbereich ein «stark überdurchschnittliches Kostenwachstum» zu beobachten. Das BAG betont, man beobachte diese Entwicklung mit Besorgnis. «Momentan laufen deshalb Gesetzes- und Verordnungsrevisionen, die zu einer Kostendämpfung führen sollen.»
Die Branche weist die Verantwortung für die steigenden Krankenkassenprämien derweil weit von sich. «Medikamente sind grundsätzlich keine Kostentreiber im Schweizer Gesundheitswesen», sagt Roche-Sprecherin Barbara von Schnurbein. Im Gegenteil: Medikamente trügen dazu bei, dass anderswo im Gesundheitswesen gespart werden könne, zum Beispiel bei Spitalaufenhalten.
Der Anteil der Medikamente an den Gesundheitsausgaben in der Schweiz liege seit mehr als zehn Jahren stabil bei rund zwölf Prozent. «Zudem ist die Preisfestsetzung von Medikamenten staatlich geregelt und aufgrund standardisierter Unterlagen und Prozesse sehr transparent», so von Schnurbein weiter.
Die Branche fühlt sich nicht verantwortlich
Novartis-Sprecher Satoshi Sugimoto argumentiert ähnlich: «Die Medikamentenpreise in der Schweiz werden vom BAG verfügt, das zudem die Preise alle drei Jahre überprüft und senkt.» Die Pharmaindustrie sei deshalb die einzige Akteurin im Schweizer Gesundheitswesen, die durch institutionalisierte Preiskontrollen einen bedeutenden Beitrag zur Kostendämpfung leiste.
Dass die Versicherten mit ihren Prämien die stetig steigenden Gewinnausschüttungen finanzieren, bestreitet die Branche vehement. «Der Anstieg der Prämien in den letzten Jahren hat nichts mit den Dividenden zu tun», sagt Samuel Lanz, Kommunikationsleiter beim Branchenverband Interpharma.
Der Grund für die gestiegenen Dividenden seien nicht zunehmende Verkäufe in der Schweiz, sondern der globale Erfolg der Schweizer Pharmabranche. «Es ist ein Trugschluss zu glauben, die Schweiz finanziere die Gewinne der Pharmaunternehmen. Diese werden international erwirtschaftet.»
Das grosse Geld wird im Ausland gemacht
Novartis liefert die Zahlen dazu. «Unser Umsatz in der Schweiz von 800 Millionen Franken macht bloss zwei Prozent vom weltweiten Umsatz aus», sagt Sprecher Sugimoto. «Die Gewinne für unsere Dividenden stammen also ganz überwiegend aus den globalen Märkten und zeigen den Erfolg unserer weltweiten Geschäftsaktivitäten.»
Die Prämienzahler in der Schweiz sind für Roche und Novartis in der Tat nebensächlich. Allerdings: Auch im Ausland, wo die enormen Gewinne erwirtschaftet werden, müssen letztlich die Versicherten mit ihren Prämien für die hohen Medikamentenpreise aufkommen.