Es war kein gutes Jahr für die Exportnation Schweiz. Die Ausfuhren nahmen um 7 Prozent auf 225 Milliarden Franken ab. Ein herber Rückschlag! Doch der Vergleich mit anderen Ländern zeigt: Es hätte schlimmer kommen können.
Die Chemie- und Pharmaindustrie verschönert die Bilanz. Sie hat sich einmal mehr als krisenfest erwiesen. Die Branche konnte ihre Exporte trotz Corona sogar noch steigern.
Das hat historische Folgen: 2020 stammten erstmals mehr als die Hälfte aller Ausfuhren von ein und derselben Industrie. Jeden zweiten Exportfranken der Schweiz kassiert mittlerweile Big Pharma.
Erfolg überdeckt, dass die Schweizer Exportwirtschaft in anderen Bereichen kleiner ist
Der Bedeutungsgewinn von Novartis, Roche und Co. kam indes nicht über Nacht, wie eine Analyse von SonntagsBlick zeigt: Zur Jahrtausendwende waren Chemie- und Pharmaunternehmen lediglich für 28 Prozent der Schweizer Exporte verantwortlich, 2010 für 39 Prozent, vergangenes Jahr für 52 Prozent.
René Buholzer, Geschäftsführer des Branchenverbands Interpharma, sagt deshalb zu Recht: «Die Schweiz und die forschende Pharmaindustrie sind eine Erfolgsgeschichte.»
Das Gefährliche daran: Der Erfolg überdeckt, dass die Schweizer Exportwirtschaft in anderen Bereichen deutlich kleinere Brötchen backt. Klammert man die Chemie- und Pharmaindustrie aus, befinden sich die Ausfuhren der Schweiz wieder auf dem Niveau des Krisenjahrs 2009.
Entsteht ein Klumpenrisiko?
Bestes Beispiel ist die Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (MEM). Einst viel zitierter Stolz der Exportnation Schweiz, dümpelten die Ausfuhren in den vergangenen Jahren vor sich hin, gingen sogar teilweise kräftig zurück.
Im Jahr 2000 exportierte die MEM-Industrie Waren im Wert von 48 Milliarden Franken. Zehn Jahre später waren es 49 Milliarden, 2020 nur noch 41 Milliarden Franken.
Entsteht durch diese ungleiche Entwicklung ein Klumpenrisiko? Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) winkt ab. Sprecher Fabian Maienfisch betrachtet die zunehmende Vorherrschaft der Pharmabranche gar als Minderung der Risiken: «Gerade in Krisenzeiten trägt diese Branche zu einer Stabilisierung bei, denn die Nachfrage nach ihren Produkten ist kaum von der Konjunktur und vom Wechselkurs abhängig.»
Verband redet Exportprobleme klein
Weiter weist das Seco darauf hin, dass sich die Schweizer Exportwirtschaft, bezogen auf die Zielmärkte, in den letzten Jahren deutlich diversifiziert habe. Die Abhängigkeit von Europa sei kleiner geworden, Nordamerika und Asien hätten an Bedeutung gewonnen.
Jan Atteslander, Leiter Aussenwirtschaft beim Wirtschaftsdachverband Economiesuisse, sieht in der einseitigen Exportverteilung ebenfalls kein Problem: «Der hohe Exportanteil der Chemie-, Pharma- und Life-Science-Unternehmen ist für die Schweiz kein gesamtwirtschaftliches Klumpenrisiko.»
Der Exporterfolg bringe vielmehr zusätzlichen Wohlstand – nicht zuletzt dank der Zulieferbetriebe. «Zudem sind die Arbeitsplätze viel gleichmässiger auf die verschiedenen Branchen verteilt als die Exporte.»
Tatsächlich: Was die Zahl der Arbeitsplätze betrifft, ist Big Pharma eher ein kleiner Fisch. Gemäss offiziellen Zahlen des Bundes zählt die Pharmaindustrie weniger als 50 000 Beschäftigte. Unternehmen der MEM-Industrie hingegen bieten mehr als 300000 Menschen einen Job.
Doch wie sicher sind diese Arbeitsplätze, falls die Exportflaute der MEM-Industrie anhält? Der Branchenverband Swissmem gibt sich selbstbewusst. «Der Anteil unserer Industrie am Bruttoinlandprodukt ist seit den späten 90er-Jahren konstant geblieben. Die volkswirtschaftliche Bedeutung der MEM-Industrie hat nicht abgenommen», betont Kommunikationschef Ivo Zimmermann.
Seine Exportprobleme redet der Verband klein. «Die MEM-Industrie leistet zunehmend auch Dienstleistungsexporte. Industrielle Wertschöpfungsaktivitäten wie Serviceleistungen, Installationen, Aus- und Weiterbildungen an Maschinen sowie Engineering-Leistungen werden in der Warenexportstatistik aber nirgends erfasst», so Zimmermann. Deshalb werde die Statistik der aussenwirtschaftlichen Bedeutung der Branche nicht gerecht.
Allen Relativierungen zum Trotz: Dass es für die Schweizer MEM-Industrie Luft nach oben gibt, ist unbestritten.
Extreme Aufwertung des Franken sorgt für Probleme in der Maschinenindustrie
Swissmem sieht Handlungsbedarf bei den Rahmenbedingungen. «Bei einem Exportanteil von 80 Prozent ist der hindernisfreie Zugang zu den Märkten entscheidend», sagt Zimmermann. Die Forderungen des Verbands sind daher auch wenig überraschend: so viele Freihandelsabkommen wie möglich. Plus: ein Rahmenabkommen mit der EU.
Daniel Lampart, Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, will an einem anderen Punkt ansetzen: dem Wechselkurs. «Einer der Hauptgründe für die Probleme der Maschinenindustrie ist die extreme Aufwertung des Frankens.»
2008 kostete ein Euro 1.60 Franken. Heute sind es noch 1.08 Franken. «Diese massive Frankenüberbewertung haben wir wegen der Corona-Krise etwas aus den Augen verloren», so Lampart. Er ist überzeugt, dass die Schweizerische Nationalbank (SNB) mehr tun könnte, um den Franken abzuwerten – insbesondere in Sachen Kommunikation: «Die SNB muss den Finanzmarkt-Teilnehmern klar signalisieren, dass sie eine Abwertung des Frankens anstrebt.»
Dass die Exportprobleme nicht gottgegeben sind, beweise ein Blick nach Deutschland. Dort habe die Maschinenindustrie, so Lampart, ihre Exporte auch im 21. Jahrhundert deutlich steigern können.